In Mecklenburg-Vorpommern soll ab nächstem Jahr die Produktion in Europas größter Ferkelzuchtanlage beginnen. Dass es dabei stark um wirtschafliche Interessen ging, wurde während des dreijährigen Genehmigungsverfahrens deutlich.
Es ist ein rauer kalter Novemberwind, der in diesen Tagen über die kahlen Felder von Alt Tellin zieht. Nach fast 45 Minuten Fahrt von Greifswald auf der A20, erfüllt sich hier die Vorstellung der tiefsten Provinz. Flaches Land und gefühlte zwei Häuser pro Quadratkilometer sind es, bis die Gemeinde Alt Tellin und dessen Ortsteil Siedenbüssow sich auftun. Siedenbüssow, das ist der Bereich im Kreis Demmin, in dem bereits nächstes Jahr die Produktion in einer der größten Ferkelaufzuchtsanlage Europas begonnen werden soll.
Auf dem alten Gelände steht derzeit noch eine ehemalige Anlage der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) aus der DDR, deren Mästung von 3 600 Schweinen nach der Wende eingestellt wurde. Der Wind zieht durch alle Ecken und Kanten der beiden leer stehenden Hallen, geradezu morsch und faulig wirken die von der Zeit gezeichneten Tröge und Abzugsschächte. „LPG – Blühende Landschaften“ steht an einem der Gebäude – eine Forderung, die der Ortschaft jetzt gegönnt werden soll. Zwar wirkt das Gelände einsam, aber nicht verlassen – zahlreiche andere Graffitis zeugen davon. Ab nächstem Jahr wird voraussichtlich schon mit der Aufzucht von monatlich knapp 36 000 Ferkeln begonnen.
Nur zwei Kilometer weiter liegt der Ortskern, Alt Tellin. Auf den ersten Blick wirkt das 347-Seelen-Dorf mit seinen engen Straßen nahezu trostlos. Ein Ort, der zu unbedeutend wirkt, als das hier Halt zum Verweilen gemacht werden sollte. Viele Eigenheime mit Vorgärten, akribisch gestutzte Hecken und präzise gepflasterte Einfahrten. Man kennt sich in der kleinen Gemeinde, das Auto mit dem Greifswalder Kennzeichen scheint aufzufallen, Blicke werden geworfen. Schwer einschätzbar sind die Reaktionen der Dorfbewohner, sie schwanken zwischen Neugier und misstraulicher Distanz.
Jugendliche in dem Dorf sind kaum zu sehen, die Abwanderung gen „Westen“ scheint sich auch hier bemerkbar zu machen. Geradezu forsch und selbstbewusst schwärmt eine stämmige Dorfbewohnerin mittleren Alters von der Anlage. Offensichtlich scheint das Riesenprojekt eine willkommene Abwechslung in ihrem tristen Dorfalltag zu sein: „Ich finde das sehr gut, dann haben wir hier wenigstens Arbeitsplätze“, argumentiert die knapp 50-Jährige vor einem der Neubauten. „Früher stank das hier überall, da hat das auch keinen gestört“, fährt sie in strammer Manier fort. Doch nicht alle Dorfbewohner reagieren so freimütig auf die knapp 16 Millionen teure Investition. „Ach, das ist doch alles von oben beschlossene Sache“, grollt ein grober Rentner vor sich hin, während sein Wachhund Alarm schlägt. „Den Gestank haben wir ja denn“, murrt der korpulente Dorfbewohner hinter dem Gartenzaun weiter.
Mit dem Gestank meint der fast 70-Jährige die Gülle von mehr als 46.500 Schweinen, die der Fleischproduktion dienen sollen. Davon sind 10.500 Muttersauen, die im Jahr jeweils 25 Frischlinge werfen sollen: macht insgesamt 250.000 Ferkel pro Jahr. „Es sollte auch nicht vergessen werden, dass so ein Betrieb nach gewisser Zeit auch Gewerbesteuern an die Gemeinde zahlen muss“, versucht Frank Karstädt sich zu erklären. Ein schwermütiger, wortkarger Mann, der nahezu resigniert zu dem fast dreijährigen Genehmigungsverfahren erklärt: „Nun, wie so etwas eben abläuft.“ Als ehrenamtlicher Bürgermeister von Alt Tellin hat er keinen leichten Job. Nicht zuletzt seien auch die 45 Arbeitsplätze ein Vorteil der Ferkelaufzuchtsanlage.
