Rektoren außer Dienst – in dieser Ausgabe mit Dieter Birnbaum
Das Graben in der Rektoren-Geschichte der Universität hat uns an einem schönen sonnigen Nachmittag im Frühherbst nach Karlsburg geführt. Dort trafen wir Prof. em. Dieter Birnbaum. Sein Jagd-Hobby hatte er an diesem Tag bereits ausgelebt. In seinem Wohnzimmer unterhielten wir uns mit ihm, umringt von seinen Jagdtrophäen, einem ausgestopftem Wildschweinkopf, Marder und Fuchsfell. Geboren 1931, studierte er in Greifswald und war dort bis 1990 Professor für Biologie. Von 1979 bis 1985 war er Rektor der Greifswalder Universität.
moritz Sie waren von 1979 bis 1985 Rektor. Wir können uns vorstellen, dass es in der DDR schwierig gewesen ist, die eigenen Ideen durchzusetzen. Wie war das damals?
Dieter Birnbaum Ja, mit der Frage habe ich schon gerechnet. Es ist so, dass ich ja ein überzeugter Anhänger des DDR-Regimes, beziehungsweise des Sozialismus war. So, dass ich nie große Konflikte gehabt habe. Es gab einige Dinge – sicher – mit denen ich nicht einverstanden war, aber in der Regel habe ich damals die Politik vertreten, die Gang und Gebe war. Die Partei hat alles bestimmt. Ich war selbst viele Jahre Mitglied der Universitätsparteileitung –schon als Student und nach dem Studium auch. Und als Rektor habe ich natürlich das umgesetzt, was dort beschlossen wurde. Ich stand hinter der Partei.
moritz Wie war die Zeit nach Ihrer Funktion als Rektor? Mussten Sie sich zuerst einmal erholen und haben Sie sie eventuell vermisst?
Birnbaum Nein, nein. Ich bin danach ganz normal in die Sektion der Biologie zurückgekehrt. Irgendwann war ich dann etliche Jahre Sektionsdirektor, außerdem hatte ich die Leitung des Bereiches Molekularbiologie – Biochemie und Genetik inne. Nach meiner zweiten Amtszeit habe ich keine Pause gemacht. Ich habe während meiner Zeit als Rektor trotzdem die Biochemie-Vorlesungen gehalten. Für die Studenten war das nicht so angenehm, weil ich die Vorlesungen immer um 7:15 Uhr gehalten habe, damit ich danach Zeit für meine Rektortätigkeit hatte (lacht). Ansonsten – nachdem ich drei Jahre Rektor war – habe ich für mich selbst sichergestellt, die Funktion noch eine Periode auszuüben und dann sollte Schluss sein. Also Ende ist Ende, dann laufe ich auch nicht alle 14 Tage ins Rektorat. Mit anderen Funktionen habe ich das immer genauso gemacht. Nicht mehr Aufdrängen und vor allem nicht mehr reinhängen – das darf man nicht. Aber der Kontakt mit der Universität ist bis heute noch vorhanden. Die ehemaligen Rektoren werden immer wieder zu manchen Veranstaltungen und verschiedenen Anlässe eingeladen.
moritz Wann sind sie aus dem Lehrbetrieb von der Uni ausgeschieden?
Birnbaum Ausgeschieden bin ich gleich nach der Wende – 1990. Ich war nicht mehr weit vom Pensionsalter entfernt und dann, wie schon erwähnt, bin ich auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Ich war praktisch vom Studium bis zum Ende nur in Greifswald, mit einer halbjährigen Unterbrechung, wo ich dann in Moskau am biochemischen Institut war.
moritz Und wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Birnbaum (lacht) Da ist nicht viel zu sagen. Im wesentlichen mache ich alles was mit Jagd zusammen hängt. Zum Beispiel hatten meine Frau und ich heute die Idee auszugehen und zu gucken, ob es noch irgendwo Enten gibt und da habe ich drei Wildenten geschossen. Ansonsten fahren wir in den Wald, suchen Pilze, spazieren viel, gehen Einkaufen und natürlich pflege ich meinen Garten. Das ist das Wesentliche, was wir machen. Ein ganz normaler Tagesablauf, wie man früher sagen würde: ein spießiges Leben. Ich verfolge auch noch was an der Universität passiert, allerdings nur durch die Presse.
moritz Wenn Sie die Universitätsangelegenheiten immer noch verfolgen, dann haben Sie bestimmt die tendenzielle Entwicklung der Universität bemerkt. Im Hinblick darauf, dass sich die Universität mehr auf die Naturwissenschaften und die Medizin spezialisieren möchte und vor allem die Philosophische Fakultät immer mehr abgebaut wird…
Birnbaum Mit der Lehrerbildung nicht? Aber mit anderen Dingen auch.
moritz Ja.
