Trotz des erwarteten Anstiegs der Studentenzahlen werden Häuser der WVG abgerissen. Die Orientierung der Mietpreise erfolgt zukünftig nicht am Durchschnitt des Mietspiegels, sondern am oberen Bereich des Mietpreisniveaus.
Weiblich, 20, sucht: hallo ich suche für das kommende Semester ein WG-Zimmer in der Innenstadt oder in Uninähe. Da ich Studentin bin, sollte das Zimmer nicht mehr als 250 warm kosten und circa 12 m² groß sein. Es ist sehr dringend, da ich bis jetzt nichts gefunden habe. Bitte meldet euch.
So eine Annonce hat wohl jeder, der in Greifswald studiert gelesen oder selber verfasst. Jedes Jahr zum Oktober bricht in der Hansestadt das „Wohnungschaos“ aus, berichtet der derzeitige AStA-Referent für Wohnangelegenheiten, Tommy Kube. Wer Mitbewohner sucht, hat mit bis zu 100 Bewerbern zu kämpfen. Das Hervorstechen aus der Menge ist hier das wichtigste. Wer dahingegen Wohnungssuchender ist, hat mit vielen Absagen, Zeitdruck und gestressten Vermietern zu rechnen. Als letzte Möglichkeit bleibt dann oft entweder nur ein überteuertes und zu kleines Zimmer in der Innenstadt oder eine günstigere Wohnung in schlechter Lage.
In den letzten Jahren kam immer wieder das Gerücht auf, dass Studenten vor der Mensa gezeltet hätten oder in einer Turnhalle schlafen mussten, da sie keine Wohnungen mehr gefunden hätten. Scarlett Faisst, damalige AStA-Referentin für Wohnangelegenheiten und Soziales, stellt klar, dass diese Gerüchte nicht stimmen würden. Es gab aber sehr wohl Studenten im ersten Semester, „die auf das Umland oder Stralsund vorübergehend ausgewichen sind oder aber als Untermieter bei Einheimischen zu teilweise horrenden Mieten für winzige Zimmer untergekommen sind.“
Durch die hohe Anzahl von Studenten ist Greifswald in die Top-Drei der jüngsten Städte katapultiert worden. Nicht nur die Stadt ist für die Studenten von Vorteil, sondern auch die Stadt ist auf die Studenten angewiesen und verdient an ihnen Geld. Trotzdem liegt Greifswald auf Platz zwei der höchsten Mieten in ganz Deutschland – den ersten Platz belegt München mit 1,364 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 31,070 Hektar und einer Studentenanzahl von circa 80 000 Studierenden. Vergleichend dazu hat Greifswald 53845 Einwohner mit rund 12500 Studenten, so das Statistische Amt.
Einer der größten Wohnraumanbieter ist neben den privaten Vermietern (youniq Greifswald, ILG Studentenwohnheim Greifswald) und der Wohnungsbau – Genossenschaft Greifswald (WWG) die Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft Greifswald (WVG). Die WVG bietet circa 9700 Wohnungen vorwiegend in den Stadtteilen Schönwalde I und II und im Ostseeviertel an. Sie ist zu 40-50 Prozent im Besitz der Hansestadt und hat derzeit circa 1500 abgeschlossene Mietverträge mit Studenten. Laut Informationen des moritz sinkt jedoch die Anzahl der Verträge mit den Studierenden von Semester zu Semester.
„Diese Zahl hat sich in den vergangen Jahren eingependelt.“, berichtet die WVG. Weiterhin heißt es, dass „Studenten“ für die WVG „willkommene Mieter“ seien. „Sie fördern eine gesunde Durchmischung unserer Wohnungsbestände.“ Den Rückgang erklärt sich die WVG durch die verstärkte Bebauung der Innenstadt durch private Anbieter, wodurch der Konkurrenzkampf noch zusätzlich gesteigert wird. Trotz der höchsten Gewinne der WVG in den letzten zehn Jahren berichtete die Ostsee Zeitung im letzten Jahr, dass sich die WVG zukünftig nicht mehr am Durchschnitt des Mietspiegels, sondern am höchsten Mietpreisniveau orientieren will.
„Eine Orientierung am Durchschnittswert erfolgt nicht, da die Rechtssprechung in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald Lagekriterien festlegt. Die WVG orientiert sich an diesem Mietspiegel(…).“ Das würde heißen, dass in den nächsten Jahren Mietpreiserhöhungen seitens der WVG stattfinden würden. „Punktuell wird es auch in den kommenden Jahren Mieterhöhungen geben, schon aus den Modernisierungsmaßnahmen heraus. „Die Mieten werden künstlich in die Höhe getrieben indem bei einem Mieterwechsel diese bis zu 20 Prozent angezogen werden darf. Allerdings haben die Vermieter das Recht alle zwei Jahre die Miete bei gleichbleibendem Mieter zu erhöhen.“, erklärt Kube.