Mehrere Drohungen gab es auf Beteiligte, die sich für die Produktion bei Alt Tellin ausgesprochen haben. Auch gegen den 47-Jährigen Karstädt, der ebenso die Dorfgaststätte „Storchenbar“ in Alt Tellin betreibt. „Kommt die Anlage, kommt der Krieg“ sprühten Tierschützer vor seine Gaststätte. Neben anderweitigen Drohungen gab es auch Angriffe. So brannte Ende Januar dieses Jahres eine Lagerhalle der Daberkower Landhof AG nicht unweit von Alt Tellin, wenige Tage später tauchte im Internet ein Bekennerschreiben dazu auf. Die Forderungen der Tierschützer waren klar: Der Vorsitzende der Daberkower Landhof AG, Wilfried Kosalla, sollte das Land nicht an die Straathof Holding GmbH verkaufen. „Begeisterung für Ferkel“, prangert auf Website des Unternehmens, die sich bereits sechs andere Standorte zur Schweinezucht in Ostdeutschland aufgebaut hat.
Der Geschäftsführer des Unternehmens, Adrianus Straathof, gilt als öffentlichkeitsscheu. Sich selbst stellt er im Gespräch als einen fürsorglichen Unternehmer dar. Einer, der sich gern um die Mitarbeitenden und die Tiere in seinen neun Anlagen – von denen auch drei in den Niederlanden stehen – kümmert. „Ich beteilige mich nicht gern an Debatten, die wenig bringen“, versucht er sein Verhalten in sachlichem Ton zu rechtfertigen. Dass dies vielleicht manchmal auch zu wenig Beteiligung sei, scheint seine Selbstsicherheit nicht zu beeinflussen – ohne, dass er dadurch überheblich wirkt. Straathof weiß, dass ihm die Unterstützung des Landes Mecklenburg-Vorpommern sicher ist.
Marion Zinke, Sprecherin des Landesumweltministeriums, sagt zu dem Bau: „Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass durch die Tierhaltung die Wertschöpfung in MV erhöht wird und das Bruttoinlandsprodukt und somit auch die Wirtschaftskraft des Landes steigen.“ Laut der Pressesprecherin liege das Land mit seiner Schweinehaltung noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. „Um den Bundesdurchschnitt zu erreichen, kann die Zahl der Schweine von momentan 770.000 Tieren sogar verdoppelt werden.“ Bei der Konzeption der Anlage in Alt Tellin wurde offensichtlich an alles gedacht. Zur Verwertung der Gülle wird gleichzeitig neben die Anlage auch eine Biogasanlage gebaut, die – laut Straathof – hundert Prozent der dortigen Gülle verwerten kann.
Für Olaf Spillner von der Bürgerinitiative „Leben am Tollensetal“ war die Genehmigung, die Anfang Oktober dieses Jahres für die Aufzucht in Alt Tellin ausgestellt wurde, nur ein Beweis für „vordemokratische Zustände“, wie er es beschreibt. Kaum Worte scheint der bildende Künstler am Telefon für die Sache zu finden, die „gegensätzlicher nicht hätte sein können“, beschreibt er das Genehmigungsverfahren mit hastiger Stimme. Als vor drei Jahren der niederländische Investor im Landkreis Demmin „aufkreuzte“, gründete Spillner zusammen mit anderen Gegner dieses Projekts die Bürgerinitiative. Zusammen sammelten sie mehr als 700 Unterschriften, die sie dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt in Neubrandenburg überreichten, um so die Massentierhaltung in der Gemeinde verhindern zu können.
