von Torsten Heil
Wer heute vor 13 Uhr in die Innenstadt gefahren oder gegangen ist, dem schien die Morgenruhe trügerisch zu sein. So, wie die Ruhe vor dem Sturm. An allen Ecken und Enden der Straßen positionierten sich dutzendweise Einsatzwagen der Bundespolizei sowie der Landespolizei. Mehrere Hundert Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet sind im Einsatz. Auch schweres Gerät ist aufgefallen: In der Schönwalder Landstraße wurde ein Wasserwerfer gesichtet. Am Bahnhof ist, abgesehen von dem massiven Polizeiaufgebot, nur wenige auf den Straßen.
Die Polizeidirektion Anklam und die Bundespolizeidirektion Bad Bramstedt haben sich offensichtlich umfassend auf den geplanten Einsatz vorbereitet. Mehrere hundert Polizisten sollen die Anti-Atom-Demonstration absichern. Nach Informationen des webMoritz stammen die Einsatzkräfte vorwiegend aus Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, der Hansestadt Hamburg und der Bundespolizei. „Wir halten starke Reserven aus dem gesamten Bundesgebiet bereit“, teilte der Einsatzleiter Polizeioberrat Gunnar Mächler mit. Insgesamt werden 4000 Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Der Demonstrationszug beginnt um 13:30 Uhr am Busbahnhof und zieht einmal um die Innenstadt. Der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), hat seine Teilnahme ebenfalls angekündigt.
Live-Ticker von der Demo:
von Marco Wagner, Torsten Heil, Gabriel Kords, Thomas Grothe und Simon Voigt
Informationen von der Demo im Ticker-Stil erhaltet ihr in Echtzeit auf dem webMoritz-Twitter-Feed. Die wichtigsten Infos gibt’s außerdem hier:
13:20 Zurzeit läuft ein Aufwärm-Konzert von Thomas Putensen. Danach wird es einige Ansprachen geben und dann geht’s los. Die Stimmung ist entspannt und gelöst. Die Polizeipräsenz ist allerdings nicht unerheblich.
13:30 Uhr: Die Kundgebung hat begonnen. Verschiedene Aktivisten halten kurze Wetzlar, Braunschweig, Wien, Hamburg, Rostock und vor allem aus der Greifswalder Umgebung. Es werden einige polizeiliche Auflagen (keine Glasflaschen, kein Laufschritt) kundgetan.
13:35 Uhr: Die Sprecher haben auch einige programmatische Forderungen : Abschaffung aller weltweiten AKWs, Subventionierung der erneuerbaren Energie durch Einnahmen der Kernkraft und keine Transporte ins verstrahlte russische Kernenergie-Zentrum Majak. Gesprochen haben unter anderem Ulrike Berger (Grüne) und Nadja Tegtmeyer.
13:45 Uhr: Der Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche (PEK), Hans-Jürgen Abromeit, spricht über Verantwortung. Auch fossile Brennstoffe seien keine alleinige Alternative. Und: „Der Mensch ist nicht allein auf der Erde.“ Jede Nation müsse globale Verantwortung übernehmen. Atomkraft sei „ein Verbrechen an den Kindern“.
13:48 Uhr: Die Veranstalter haben übrigens vorhin mit deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass Neonazis bei der Demo unerwünscht seien. Die Teilnehmer haben das lautstark unterstrichen.
13:50 Uhr: Die offiziellen korrigieren die Zahlen deutlich nach oben: Die Polizei geht jetzt doch von 1500 Teilnehmern aus (vor einer halben Stunde hieß es noch, wesentlich mehr als 1000 würden es wohl nicht), die Veranstalter wollen bereits über 2000 gezählt haben. Von den von ihnen erhofften 4000 Teilnehmern ist das aber noch weit entfernt.
13:55 Uhr: Ministerpräsident Sellering (SPD) sagte dem webMoritz: „Bei diesem schlechten Wetter kann man nicht mit mehr Leuten rechnen, aber ich bin erfreut über die Leute, die den Weg hierhergefunden haben und das mit großem Ernst verfolgen. Wir können auf Demonstrationstouristen aus anderen Ländern verzichten.“ Er vertrete die Position des Landes, die unter den Parteien im Landtag Konsens sei: Atommüll, der nicht aus Lubmin oder Rheinsberg komme, habe in Lubmin nichts zu suchen. Weiterhin: „Es ist schade, dass die Landesregierung keine rechtliche Handhabe gegen die Transporte hat.“ Eine Ansprache wird der Landesvater nicht halten.
