Interview mit dem musikalischen Leiter der Greifswalder Bachwoche, Kirchenmusikdirektor Prof. Jochen A. Modeß
moritz Wie kam es 1946 zur Gründung der Greifswalder Bachwoche?
Prof. Jochen A. Modeß Es gab nach dem Krieg ein paar begeisterte Musiker, die sich um den Domorganisten und Domkantor Hans Pflugbeil scharten. Dieser hat dann mit einigen überlegt, in einem Strandkorb in Hiddensee, man müsste eigentlich in dieser kulturlosen Zeit wieder Musik machen. So haben sich dann diese ersten Bachtage entwickelt, die plötzlich jedes Jahr stattfanden. Die Bachwoche hat sich als ältestes Festival hier in Mecklenburg-Vorpommern etabliert. Wir sind froh, dass wir das jedes Jahr wieder machen können.
moritz Sie haben 1994 die musikalische Leitung übernommen. War das gleichzeitig Ihr erstes Jahr als Kirchenmusikdirektor?
Modeß Ja, ich bin im Oktober 1993 zum Professor berufen worden. Es war von vornherein so konzipiert, dass ich die Leitung der Bachwoche übernehmen solle. Seitdem bin ich jährlich dran.
moritz Was hat sich seitdem verändert?
Modeß In der Grundstruktur hat sich eigentlich nicht so viel geändert. Die geistlichen Morgenmusiken, natürlich die großen Konzerte und die Bachbeiträge sind geblieben. Heute sind die Bachkantaten zum Mitsingen konzipiert, was sehr gut angenommen wird. Ich habe die Kinderkonzerte eingeführt, außerdem haben wir in diesem Jahr zum ersten Mal ein Spezialangebot für Jugendliche gemacht, was gut funktioniert hat. Das ist wieder ein neuer Akzent. Ich habe die Humorschiene eingeführt, die auch immer mal wieder stattfindet. Wir haben feste Vorträge. Auch so ein bisschen Crossover, also da gibt es schon ein paar neue Entwicklungen, die das Gesamtbild wieder belebt haben.
moritz Die diesjährige Bachwoche besuchten ungefähr 10?000 Gäste. Sind Sie damit zufrieden?
Modeß Ja, sicher. Das ist immer so unser Level, viel mehr Leute gehen ja in die Räume nicht hinein. Auch die Veranstaltungszahl ist immer ungefähr gleich, viel mehr passt in so eine Woche nicht rein. Es geht ja jetzt schon zum Teil von morgens um zehn Uhr bis nachts um ein Uhr. Ich denke, wenn wir so konstant in dieser Gegend von der Zuschauerzahl her bleiben, dann ist das in Ordnung.
moritz Was sagen Sie zur Zahl der anwesenden Studenten?
Modeß Das ist natürlich ein Gesamtproblem unserer Hörerschaft. Da müssen wir viel dafür tun. Deswegen liegt mir auch so viel an diesen Kinder- und Jugendprojekten, die dann Jüngere schon mal anwärmen für die Bachwoche. Es gibt natürlich schon einige Studenten, aber wir sind da vielleicht auch noch ausbaufähig. Das ist jedoch nicht nur bei uns so. Ich habe gerade erst einen Vortrag über die Museumsarbeit gehört, in dem auch gesagt wurde, dass die Zuschauerzahl schon zufriedenstellend ist, dennoch mit zu wenigen Studenten darunter. Man muss mal darüber nachdenken, woran das liegt.
moritz Wie sind sie auf das Thema „Bach und Russland“ in diesem Jahr gekommen?
Modeß Das entwickelt sich immer so aus den großen Hauptwerken. Ein Abend des Domchores ist immer Bach gewidmet und dann gibt es die Frage, wo ist der zweite Schwerpunkt. Mich hat schon lange die Passion von Sofia Gubaidulina (Anmerkung: russische Komponistin, die in Norddeutschland lebt) interessiert. Außerdem hat mir ein russischer Kollege schon vor Jahren gesagt: „Wär das nicht was, Bach und Russland, da gibt es doch eine ganze Menge.“ Das hat mich interessiert, gerade weil die russische Rezeptionsgeschichte Bachs eine spannende ist.
moritz Was war ihr Highlight dieses Jahr?
Modeß Ach, das ist immer eine so schwierige Frage. Ich habe ja nicht ganz alles erleben können, weil ich zwischendurch auch noch proben muss. Ich würde das aber nicht werten. Die großen Aktionen, die besonders viele Ausführende bringen, wie zum Beispiel das Abschlusskonzert, die sind natürlich schon monumental.
moritz Hat irgendetwas nicht so geklappt, wie Sie sich das vorgestellt hatten?
Modeß Naja, Kleinigkeiten gibt es immer, auch im organisatorischen Bereich. Aber eigentlich gab es keinen größeren Einbruch. Es könnte ja auch immer mal sein, dass etwas nicht stattfindet, es kann ja mal jemand krank werden. Da sind wir davor bewahrt geblieben und dafür bin ich sehr dankbar.
moritz Können Sie schon einen Ausblick auf das nächste Jahr geben?
Modeß Ja, das Thema ist „eng(e)lisch“, es geht um Engel und es geht um englische Musik. Das zusammengenommen wird sicherlich spannend werden. Der Zeitraum steht ebenfalls (Anmerkung: 20.?-?26.6.2011). Ich bin dabei eine neue Oratorienform von Bach zusammen zu stellen, um nochmal eine andere Konstellation von Bach zeigen zu können. Auch gibt es ein Stück, in dem Gospels vorkommen. Das ist nochmal eine ganz andere Farbe als wir sie bisher hatten. Drumherum wird sich sicherlich vieles entwickeln. Ich bin immer ganz überrascht, wenn nach so einem Abschluss der Bachwoche die Solisten zu mir kommen und ihre Ideen an mich herantragen. Was da so alles zusammen kommt, wenn das Thema schon bekannt ist. Dann entwickelt sich die Bachwoche fast von selbst, man muss schon auswählen. Aber das ist ein Luxusproblem.
moritz Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Rau, das Bild stellte uns Prof. Modeß zur Verfügung.