Vom 31. Mai bis zum 6. Juni fand zum 64. Mal die Greifswalder Bachwoche statt. Wie die Veranstalter bereits einen Tag vor dem Ende des ältesten Musikfestivals in M-V stolz vermeldeten, besuchten dieses Jahr über 10.000 Gäste Veranstaltungen in der Bachwoche.

Das diesjährige Thema „Bach und Russland“ bot dabei viele Möglichkeiten, Klassik auch einem erweiterten Publikum nahe zu bringen, das bisher keinen wirklichen Zugang zur Klassik fand. webMoritz-Autor Felix Kremser blickt zurück auf einige außergewöhnliche Veranstaltungen der Bachwoche – ein zweiter Teil über einige der “klassischen” Konzerte folgt in den nächsten Tagen.

Peter und der Wolf

Gab sich diesmal mit der Sprecherrolle zufrieden: KMD Modeß

Bei der Suche nach einflussreichen russischen Komponisten sticht sofort der Name Sergej Prokofjew hervor, dessen musikalisches Märchen „Peter und der Wolf“ weltweit bekannt ist.  Am Mittwoch führten der Kinderchor St. Marien, die Domchöre und das Universitäts-Sinfonie-Orchester das berühmte Märchen im Dom St. Nikolai auf.

Das Besondere an „Peter und der Wolf“ ist, dass jeder Charakter durch ein anderes Instrument dargestellt wird, so zum Beispiel die Katze durch die Klarinette oder Peter durch die Streicher, die Handlung allerdings wird von einem Sprecher vorgetragen.

Um die Besucher auf das Märchen einzustimmen, führten die Kinderchöre vor Beginn des Hauptstücks drei russische Tanzlieder in Originaltrachten auf. Kirchenmusikdirektor (KMD) Jochen A. Modeß zog mit seinem Dirigentenpult an den ungewohnten Rand der Bühne und verlas eine deutsche, vom Humoristen Loriot adaptierte, Textfassung. Sichtlich begeistert davon, auf der Bühne mehr machen zu dürfen als zu singen, versetzten sich die Kinder voller Enthusiasmus in ihre Rollen.

Dabei achteten sie sehr genau auf die, durch die spezifischen Themen und Instrumente ausgedrückten, Eigenschaften ihrer Charaktere. Angesteckt von dieser Spielfreude vertonte das Orchester die Handlungen der Darsteller mit Leichtigkeit und ließ alle Instrumente klar betont zur Geltung kommen, so dass sich auch bei geschlossenen Augen eine der Situation entsprechende Stimmung einstellte.

Brusscussion

Wie der Name bereits andeutet, besteht das Ensemble “Brasscussion” einzig aus Blechblas- und Schlaginstrumenten, mit denen moderne oder klassische Kompositionen neu instrumentiert werden. Für seinen Auftritt im Rahmen der Bachwoche legte das Ensemble den Fokus auf russische Komponisten wie Tschaikowsky, Schostakowitsch oder Mussorgsky, dessen komplettes Werk „Bilder einer Ausstellung“ neu vertont wurde. Während zwei Schlagzeug-Sets, Glockenspiele, Pauken, eine riesige asiatische Trommel und ein Gong zur perkussiven Gestaltung der Stücke genutzt wurden, trugen die Blechbläser, unterstützt durch mehrere Xylophone, die Melodien erhaben vor.

Mit Pauken, Xylophonen und Blechbläsern warteten BRASSCUSSION auf

Im Anschluss an die Eröffnung durch  Richard Strauss’ weltberühmte Fanfare „Also sprach Zaratustra“, folgte ein perkussives Intermezzo der Schlagzeuge, Pauken und Xylophone, die mit ungewohnten Arrangements den Körper zur Bewegung anstachelten. Danach folgte das Ensemble jedoch seinem russischen Programm, so dass dieser Exkurs leider der einzige seiner Art an diesem Abend bleiben sollte.

Durch die gekonnte Verwendung der exotischen Schlaginstrumente und der beeindruckenden Blechblasmelodieführung stiegen die russischen Stücke, die im Original bereits kraftvoll instrumentiert sind, in monumentale Sphären auf, in denen sonst nur Komponisten wie Wagner zu finden sind. Nachdem die letzte Note aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ verhallt war, folgten mehrminütige Beifallsbekundungen des Publikums, das dem Ensemble so mehrere Zugaben abringen konnte, die außerhalb der klassischen Sphären lagen.