14:05 Uhr: Unter den zahlreichen SPD-Mitgliedern, die an dem Protestzug teilnehmen, ist auch der Vize-Bürgerschaftspräsident, Jura-Professor und Landesverfassungsrichter Prof. Wolfgang Joecks. Er hält ein Pappschild mit den Worten „Hände weg vom Atomausstieg!“ und sagte dem webMoritz, dass er betrübt sei über das schlechte Wetter. Da alle dieselbe Meinung hätten, solle die Auftaktkundgebung kürzer ausfallen und stattdessen nun der Demonstrationszug beginnen.
14:10 Uhr: Der Demo-Zug hat sich inzwischen in Bewegung gesetzt. Die Demonstranten ziehen nun über die Bahnhofstraße.
14:20 Uhr: Der Regen hat aufgehört. Die bunt gemischte Gruppe zieht über die Bahnhofstraße. Am Ende des Zuges ziehen zwei Traktoren mit. Man sieht viele originelle Protest-Plakate und -Motive.
14:32 Uhr: Der Tross von Protestlern befindet sich momentan in der Geothe- /Ecke Stephaniestraße. Aufgrund der engen Straßen kam der Demonstrationszug zwischen durch zum stehen, ist aber jetzt wieder in Bewegung.
14:41 Uhr: Die Spitze der Demo ist inzwischen auf dem Hansering, in Höhe der Bereichsbibliothek am Schießwall. Demo-Beobachter Peter Madjarov vom Arbeitskreis Kritischer Juristen, der die Demo beobachtet, sagt, dass es keine besonderen Vorkommnisse seitens der Polizisten gibt, was der AKJ überprüfen wollte. Ein Mitglied der Organisatoren will deutlich über 3000 Teilnehmer gezählt haben – die Polizei geht weiterhin von deutlich unter 2000 aus.
14:50 Uhr: Ein Hubschrauber im Tiefflug beobachtet den Protestzug, dessen Ende jetzt die Europakreuzung passiert. Die Organisatoren behaupten inzwischen, es nähmen 3600 Teilnehmer teil.
15:05 Uhr: Das Ende des Protestzugs befindet sich noch auf dem Hansering, während dessen Spitze schon in die Bachstraße einbiegt. Der Tross kommt stellenweise etwas ins Stocken.
15:12 Uhr: Der Protestzug erreicht in Greifswalds engen Straßen eine beträchtliche Länge: Derzeit zieht die Spitze an der webMoritz-Redaktion in der Wollweberstraße vorbei, das Ende ist indes noch in der Bachstraße. Die Demonstranten produzieren mit ihren Trillerpfeifen und Sirenen erheblichen Lärm, der von den „Häuserschluchten“ in der Innenstadt nochmals verstärkt wird.
15:17 Uhr: Die Teilnehmer rufen „Abschalten, abschalten!“. Der Protestzug nähert sich mit seiner Spitze schon wieder dem Bahnhof.
15:25 Uhr: Das Ende des Protestzuges ist jetzt an der Wollweberstraße vorbei. Der Anfang hat bereits den Bahnhof erreicht.
15:39 Uhr: Alle Demo-Teilnehmer sind nun am Bahnhof angekommen. Nun beginnt dort in wenigen Minuten die Abschlusskundgebung. Derweil werden Spekulationen laut, dass die Anzahl von Teilnehmern aus der Region eher gering sein. Das ist aber ein unbestätigtes Gerücht.
15:44 Uhr: Wir zählen derzeit etwa drei Viertel der Teilnehmer, die zu Beginn der Demo auf dem Bahnhofsvorplatz waren. Ein Teil der Teilnehmer ist wohl in die Innenstadt diffundiert oder schon abgereist. Kilian Dorner vom Allgemeinen Studierendenausschuss spricht von der größten Anti-Atom-Demo in Greifswald seit 18 Jahren.
15:46 Uhr: Ingo-Schlüter, stv. Vorsitzender des DGB Nord spricht programmatisch gegen Atomkraft. Die schwarz-gelbe Regierung sei „verstrahlt“ und betreibe Klientelpolitik.
15:51 Uhr: Die Polizei geht inzwischen von circa 2500 Teilnehmern aus. Die Veranstalter bleiben bei einer Gesamtzahl von 3600.
15:53 Uhr: Die Veranstaltung werde noch ungefähr bis 16:30 Uhr gehen, sagt Mit-Organisator Michael Steiger.
16:05 Uhr: Oskar Gulla von der Klima-Initiative spricht. Anschließend sind noch drei weitere Redebeiträge geplant. Die Stimmung ist gut, die Teilnehmerzahl schrumpft allerdings.