Der oben genannte Mietspiegel soll die durchschnittliche und ortsübliche Miete wiedergeben. Der aktuelle Mietspiegel ist seit dem 1. Januar 2008 gültig und wurde von der Arbeitsgemeinschaft Mietspiegel, die sich unter anderem aus Vertretern des Immobilienverbandes Deutschland, des Mietervereines Vorpommern-Greifwald e. V. und der beiden größten Wohnungsanbietern WVG und WGG zusammensetzt, erstellt. In dem Erhebungszeitraum von Anfang Mai 2003 bis Ende April 2007 wurden 9206 Mietverträge laut dem Mietspiegel Greifswald 2008 ausgewertet. Dies betraf ausschließlich neu vereinbarte beziehungsweise geänderte Mietverträge – mit den 20 Prozent Mietzuschlag beim Mieterwechsel.
Hierbei werden die Wohnungen nach Art, Größe, Beschaffenheit, Ausstattung und Lage unterschieden. In der Kategorie Ausstattung wird zwischen „einfach“, „normal“ und „gut“ differenziert. Interessant hierbei ist, dass als einfache Ausstattung eine Wohnung ohne Sammelheizung (Zentral- oder Etagenheizung), ohne separatem Bad oder Dusche angesehen wird und das WC außerhalb der Wohnung liegt. Da stellt sich die Frage, ob solch eine Ausstattung überhaupt noch zeitgemäß ist. „Zielmieten sind für die WVG ein Instrument, um den Wohnquartieren einen angemessenen Wert beizumessen. Die Nachfrager sind bereit, die Mietzins zu zu zahlen.“ Zu dem Merkmal Lage zählen die Punkte Begrünung, Infrastruktur, Verkehrslärm und zusätzlich, ob die Wohnung sich in der Innenstadt befindet.
Und je nach Lage steigen und sinken die Mietpreise von Straße zu Straße – selbst bei Wohnungen in der Innenstadt, die wegen der Nähe zur Universität sehr beliebt bei den Studenten sind. „Die Frage nach dem höchsten Mietpreisniveau ist immer relativ zu sehen. Fest steht: es gibt in Greifswald lediglich zehn Wohnungen (bis 30 Quadratmeter), die in der Preisspanne zwischen 6,17 und 8,89 Euro liegen, diese Wohnungen befinden sich zumeist in der Innenstadt beziehungsweise Altstadt“, erklärt Andrea Reimann, Pressesprecherin der Stadt. Zum Vergleich: Die WVG hat circa 3530 Wohnungseinheiten unter 4,50 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete in ihrem Wohnungsbestand, somit liegen 36 Prozent aller Wohnungen der WVG in diesem Preissegment.
Der Bevölkerungszuwachs beziehungsweise -rückgang ist auch ein Faktor, der das Angebot und die Nachfrage des Wohnraums bestimmt. Genauer gesagt beinhaltet der Begriff des demographischen Wandels die Veränderungen der Zusammenstellung der Altersstruktur in einer Bevölkerung. Er wird durch drei Faktoren beeinflusst: die Geburtenrate, die Lebenserwartung und den Wanderungssaldo. Deutschland tendiert zu einem geringen Geburtenanteil, hat dafür aber eine längere Lebenserwartung. Dadurch erhöht sich die Anzahl älterer Menschen. Laut der Bevölkerungsprognose 2009 der Universitäts- und Hansestadt Greifswald wird es ab dem Jahre 2013 einen Einbruch der Einwohnerzahlen geben – wohingegen bis 2012 die Bevölkerungsanzahl sogar noch steigen wird (siehe Grafik).
Herbeigeführt wird dieser Einbruch durch die in den 90er Jahren zurückgegangene Geburtenrate, die sich jedoch erst 2013 effektiv niederschlägt. Diese Prognose, die von der Stadt initiiert wurde, beschäftigt sich mit dem Bevölkerungsrückgang speziell in Greifswald und Umgebung. Von den drei ausgearbeiteten Szenarien, „orientiert sich die Stadt an dem Szenario zwei – welches das Vorzugsszenario ist“, berichtet Reimann. Szenario zwei stellt die realistische Bevölkerungsentwicklung dar, wohingegen Szenario eins die konstante – optimistische – und Szenario drei die rückläufige – pessimistische – Entwicklung darstellt. Die Studie weist außerdem explizit daraufhin, dass es sich hierbei nur um eine „Orientierung an tatsächlichen Entwicklungen handeln kann, da schon kleinste Veränderungen in den Lebensbedingungen der Menschen Auswirkungen auf die Statistiken haben kann“, heißt es in der Studie. Der Wegfall der Wehrpflicht und das Anmeldeverhalten der Studenten stellen solche wesentlichen Faktoren dar. Auch die WVG bestätigt, dass dieses Konzept kein starres Instrument für sie darstelle und in den letzten Jahren immer wieder Änderungen an der Rückbau- und Abrissliste vorgenommen habe.
