Die Insomnale feiert zehnjähriges Jubiläum.
Nach und nach betreten acht Frauen die „Bühne“ im Ausstellungsraum der Dompassage. Alle tragen individuelle, gänzlich weiße Kostüme. Die erste trägt eine weiße Tüte über dem Kopf, so dass sie nichts sehen kann. In ständig sich wiederholenden Bewegungen schlägt sie eine imaginäre Picknickdecke auf. Im Hintergrund läuft unauffällige elektronische Musik. Nachdem alle, gleichsam irritierend kostümiert und agierend, ihren Platz eingenommen haben, öffnet die letzte einen mitgebrachten Picknickkorb. Sie gießt einigen Darstellern imaginären Kaffee ein. Während sie trinken, verteilt eine andere weniger imaginären Kuchen an das zahlreich erschienene Publikum. Nachdem der Kuchen verteilt ist, verlässt man die Bühne wieder. Einige Sekunden herrscht Stille, erst allmählich begreift das Publikum, dass die Vorstellung zu Ende ist, und beginnt zu klatschen.
So zwiespältig, wie bei dieser einleitenden Performance, dürften die Gefühle der Zuschauer bei so einigen Ausstellungsstücken der Insomnale 2010 gewesen sein. Als nicht versierter Ausstellungsgänger moderner Kunst, steht man vor dem ein oder anderen Werk und fragt sich aufrichtig, was das bedeuten soll. Prof. Ulrich Puritz, Lehrstuhlinhaber Theorie und Praxis der Bildenden Kunst, ist da schon etwas weiter: „Für mich ist das ein vollkommen veraltetes Kunstverständnis. Ich finde Werke ganz langweilig, bei denen ich sagen kann, das ist das und das. Wo man eine Überschrift bilden und es abhaken kann.“ Er ist seit 1996 Professor am Caspar-David-Friedrich-Institut und begeistert von den Arbeiten der Studenten: „Die Insomnale wird mit jedem Jahr frecher, erfindungsreicher und komplexer.“ Zehn Jahre hatte die Veranstaltung Zeit sich weiterzuentwickeln, was nicht immer so einfach ist, wie es scheint. „Das Organisationsteam setzt sich jedes Jahr neu zusammen. Das heißt, wir müssen das Rad quasi neu erfinden. Es gibt wenig Vorarbeit, auf die man sich berufen kann“, erklärt Dominique Öder vom Organisationsteam. Dementsprechend habe das zehnjährige Jubiläum der Insomnale auch keine so große Bedeutung für die Studierenden. Das passt zum pädagogischen Grundgedanken des Konzeptes. Dieser ist nämlich darauf ausgerichtet, den Studierenden das Handwerk des Kurators praxisnahe zu vermitteln. Dabei müssen die Künstler viel mehr auf den Kontext achten, auf die Interaktionen zwischen den verschiedenen Ausstellungsstücken. Außerdem ergibt sich durch den Wettbewerb untereinander eine Möglichkeit des Vergleichs mit anderen Kommilitonen.
Der Wettbewerb stand für viele teilnehmende Studierende sicherlich im Vordergrund. Gerade die Gewinner, an erster Stelle Julia Leschik mit ihrem Werk „Dirty Harry“ für die Bildende Kunst und Susann Jonneg für die Kunstwissenschaft, dürften sich über die Preise gefreut haben.
Für Greifswalds kulturellen Charme ist jedoch das Gesamtkonzept eine Bereicherung. Dank der intensiven Kooperation mit Nico Schruhl vom „klein stadt GROSS“-Projekt, wurde die Ausstellungen durch zahlreiche musikalische Akts begleitet. Neben dem aus Rostock stammenden Liedermacher Thomas Putensen, konnte das Martin Terens Jazz Trio für die Eröffnung der Ausstellung gewonnen werden. Ausserdem gab es einen Auftritt der Greifswalder Bands Naked Neighbours on TV und Mexicola, die ganz im Sinne der experimentierfreudigen Ausstellung ein Konzert in einem abgetrennten Raum aufführten, das per Beamer und Live-Stream in den Nebenraum übertragen wurden. Ein innovatives Konzept, das aber den Konzert-Charakter ein bisschen vermissen ließ.
Die allumfassende Raumproblematik unserer Universität verschont auch dieses Projekt nicht. Jedes Jahr ist es aufs Neue eine Herausforderung für die Organisatoren, einen geeigneten Ausstellungsraum zu finden. In der Langen Reihe 1 vielen kurzfristig zwei von drei Etagen als Ausstellungsraum weg. „Nach der Begehung durch diverse Ämter, Ordnungsamt, Feuerwehr und Co, wurde kurz vor Ausstellungsbeginn festgestellt, dass zum Beispiel nicht genug Fluchtwege vorhanden sind oder die Fenster nicht breit genug sind“, so Dominique Öder. Dem Improvisationstalent von Kunststudenten gerecht werdend, wurde als Ausweichmöglichkeit eine größere Halle in der Dompassage gefunden.
Dieses Hin und Her in Sachen Räumlichkeiten ist auch eine enorme Herausforderung für die beteiligten Studierenden, auch in finanzieller Hinsicht. Aber so sorgte es in den vergangenen, wie auch in diesem Jahr dafür, dass das Greifswalder Kulturklientel immer neue Veranstaltungsorte kennenlernte, die alle mit ihrem eigenen Charme überzeugen können. Wie dieses Jahr auch die Lange Reihe 1 an der Europakreuzung, welche auch sinnstiftend für das Motto „Kunstkreuzungen“ der diesjährigen Insomnale war.
Ein Bericht von Patrice Wangen