16:13 Uhr: Einige Demonstranten werden derweil militanter und rufen: „Castor schottern, Castor schottern“.
16:16 Uhr: Die Foto-Galerie wurde aktualisiert. Der webMoritz-Ticker reduziert nun seine Frequenz ein wenig.
16:23 Uhr: Auf der Abschlusskundgebung spricht jetzt Kerstin Rudek, die Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow- Dannenberg. Sie verwies in ihrer Rede auf den erfolgreichen Protest der Anti-Atombewegung und betont: „Kämpfen lohnt sich. Lasst nicht zu, dass Stromkonzerne ihren Dreck bei euch abladen. Lasst nicht zu, dass eure Kinder an Leukämie erkranken und euch dann erzählt wird, es gäbe keinen Zusammenhang.“
17:00 In der Zwischenzeit sprachen Professor Konrad Ott und Michael Succow. Letzterer betont, dass es heute nicht mehr ausreiche, „die Glühbirne auszuwechseln. In der Atomdebatte muss die Führungsmannschaft ausgetauscht werden.“ Und weiter: „Als ich die Polizisten sah, wünschte ich mir, sie hätten heute zu Hause bei ihren Familien sitzen können. Denn in einer gut funktionierenden Demokratie müssten wir jetzt nicht hier demonstrieren.“
Konrad Ott verweist in seiner Rede auf den Weg von der Ani-Atombewegung zur Anti-Atompolitik, die vor 20 Jahren eingeleitet wurde. Allerdings habe sich die Regierung mittlerweile wieder von der Anti-Atompolitik entfernt. Um wieder zu einer solchen Politik zurück kehren zu können, müssten sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern. Ott weiter: „Die Laufzeitverlängerung war ein Geschenk, eine ganz lange Brücke für Stromkonzerne wie RWE. Ich halte die Entscheidung der Regierung für einen schweren Fehler.“
17:07 Die Demonstration ist nun zu Ende. Die letzten Redebeiträge kamen von Ulrike Mehl, stellvertretende Vorsitzende des BUND sowie von Verina Speckin vom republikanischen Anwältinnen und Anwälteverband.
Update 20.00 Uhr: Die webMoritz-Redakteurin Christine Fratzke hat sich das Mikrofon geschnappt und die Demonstranten vor Ort befragt. Was dabei herausgekommen ist, ist im folgenden Podcast zu hören:
[podcast]http://webmoritz.de/wp-content/uploads/2010/12/anti-castor-demo-11-12-2010-christine-fratzke.mp3[/podcast]
Fotos: Torsten Heil, Simon Voigt, Marco Wagner und Thomas Grothe
Trotz schlechtem Wetter ganz schön was los am Bahnhof. Hoffentlich verläuft die Demo friedlich und erfolgreich!
Hier die ersten Fotos: http://tinyurl.com/27ttzmx
Gestern A20 nach Lübeck begegneten mir diverse Panzer- und Wasserwerferfahrzeuge der Polizeit sowie Einsatzwagen. Da wusste ich schon warum ich wegfahre 😀
ARD spricht allerdings von nur 850 Teilnehmern.
Da die auf dem Busbahnhof ihre Kundgebung haben wären 4000 Leute vielleicht auch etwas viel für den kleinen Platz. Aber es sind auch immer noch Leute auf dem Weg zur Demo, also können es sicher nochmal ein paar mehr werden.
Also die meisten Medienvertreter sprechen von 2000 bis 2500 Teilnehmern. Man fragt sich nur, ob die alle selbst gezählt oder alle beim gleichen abgeschrieben haben.
Schön, dass Selle es geschafft hat. Was er mit "Wir können auf Demonstrationstouristen aus anderen Ländern verzichten" meint, ist mir schleierhaft?!
Herr Joecks muss man derweil zustimmen: Wenn man kein rhetorisches Talent hat, sollte man bei dem Wetter die Leute auch nicht aufhalten, nur weil es der Proporz der teilnehmenden Verbände so will. Das gleiche gilt für den Herrn Kirchenvertreter: Schön, dass er die Meinung hat, der Mensch ist zur Herrschaft über die Erde bestimmt, weil er das einzige Geschöpf ist, das mit Gott kommunizieren kann (btw: mit mir hat der noch nie gesprochen!)… Wenn Igel sprechen würden, würden sie das gleiche behaupten! Hätte man sich also auch sparen können.
Ansonsten gute Veranstaltung und super Stimmung!