Birnbaum Ich verfolge das natürlich. Das war aber schon immer so gewesen, dass die Universität mehr in die Naturwissenschaften investiert hat als sonst in andere Stellen. Die Biologie war schon in der DDR mitführend und ein Schwerpunkt der Fakultät. Die umfangreichste mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät hatte Greifswald. Was die Lehrerausbildung betrifft, ist die Sache ein bisschen zwiespältig. Ich weiß von früher, dass einige in den Naturwissenschaften nicht so traurig waren als die Lehrerausbildung in den Naturwissenschaften beendet wurde. Nehmen Sie die Biologie. In der Biologie gibt es keine Lehrerausbildung mehr. Wir hatten früher eine umfangreiche Lehrerausbildung, aber damals hatten wir im Semester um die 25 Biologie-Studenten und heute haben sich die Zahlen bestimmt verdoppelt, aber mit dem gleichen Mitarbeiterstab. Die Praktikumsplätze sind limitiert worden und deshalb ist es wahrscheinlich nicht mehr so einfach zu meistern wie früher. Wie ich gehört habe, soll ja auch nicht die gesamte Lehrerausbildung nach Rostock verlegt werden, sondern nach Fächern zwischen den beiden Universitäten aufgeteilt werden. Und dann müsste man sehen, welche Fächer in Greifswald bleiben und wie man die Fächerkombination gestalten kann.
moritz Was halten Sie vom Bachelor-System?
Birnbaum Dazu kann ich leider nicht viel sagen. Aber ich bin der Auffassung, dass es nicht besser ist, als das, was wir vorher hatten. Ob dieses System insgesamt und auch konkret für die Studenten besser ist, ist für mich die Frage. Ich denke, dass das auch fachspezifisch ist. Ich bin der Meinung, dass es Fächer gibt, in denen man nach sechs Semestern für das qualifiziert ist, was man später beruflich machen will. Das wissenschaftliche Arbeiten ist dann das, was vielleicht am Ende zu kurz kommt.
moritz Gab es auch in Ihrer Zeit ähnliche Studienreformen?
Birnbaum Nein. Solange ich an der Uni war, kann ich mich jetzt nicht erinnern, dass es ähnliche Studienreformen gab.
moritz Wie gestaltete man damals die Studienfinanzierung? Gab es auch so etwas wie das BAföG heute?
Birnbaum Es gab Stipendien. Als man das Studium angefangen hat, gab es ein Grundstipendium von ungefähr 180 Ost-Mark und es gab Leistungsstipendien so um die 40-80 Ost-Mark. Im zweiten Studienjahr habe ich schon geheiratet und meine Frau und ich konnten mit unseren Stipendien ganz gut auskommen. Wir hätten nicht studieren können, wenn es diese Stipendien nicht gegeben hätte.
moritz Sie waren der erste Professor für Biochemie, der als Rektor gewählt worden ist.
Birnbaum Ja, das ist korrekt. Vorher hat es so einen Professor als Rektor nicht gegeben. Als ich Rektor wurde, habe ich in meiner Antrittsrede zwei Vorbilder genannt. Das war einmal mein Diplomvater Professor Boris, der war Botaniker, der hat praktisch den Grundstein für die Biochemie hier in Greifswald gelegt, und dann der Pharmakologe Professor Schehler, der vorher auch mal Rektor gewesen ist. Das waren zwei Rektoren, die die Biochemie etabliert haben. So eine Fachrichtung gab es ja vorher an unserer Universität nicht.
moritz Die Universität Greifswald hieß auch in der DDR Ernst-Moritz-Arndt Universität. Vor ein paar Jahren gab es schon mal einen Versuch den Namen zu ändern. Gab es solche Versuche und Diskussionen damals auch?