„Die Strukturveränderungen in Demographie und Wirtschaft wirken sich insbesondere in den neuen Bundesländern aus und werden zukünftig zunehmen.“, konstatierte 2008 eine Studie des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung Berlin. Diese Untersuchung beschäftigt sich mit dem Programm Stadtumbau-Ost, das eine Maßnahme zur Bewältigung des demographischen Wandels darstellt und 2002 ihren Auftakt fand. Erreicht werden soll damit die Steigerung der Attraktivität ostdeutscher Städte und die Sicherung der Arbeitsplätze. Allein in den Jahren 2002 bis 2009 zahlten Bund und Länder 2,5 Milliarden Euro zur Verwirklichung dieses Projektes. Mit diesem Geld sollen der Angebotsüberhang an Wohnraum gemindert, der Schrumpfungsprozess der Städte aufgewertet und die Innenstädte gestärkt werden.
„In der Altstadt sind bauliche Sanierungen dringend notwendig. Der Wohnschwerpunkt sollte in die Innenstadt gelegt werden, somit würde auch die Kaufkraft steigen und das Stadtbild sich verschönern“, schlagen die AStA-Referenten Tommy Kube und Philipp Helberg vor. In Zusammenarbeit des AStAs mit der WGG und der WVG gibt es seit dem letzten Semester eine WG-Börse für die zahlreichen Erstsemesterstudenten, um die Wohnungssuche zu erleichtern. Zusätzlich finden alle drei Monate Gespräche zwischen den beteiligten Parteien statt, die für eine gute Kommunikation sorgen sollen und den erneuten Ansturm im nächsten Wintersemester gemeinsam besser bewältigen zu können.
Auf die Frage zur Rolle der WVG in Bezug auf ihre soziale Verantwortung antwortet Jana Wöller, Pressesprecherin der WVG: „Die WVG als kommunales Unternehmen wird der Aufgabe, sozial verträglichen Wohnraum bereitzustellen, sehr wohl gerecht. Eine Vielzahl von Wohnungen, gerade in den großen Plattenbaugebieten in Schönwalde I und II und im Ostseeviertel-Ryckseite fallen in diese Kategorie“, heißt es seitens der WVG. Das jedoch steht in einem krassen Gegensatz zu den angekündigten Mieterhöhungen für die kommenden Jahre, da gerade in diesen Stadtteilen die sozial benachteiligten Greifswalder wohnen müssen. Die WVG begründet diesen Anstieg der Mieten mit Modernisierungsmaßnahmen, die sie bei Wohnblöcken in der Makarenkostraße vorgenommen habe. Modernisierungsmaßnahmen bedeutet hier der Umbau von Mehrraumwohnungen zu Einraumwohnungen, die gerade für Familien oder Paare ungeeignet sind.
Hinzukommt dass bis 2015 voraussichtlich circa 314 Wohnungen in Schönwalde I und II und im Ostseeviertel-Ryckseite vom Wohnungsmarkt genommen werden sollen. Dokumenten zufolge, die dem moritz vorliegen, werden Teilnehmer, die im Zuge des Stadtumbau Ost ihr Wohnraumangebot zurückbauen, mit einer Prämie von 100 Euro pro Quadratmeter belohnt. Problematisch daran ist, dass der Rücklauf der Bevölkerungszahlen frühestens 2013 beginnen soll (siehe Grafik), die Förderung jedoch schon im gleichen Jahr ausläuft.
Könnte das mit ein Grund sein, warum schon jetzt Wohnungen in Greifswald abgerissen werden? „Die Entscheidung, welche Wohneinheiten von der Liste gestrichen werden, hat mit diesem Fakt nichts zu tun, sondern richtet sich ausschließlich nach der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur und der Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt“, behauptet die WVG. Dass aber diese Wohnungen wegen dem zu erwartenden Anstieg der Bevölkerung – vor allem den Studenten fehlen könnten, ist der Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft wohl nicht bewusst. Auch der Allgemeine Studierenden Ausschuss steht dem Rückbau der Wohnräume kritisch gegenüber und wünscht sich einen „Stopp dieses Rückbaus, die Orientierung am Durchschnitt des Mietspiegels und nicht an der Mietobergrenze. Trotz allem ist eine Zusammenarbeit wichtig, wünschenswert und im Hinblick auf die kommenden Jahre erforderlich“.
Ein Bericht von Luise Röpke und Irene Dimitropoulos mit einem Foto von Katarina Beutner
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