Seit Jahren steigt die Nachfrage nach Ökostrom in Deutschland. Immer mehr Menschen sind bereit für Strom tiefer in die Tasche zu greifen. moritz sprach mit dem Geschäftsführer der Stadtwerke André Dreißen über die Lage in Greifswald.
Seit wann gibt es die Möglichkeit bei den Stadtwerken Ökostrom zu beziehen und was genau muss man sich darunter vorstellen?
Es gibt bereits seit mehreren Jahren Ökostrom. Der Beste ist der reine, physisch eingespeiste Ökostrom, der direkt aus der Photovoltaikanlage vom eigenen Hausdach kommt. Das ist aber für einen Energieversorger in unserer Größe schlecht realisierbar. Insofern ist unser „Local Energie Natur“ ein Ökostromprodukt, das auf Zertifikaten beruht. Das heißt derjenige, der dieses Produkt kauft, hat die Garantie, dass irgendwo in Europa genau in der Menge, in der er Strom verbraucht auch Ökostrom produziert und in das europäische Verbundnetz eingespeist wird. Sie bekommen dann automatisch hundert Prozent Ökostrom. Konkret haben wir Zertifikate gekauft, die aus Norwegen von einem Wasserkraftwerk kommen.
Inwiefern unterstütze ich den Ausbau erneuerbarer Energien durch die Nutzung von Ökostrom?
Ich würde sagen, das hat einen 1:1 Effekt. Was aus meiner Sicht wünschenswert wäre, wenn jeder Mensch mehr Ökostromprodukte kaufen würde, denn dann könnte noch mehr in diese Anlagen investiert werden. Je mehr Interessenten, umso mehr Investitionen an dieser Stelle. Wobei man auch sagen muss, dass die Kapazitäten in Europa endlich sind.
Wenn ich in Greifswald Ökostrom nutze, fördere ich dann primär die Anlagen im Ausland? Kann man das überhaupt direkt zurückverfolgen?
Bei unserem Produkt ist es so. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Auf der einen Seite könnte man zum Beispiel in die direkte physische Lieferung setzen. Wo wirklich grenzüberschreitend Energie eingespeist wird. Das ist in den Augen einiger Ökostromverfechter der bessere Weg. Auf der anderen Seite kann man denen dann entgegenhalten, dass es immer eine ausgewogene Energiebilanz ist. Wenn ein Laufwasserkraftwerk aus Österreich Energie nach Deutschland liefert und dafür physisch im Austausch dann Steinkohleenergie nach Österreich geliefert wird, dann hat man auch nicht wirklich etwas gewonnen. Die Frage ist immer was für einen Weg man gehen möchte und was man mit seinem Produkt bewirken möchte. Wir haben den Weg gewählt ein Produkt zu platzieren, das aus Sicht des ganz konservativen Ökoanhängers eher eine „light“ Version ist, weil es erst einmal ein Zertifikatgeschäft ist. Wir könnten genauso gut hier eine Biogasanlage bauen und die Energie aus dieser beziehen. Das ist aber aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten extrem schwierig, was heißt, wir müssten den Strom sehr teuer verkaufen. Bei der Struktur unserer Region müsste man erst einmal jemanden finden, der für seinen Stromverbrauch im Jahr keine 500, sondern dann 800 Euro bezahlen würde. Deswegen verfolgen wir einen finanziell attraktiveren Weg. Wer sich dafür interessiert, der zahlt dann bei diesem Beispiel anstelle von 500 circa 520 Euro im Jahr.
Ökostrom aus Deutschland in den Kontingenten, die sie verwenden, wäre nicht möglich zu beziehen?
Doch das wäre möglich, wäre dann aber entsprechend teuer. Wir haben in einen Windpark und Photovoltaikanlagen investiert. Allerdings ist das Geld, das man in die Hand nimmt für solche Anlagen, immer noch so hoch, dass es nicht auf derselben Schwelle steht, als wenn ein Steinkohlekraftwerk angeworfen wird. Von einem Atomkraftwerk ganz zu schweigen. Da liegen die Gestehungskosten für einen Energieball bei einem Cent und der Marktpreis liegt bei 5,5 bis 6 Cent. Die erneuerbare Energie ist tendenziell einfach noch teurer. Wir versuchen auf anderen Wegen die Bürger direkt zu beteiligen. So haben wir zusammen mit „AG Uni Solar“ und der Hochschule eine Photovoltaikanlage gebaut.
Wie sieht die Situation aus, wenn ich im Studentenwohnheim wohne? Kann man als einzelner Ökostrom beziehen oder wird das vom Vermieter festgelegt?
Das hängt von der technischen Lösung vor Ort ab. Gibt es einen Stromzähler für das ganze Objekt, zum Beispiel Wohnheim, dann kümmert sich der Vermieter um die Stromlieferung. Der Student hat letztendlich keinen Einfluss und bezahlt den Strom in der Umlage mit der Miete. Wenn es aber so ist, dass jede Wohneinheit einen Stromzähler hat, dann kann man auch seinen Lieferanten frei wählen. Ich würde es begrüßen, weil eine Umlage nicht unbedingt das Energiesparen fördert.