Birnbaum Nein, überhaupt nicht. Damals waren natürlich nicht alle Details bekannt, wie sie jetzt hervor gezogen worden sind. Ich glaube, von Seiten der Bundesrepublik gab es keine Diskussion, obwohl es damals in der BRD und heute auch noch Ernst-Moritz-Arndt-Schulen gibt und gab. Wenn man über solche Namen spricht, dann wird man immer irgendetwas über irgendjemanden finden, das nicht so ganz stimmt: Zum Beispiel bei Goethe oder jemand, der in der Feudalismuszeit gedient hat. Es ist etwas anderes, wenn jemand exponierter Faschist war und den anderen Schaden zugefügt hat. Da gehe ich durchaus mit, dass man da keine Konzession machen sollte. Aber ich muss trotzdem sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, dass sich die Mehrheit der Studenten – die abgestimmt haben – für die Beibehaltung des Name gestimmt haben.
moritz Die Studenten können über vielen universitären Angelegenheiten abstimmen. Gab es zu Ihrer Zeit als Rektor diese studentisch-politische Struktur: Das Studentenparlament, den allgemeinen Studentenausschuss und Ähnliches?
Birnbaum Nein, natürlich gab es das nicht. Es gab nur die FDJ, die praktisch der Partner der Universität war, wenn etwas mit den Studenten zu besprechen war. Da war auch eine Mitbestimmung durch den Jugendverband. Dieser hatte einen bestimmten Einfluss auf die Universität. Aber abgesehen davon, wie es damals war, gefällt es mir heutzutage nicht so ganz, wenn die Studenten zu viel Mitbestimmung an der Universität haben (lacht), beziehungsweise finde ich die Forderungen nach Mitbestimmung auf einigen Feldern überflüssig. Ja, ich will das ruhig deutlich machen, dass ich nicht gegen Demokratie und Mitbestimmung der Studenten in bestimmten Bereichen bin, aber wenn Studenten schon über Berufungen mitreden wollen, das halte ich für unsinnig. Ein Beispiel ist, über das ich gelesen habe – ich weiß jedoch nicht ob das auch auf Greifswald zutrifft – dass Studenten zu einem großen Anteil im Senat sitzen und dass sie in Berufungsfragen mitreden können. Berufungsfragen müssen kompetent durch Wissenschaftler entschieden werden.
moritz Aber wenn man mehrere Meinungen hört, ist das doch gut. Weil es immer auch darum geht, dass man als Student später vor dem Dozent sitzt und er/sie das Stoffgebiet anschaulich erklären kann.
Birnbaum Wie kann ein Student jemanden fachlich und kompetent einschätzen, wenn der beispielsweise aus Düsseldorf hier einberufen werden soll?! Vielleicht könnte man recherchieren, zum Beispiel im Internet oder an irgendwelchen Stellen nachfragen, das halte ich aber für überzogen. Gut, wenn sie bei der Vorstellung der zu berufenden Professor dabei sind, das mag noch angehen. Es kann sowieso nur sein, dass man die Meinung über denjenigen sagt, bei dem man Vorlesungen hat. Da kann man schon bewerten oder Beschwerden vorbringen. So etwas hat es damals bei uns auch hin und wieder gegeben. Das ist akzeptabel, aber dass das heute noch im Internet öffentlich gemacht wird, ist dann doch fragwürdig. Auf jeden Fall müssen die Gebiete betroffen sein, die die Studenten tatsächlich betreffen, da sollen sie schon mitreden können.
moritz Zum Abschluss, was würden Sie noch über die Entwicklung der Universität sagen?
Birnbaum Ich freue mich eigentlich über jede Entwicklung. Ich habe zu wenig Einblick in die Philosophische Fakultät und in die Ereignisse dort. Deswegen kann ich dazu kaum etwas sagen. Aber ich halte es für sehr wichtig, dass einige Schwerpunkte der Philosophischen Fakultät, wie die Nordeuropawissenschaften erhalten bleiben, da gewissermaßen diese immer Aushängeschilder der Universität sein werden. Meiner Ansicht nach muss darauf geachtet werden, dass solche Sachen nicht vernachlässigt werden. Die Universität muss in ihrer Gesamtheit erhalten bleiben und da gehört die Philosophische Fakultät primär dazu. Die Räumlichkeiten der Fakultät sind sehr stark vernachlässigt, aber eine Lösung für dieses Problem muss gefunden werden. Aber all die Institutsneubauten der Naturwissenschaften sind schöne räumliche Entwicklungen der Universität. Abgesehen davon, sollte in Zukunft die Verbindung der Universität zur Praxis und zur Industrie beibehalten und sogar noch verstärkt werden. Die Grundlagen der Wissenschaften müssen erhalten bleiben und dürfen nicht in den Hintergrund geraten.
moritz Herr Professor Birnbaum, wir danken Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Das Interview führten Gjorgi Bedzovski und Luise Röpke.