…danke für den Ticker an die Webmoritzlerinnen, aber meines Wissens nach bin ich kein Mitorganisator?
16:13 Uhr "Einige Demonstranten werden dieweil militanter und rufen: “Castor schottern, Castor schottern”.
na wenn sonst nix ist o.0 muss halt das rufen von Parolen als Militanz herhalten so ohne geht es ja auch nicht
Auch schön die Titelzeile der OZ: "Castor-Demo in Greifswald bleibt friedlich" -> Was wurde denn erwartet? Dass Autos brennen?
Hier sind viele Fotos der Anti-Castor-Demo: http://tinyurl.com/27ttzmx
Auch die OZ tickert! http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpun…
Eine Kernaussage: „… 15.21 Uhr: Sellering leht [sic] eigene Klage gegen Laufzeitverlängerung ab. Grund sei die große Koalition in Schwerin. …“
Ja da kommt man schon in politische Glaubwürdigkeitskonflikte bei dem
Koalitionspartner. 😉
Wenn man die parlamentarische Demokratie als legitim ansieht, gibt es da keinen Glaubwürdigkeitskonflikt – lediglich einen Kompromiss der nicht allen gefällt.
Wenn man das System ablehnt, kann man natürlich auf Glaubwürdigkeitslücken bestehen.
Dann war/ist Sellerings Vorgänger Ringstorff wohl einer, der „Das System“ ablehnt. 😉
Mag ja sein, dass 2001 einige der hier kommentierenden noch mit der Trommel um den Christbaum gelaufen sind.
Eine Recherche hätte z. B. folgendes ergeben:
– "Ich habe gegen den Koalitionsvertrag verstoßen. " Seit er im Bundesrat in einer einsamen Entscheidung gegen den erklärten Willen der PDS der Rentenrefom zustimmte, hat Ringstorff sein Votum hartnäckig verteidigt. Er habe das im Interesse des Landes und der Bürger getan. Kein Wort der Entschuldigung gegenüber dem düpierten Koalitionspartner. – https://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/arch…
Was spricht für Sellering dagegen in diesem Fall wie Ringstorff, im Interesse des Landes und der Bürger, zu verfahren?
Landtagswahlen wären sowieso im nächsten Jahr und die CDU würde es sich bei der augenblicklichen Stimmungslage reiflich überlegen, ob sie aus der Koalition aussteigt.
Schade dass die Demonstrationsbeobachter vom AKJ nix zu tun hatten. Jetzt haben die armen Jura-Studenten noch immer kein Thema für die nächste Seminararbeit 🙁
Na zum Glück entsteht immer Abfall im Haushalt – somit ist deine Zukunft als Müllfahrer auch weiterhin gesichert…
ahhh – danke für die Info 🙂
Jetzt wissen wir warum es Dich gibt..?
Danke lieber webMoritz für die umfangreiche, schön bebilderte und gute Berichterstattung!
(Im Übrigen auch für die von der Vollversammlung…)
Genau, vielen Dank dafür!
Auch von mir ein ganz großes Dankeschön für die gute Berichterstattung (vorallem für die Bilder und den Podcast). Am liebsten wäre ich ja heute in Greifswald dabei gewesen, aber so hatte ich zumindest das Gefühl ein bisschen dabei zu sein.
>Vivienne Speckien<
Es handelt sich um Verina Speckin. Verina Speckin ist Gründerin der Strafverteidigervereinigung Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied des Landesverfassungsgerichts MV. Sie ist zudem Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV).
Ich bitte das im Artikel zu korrigieren bzw. zu ergänzen.
boah… hört Euch mal den Podcast an… da scheinen wirklich Leute auf der Bühne gestanden zu haben die tatsächlich der Meinung sind, dass
"WESTdeutscher Atommüll nicht in ein OSTdeutsches Zwischenlager gebracht werden darf…"
weil es ursprünglich für "OSTdeutschen Atommüll" geplant wurde..
und solange die Mauer in den Köpfen existiert werde ich mich darüber wundern!
Wer gestern die musikalische Weltpremieren im hedonistischen Block verpasst hat, kann sich die Tracks:
– Old Schotterhand & the HI allnostars – Atomkraft wegbassen!
– Andi G. Wehre vs. Pantha du prince – Castoralarm
jetzt auch bei Soundcloud anhören. http://soundcloud.com/hi_hgw
Mich hätte es gefreut, wenn Schlüter vom DGB auch so couragiert gegen das SKK Lubmin gewettert hätte. Dieser Mut fehlte ihm leider, da die DGB Führung diesen Schwachsinn befürwortet.