Wenn wir jetzt einen Blick in die Zukunft werfen: Lässt sich sagen, wie sich auf regionaler Ebene die Nutzung von Ökostrom entwickeln wird?
Grundsätzlich ist es so, dass Ökostrom in Ostdeutschland noch wesentlich weniger genutzt wird als in Westdeutschland. Wir merken, dass die Nachfrage nach Ökostromprodukten ständig steigt, es allerdings immer noch ein Nischenprodukt ist. Es ist noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Zumindest nicht hier in Vorpommern. Ich gehe aber davon aus, dass das Thema – auch durch die erneut angefeuerte Atomdiskussion Japan – immer mehr an Fahrt gewinnt.
Wir wollen, was den Energiebedarf Greifswalds angeht, möglichst viel Strom selbst herstellen und davon einen signifikanten Anteil aus erneuerbaren Energien, auch deshalb, um uns von den vermutlich weiter steigenden Preisen an der Strombörse in Leipzig abzukoppeln. Dies ist uns neben einem eigenen Anteil an einer vernünftigen Umweltbilanz wichtig.
Wie lange wird der Ausbau der Strukturen der Kapazitäten dauern, bis wir unseren nationalen Bedarf ausschließlich über Ökostrom decken können?
Das ist eine Frage der Technologie. Es hat damit zu tun, wann es möglich sein wird erneuerbare Energie zur Grundlastenergie zu machen. Die Schwierigkeit bei Wind- und Photovoltaikanlagen ist, dass diese Ressourcen nicht dauerhaft und ständig verfügbar sind. Vor allem muss die Speicherung von Energie geklärt werden. Wenn diese auf eine vernünftige Art und Weise möglich ist, kann man prinzipiell das System über beliebig viele Windräder in der Nord- und Ostsee komplett betreiben. Entscheidend ist hier die Grundlastfähigkeit. Da sind wir meiner Meinung nach noch mindestens 25 bis 30 Jahre von entfernt.
Trotz der Kritik, die gerade an den Atomkraftwerken laut wird, gibt es noch keinen sofortigen Ersatz für diese. Es sei denn Kohle- oder Gaskraftwerke. Atomkraftwerke erzeugen zumindest schon mal kein Kohlenstoffdioxid. Ich glaube, dass die Laufzeitverlängerung vor diesem technologischen Zwang in Ordnung ist. Persönlich halte ich eine Kohlenstoffdioxid-Katastrophe, die dann wirklich global ist, für das definitiv schlimmere Szenario – trotz des aktuellen GAUs.
Im Vergleich mit anderen Stromanbietern: Wie groß ist der Anteil der Stadtwerke Greifswald am lokalen Strommarkt? Und wie groß ist hierbei der Anteil von Ökostrom?
Bezogen auf Greifswald haben wir hier einen Anteil von über 70 Prozent. Der Anteil der Ökostromkunden ist da noch verschwindend gering. Auf etwa 35.000 Haushalten haben wir in etwa 200 Stromkunden, die Ökostrom beziehen. Das ist viel zu wenig. Das Bewusstsein bei unseren Kunden ist noch nicht ausgeprägt genug.
Ist das eine finanzielle Frage oder hat das auch etwas mit der Historie der Stadt zu tun bzw. wissen die Leute nicht, dass es so ein Produkt gibt?
Es ist sicherlich ein Zusammenspiel der Komponenten. Gerade hier in Greifswald haben wir aufgrund des Lubminer Kraftwerkstandortes eine gewisse Affinität zur Atomenergie. Da ist man hier deutlich weniger sensibel als in anderen Gegenden Deutschlands. Viele Bürger haben in dem Atomkraftwerk gearbeitet und gelernt. Diese wird man wohl eher nicht davon überzeugen, dass das „Teufelswerk“ ist. Das ist auch verständlich.
Sicherlich tun auch 30 Euro pro Jahr einfach mehr weh, hinzu kommt aber auch eine grundsätzliche Nicht-Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Energie’. Der Strom kommt aus der Steckdose. Man muss sich auch die Frage stellen, warum wir in der „Fahrradhauptstadt“ Deutschlands, einer Universitätsstadt eine solche Unterrepräsentanz haben. Gerade von der Studentenschaft würde ich erwarten, dass man in dem Bereich aktiver ist. Scheinbar setzen Studenten sich damit gar nicht auseinander und das ist ein Widerspruch zwischen dem, was man klischeehaft der Studentenschaft zuschreibt, und dem heutigen Bewusstsein. Aber auch hier sehe ich den Ball bei uns. Wir müssen mehr informieren.
Herr Dreißen, vielen Dank für das Gespräch.
Ein Interview von Johannes Köpcke, Ole Schwabe und Katrin Haubold mit Fotos von Ole Schwabe (Portrait) und Philip Hertzog via Wikipedia (Windpark).