In diesen zeigte sich dann auch der eigentliche Charme des ungewöhnlichen “Brasscussion”-Konzepts. Während die russischen Originalstücke bereits für kraftvolle Bläser und Pauken geschrieben sind, und so die Neuinstrumentierung durch das Ensemble lediglich eine Betonung dieser Aspekte darstellte, erhielten die Zusatzstücke, unter anderem bekannte Wildwest-Melodien, durch den Einsatz von Xylophonen, Pauken und Gong eine vollkommen neue Färbung. Leider hat man es auch verpasst, die klassischen Werke komplett zu überarbeiten und mit raffinierten Rhythmen zu entfremden, und lediglich markante Stellen im Original beizubehalten. Dessen ungeachtet bot die Darstellung des Ensembles “Brasscussion” einen beeindruckenden Blick über den klassischen Tellerrand hinaus, der von einem freieren Thema als „Bach und Russland“ womöglich weit mehr profitiert hätte.

P. D. Q. Bach und Russland

KMD Modeß bei der Aufführung der "Toot Suite"

Neben heiteren Grenzgängern wie “Brasscussion” oder bekannten und traditionell sehr beliebten Stücken wie denen von Prokofjew oder Tschaikowsky präsentierte man auch dieses Jahr wieder bedeutsame Ergebnisse der umfangreichen Forschungen zu P.D.Q. Bach, dem letzten Sohn des großen Komponisten.

Dieser – in seiner Gänze selbstverständlich ein pures Hirngespinst – schaffte es, allen Schicksalsschlägen und Neidern zum Trotz, Werke mit bisher ungesehenem Ideenreichtum zu erschaffen, die auf Grund ihrer visionären Instrumentierungen von der damaligen zeitgenössischen Musikszene verkannt wurden und auch heute noch nur einem kleinen Kennerkreis bekannt sind.

So war P.D.Q. der erste Komponist, der den Mut und die Weitsicht besaß, das traditionelle Register der Orchesterinstrumente um eine frühe Form der heutigen Klarinette zu erweitern. Sein Werk „Toot Suite“, das für Calliope oder Orgel zu vier Händen bestimmt ist, gibt ein lebendiges Zeugnis über die Meisterschaft des Komponisten im Umgang mit diesem exotischen Instrument ab.

Auch das Instrument, das ihm sein Vater in die Wiege legte und somit die musikalische Laufbahn des Jünglings entscheidend beeinflusste, das Kazoo, ist elementarer Bestandteil vieler Werke des Ausnahmetalents. So präsentierte KMD Modeß, der Leiter der Greifswalder P.D.Q.-Bach-Forschungsgruppe, mit dem „Minuet Militaire“ für Orchester und der „1712 Overture“ für „wirklich großes Orchester“ zwei zentrale Werke, die richtungweisend waren in der musikwissenschaftlichen Erschließung der klassisch-orchestralen Möglichkeiten des Kazoo. Doch erstreckte sich P.D.Q. Bachs visionäres Wesen weit über bloße Instrumentierungsmöglichkeiten hinaus:

Sogar Luftballons integrierte P.D.Q. Bach in seine "1712 Overture"

Wie mittlerweile in Fachkreisen einstimmig anerkannt ist, überragte P.D.Q.s Fugenkunst sogar die seines Vaters. Einen Einblick hierin gaben von Raik Harder vorgetragene Auszüge aus dem Werk „The Short-Tempered Clavier“. Dieses beinhaltet Präludien und Fugen aller Moll- und Durtonarten außer „den wirklich schweren“ und fasziniert durch Variationen über Themen, die lange Zeit für unaufführbar gehalten wurden.

Außer musikalischen Ergebnispräsentationen beleuchtete man  die verzweigte und turbulente Biografie des verkannten Genies, das die mannigfachen Sinneseindrücke der Welt täglich in seinem Reisejournal festhielt. Auch P.D.Q.s exzellente lautmalerische Fähigkeiten wurden, passend zum Thema mit der „Fuge der Wolgaschiffer“ illustriert, in der die Gefühle des Komponisten wohl ihren irdischsten Niederschlag in der Vertonung von Seekrankheit durch gestelltes Erbrechen auf jede vierte Zählzeit finden.

Leider mangelte es einer aufführenden Orchestermusikerin an der gebotenen Ernsthaftigkeit bei der Vertonung des Stückes, sodass zeitweise eine der wichtigen Piccoloflötenstimmen ausfiel. Dennoch erweiterte der Abend den musikalischen Bildungshorizont aller Teilnehmer bei weitem, und es bleibt zu hoffen, dass man nächstes Jahr erneut in der Lage sein wird, einige Meisterstücke des musikalischen Da Vinci adäquat aufzuführen.

Bildquelle: Fotos – Felix Kremser; Logo zur Bachwoche – Jakob Pallus (mit Material der Veranstalter)