Alles begann 1970 mit einem gewissen Herrn Krimmel, der im „Taxi nach Leipzig“ fuhr. Auch vierzig Jahre danach ist der „Tatort“-Kult und seit geraumer Zeit Konstante im Wochenendplan vieler „Nachwuchsbildungsbürger“.
Naja, Sonntagabend ist ja sonst auch nicht viel los.“ Eine Beschreibung, die man für Greifswald sicherlich guten Gewissens gelten lassen kann. Aber in Berlin? Hier nämlich kam ein findiger Gastronom vor einigen Jahren auf die Idee, gemeinsam mit seinen Gästen „Tatort“ zu schauen. Eine Institution ward wiedergeboren. Schnell bahnte sich das „Kollektiverlebnis Tatort“ einen Weg in die restlichen Kneipen der Republik. Seit 2006 lädt auch das „Caspar“ in der Greifswalder Innenstadt jeden Sonntag zum dosierten Blick aufs bundesdeutsche Verbrechen.
Knapp zwanzig Zuschauer haben sich pünktlich zur Primetime eingefunden, Männlein und Weiblein bunt gemischt, allerdings überwiegend studentisches Milieu. Der Tatort als Bindeglied zwischen jung und alt-zumindest in Greifswald eine Utopie. Trotzdem, Tatort ist wieder in, besonders in Gesellschaft und gemütlichem Ambiente. Nein, ein Lieblingsermittlerduo habe man eigentlich nicht, so die Anwesenden, der Münsteraner sei ganz gut, aber auch der heutige aus Köln scheint den Raum überdurchschnittlich zu füllen. Man kennt sich, die meisten kommen regelmäßig. Zur Einstimmung kommt die Tagesschau, aber das ist Vorgeplänkel, die Zeit in der man Getränkekarten durchforstet und bestellt.
Andächtige Stille legt sich über das „Casper“, es geht nach Köln. Ganz klassisch beginnt der Fall mit einer Leiche im gut sitzenden Anzug, Smartphone in der Hand, gebrochenes Genick. Auftritt des Urgesteins, Hauptkommissar Schenk wuchtet sich gewohnt massig durch die Szenerie, der übliche Smalltalk, ein paar Hintergrundinfos. Sturz aus großer Höhe, vor zwei bis drei Stunden, soweit so gut.
Ein Grund für die stetig anwachsende Fangemeinde der Reihe liegt wohl darin, dass der Tatort immer schon ein kritisches Spiegelbild der Gesellschaft sein sollte. Unterhaltung trifft Nachdenken, klassische Themen treffen auf Aktuelles. So auch hier. Der Tote war Unternehmensberater, der sich durch Rationalisierungsvorschläge und intrigante Spielchen unbeliebt gemacht hatte. Typischer Vertreter des inzwischen flächendeckend bekannten Raubtierkapitalismus, laut Komissar Ballauf also ein „arrogantes Arschloch“. Das kommt an und so verwundert es nicht, dass die beiden Ermittler beinahe schon traditionell als moralisch-integeres Guckloch für Ottonormalbürger hinein in die wahren deutschen Parallelgesellschaften fungieren. Die dort beheimateten, in diesem Fall sind es Consulter und Manager, werden leider etwas klischeemäßig und stereotyp dargestellt.
Im „Casper“ werden währenddessen flüsternd die ersten Vermutungen ausgetauscht. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass, so tragisch die verlagsinterne Liebesgeschichte auch schien, die Täter samt Motiven doch eher in den höheren, daher gefühlskälteren Etagen zu suchen sind. Noch einmal werden „die Berater“ befragt. Ein kurz angedeuteter Moment der Einsicht, ein Anzugträger hat genug von seinem Leben, will aussteigen. Doch falscher Alarm, diesen Mut zur Einsicht gestehen ihm die Autoren dann doch nicht zu. Auf den Zuschauer wartet hingegen noch eine mehr oder weniger vorhersehbare Spannungsspitze, eine hübsche Eskalation, Schenk darf nochmal ran. Zur Primetime geht der Rettungsschuss noch ins Gesäß, Feierabend. Diesen verbringt man, Vive la tradition, am Rheinufer bei Bier und Wurst. Und so enden knappe 90 Minuten solide Unterhaltung nebst ein bisschen Großstadtflair und Gänsehaut. Im Caspar wird es langsam wieder hell, den meisten hat es gefallen, aber „der Münsteraner ist halt doch was anderes“.
Ein Bericht von Ole Schwabe