Mit der endgültigen Genehmigung scheint die Enttäuschung über das Ignorieren von Bürgerinteressen kaum größer zu sein: „Da braucht man sich denn auch nicht zu wundern, wenn die Politikverdrossenheit steigt“ – davon scheint Spillner fest überzeugt. Immer wieder betont der bildende Künstler aus Höhenbüssow mit viel Überzeugung, dass sich das Land damit seinen touristischen Maßnahmen widerspreche. Die wirklich Betroffenen – in diesem Falle die Gemeindebewohner – hätten kein Mitspracherecht: „Hier wurden große Agrarinteressen lobbyistisch vertreten“, kritisiert der 54-Jährige harsch die jetzige Situation. Marion Zinke vom Landesumweltministerium habe Verständnis für die Einwände der Bürger: „Natürlich ist es oft so, dass sich in dem betroffenen Ort auch Proteste formieren. Deshalb gibt es den umfangreichen Anhörungsprozess, da hat jeder Bürger das Recht, seine Bedenken zu äußern und Argumente gegen den Bau vorzubringen. Diese müssen von der Genehmigungsbehörde auch berücksichtigt werden.“
Vieles sei wünschenswert, bemerkt sie, allerdings habe jeder das Recht ein solches Projekt – wenn es sich dann an gesetzliche Grundlagen halte – durchzusetzen. Das Land MV sei eben ein Flächenland, in dem schon aus Tradition her immer Tierproduktion betrieben wurde. „Der Art und der Bedürfnisse des Tieres nach muss eine angemessene Unterbringung gewährleistet sein“, verweist sie auf die geltende Gesetzgebung. Laut dieser soll ein Schwein zum Leben in der Massentierhaltung mindestens einen Quadratmeter haben, den es einzuhalten gilt. Das entspricht ungefähr der Fläche einer Telefonzelle.
Gegen das Projekt, das insgesamt 16 Fußballfelder groß sein wird, protestierten auch Greifswalder Studierende. Zwei von ihnen – Peter Fuchs und Jana* – waren auch bei der symbolischen Besetzung des stillgelegten Geländes im April 2009 dabei. Mit eindringlicher Stimme erklärt Jana die Nachteile für die Menschen vor Ort: „Es stinkt dort, das stört natürlich alles.“ Auch die weltweiten ökologischen Folgen seien fatal, argumentieren die beiden mit Nachdruck. „Und auch das Grundwasser wird verschmutzt“, es scheint, als würde aus Sicht der ökologischen Nachhaltigkeit immer mehr gegen einen Anlagenbau sprechen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat inzwischen Widerspruch gegen das Millionenprojekt eingereicht.
Für Frank Karstädt scheint das Thema jetzt klar vom Tisch zu sein. Seine Resignation – auch gegenüber der medialen Berichterstattung – ist kaum zu überhören. „Wir als Gemeinde werden oft als der schwarze Peter dargestellt. Das sind wir nicht.“ Eine Ablehnung von Seiten der beteiligten Gemeinden hätte seiner Meinung nach ebenfalls nichts gebracht. „Dann hätte der Landkreis Demmin diese Genehmigung für die Anlage ausgestellt.“
Mehrere Fälle gab es bereits, die gegen Straathof als Investor seiner Anlagen sprechen. Ein schwerwiegender Vorfall ereignete sich 2006 bei der Schweineproduktion in Medow bei Anklam. Damals fehlte bei dem Abschluss des Baus die nötige Kadaveranlage, Schweineleichen stapelten sich bergeweise in der Sommerhitze. Frank Karstädt hingegen scheint durch den Anlagenbau keine weiteren Befürchtungen zu haben, wie er mit gewohnt distanzierter Art versichert: „Wir haben uns auch andere Errichtungen von Herrn Straathof angeschaut, da hat es auch nicht gestunken.“ Zu den Vorfällen in Medow könne er nichts sagen, da solle man doch lieber den Investor persönlich fragen. Karstädt selbst, und das betont er mit Nachdruck, begegnete Straathof immer als „freundlich und sachlich.“ Als Straathof auf die Nachfrage über den Vorfall konfrontiert wird, lenkt er im beständig sachlichen Ton ein: „Das ist blöd gelaufen, muss ich wirklich zugeben. “ Man könne allerdings beruhigt sein, versucht er ausdrücklich zu klarzustellen: „Bei der Anlage in Alt Tellin wird die Kadaveranlage schon mit dem ersten Bauabschnitt fertig gestellt.“
Wenn alles reibungslos verläuft, kann bereits ab Dezember 2011 mit der Haltung und Aufzucht in der Massentierhaltung bei Alt Tellin begonnen werden. Dann erhält die Gemeinde zusätzlich zu ihren 45 Arbeitsplätzen auch mehr als 46 500 Schweine, die dem Prinzip Massentierhaltung trotz Fleisch-Überproduktion dienen werden. Das kahle Feld wird dann verschwinden, statt dessen werden Güllebehälter und die Aufzuchtsbauten das Bild des Ackers prägen. Viel Veränderung für das kleine Alt Tellin.
*Namen von der Redaktion geändert
Eine Reportage von Luisa Pischtschan mit Photos von Johannes Köpcke.