Der FDP-Landtagsabgeordnete Sebastian Ratjen war in den letzten Wochen sehr aktiv in der Greifswalder Hochschulpolitik. Der Politiker ist in Greifswald bekannt für sein “loses Mundwerk”, dessentwegen er auch häufig dem Vorwurf ausgesetzt ist, in erster Linie Populismus in eigener Sache zu betreiben. Deshalb hat der webMoritz Ratjen zu seinem hochschulpolitischen Engagement und seinen bildungspolitischen Vorstellungen befragt.

Sebastian Ratjen

webMoritz: Im Frühjahr haben Sie bei der Arndt-Debatte mitgemischt, seit einigen Wochen engagieren Sie sich in der Debatte um die Lehramt-Studiengänge. Letzte Woche hat man Sie sogar im StuPa gesehen. Zieht es Sie derzeit „back to the roots“ in die Uni-Politik? Ist es im Landtag zu anstrengend?

Sebastian Ratjen: Nein, es ist eine Schwerpunktfrage. Momentan besteht die Gefahr, dass wir 2.500 Studienplätze verlieren und ich gehe als Abgeordneter dorthin, wo ich etwas bewegen kann. Ich kann als Oppositionsabgeordneter im Landtag zwar laut brüllen, dass mir das alles nicht gefällt, aber das interessiert die Landesregierung sowieso nicht. Aber ich kann mit dem Know-How, das ich aus meiner politischen Erfahrung habe, euch Studenten helfen, so viel Druck auf der Straße auszuüben, dass die Landesregierung sich bewegen muss.

webMoritz: Was planen Sie denn noch in dieser Richtung? Kandidieren Sie bald als AStA-Vorsitzender?

Sebastian Ratjen: Nein, natürlich nicht. Ich stehe den Studierenden beratend zur Seite. Es ist nicht meine Aufgabe, irgendwelche Ämter zu übernehmen, das habe ich hinter mir. Ich war mal StuPa-Präsident, das war eine sehr schöne Zeit, aber das macht jetzt Korbinian hervorragend. Ich komme aus einer anderen Ebene, ich kann Erfahrung mitbringen und die stelle ich euch zur Verfügung.

webMoritz: Die neue kommissarische AStA-Vorsitzende Daniela Gleich hat auf dem webMoritz über Sie gesagt, sie finde es „nicht gut, dass er sich so stark einbringt“. Wie erklären Sie sich das?

Sebastian Ratjen: Wir haben uns noch nicht länger unterhalten. Pedro hatte ich am Anfang meine Position klargemacht; damit war für ihn klar, dass ich ihm nicht als AStA-Vorsitzenden reinrede. Das ist nicht meine Aufgabe und ich war ja auch am Mittwoch im StuPa betont zurückhaltend. Vielleicht sollte ich mich mit ihr nochmal unterhalten und ihr klar machen, dass es mir nicht darum geht, dass ich euch bevormunde, sondern ich habe Erfahrung und wir haben ein gemeinsames Ziel – und das ist, diese Studienplätze zu erhalten. Das wird schwer genug und da müssen wir alle Kräfte zusammen mobilisieren.

RCDS hat sich “extrem unprofessionell” verhalten

webMoritz: Sie haben angeblich beim RCDS angerufen, um die RCDS-Stupisten zur Wahl Pedros zu animieren, was dort Verwirrung gestiftet hat. Haben Sie geglaubt, dass Sie damit etwas erreichen können?

Sebastian Ratjen: So war das nicht. Als ich gehört habe, dass der RCDS Pedro aus Prinzip nicht wählen will, obwohl sie sich mit ihm gar nicht auseinandergesetzt haben, habe ich das Bürgerschafts-Mitglied Franz-Robert Liskow angerufen, der JU-Vorsitzender ist, und habe gesagt: „Du, rede doch mal mit deinen Leuten, die sollen sich den Pedro wenigstens mal anschauen.“ Wenn es zwei Kandidaten gegeben hätte, hätte ich mich da nicht eingemischt, aber es gab nur einen Kandidaten. Nach meinem Eindruck ist der Mann geeignet und fähig, ich habe ihn auf einer AStA-Sitzung das erste Mal getroffen und gemerkt: Der kann managen. Ihr habt jetzt einen Kriegsfall vor euch, da braucht ihr einen General und keinen Philosophen.
Deshalb habe ich diese Meinung Franz-Robert Liskow mitgeteilt, der an dieser Stelle auch sagt, was momentan die Uni bedrohe, sei schlecht für uns alle. Und er hat dann mit dem RCDS gesprochen und war auch sehr verärgert, denn wenn man in der Politik zwischen Parteien redet, ist das vertraulich – sonst kann man keine politische Arbeit mehr anbahnen. Es ist extrem unprofessionell vom RCDS gewesen, Pedro das vorzuhalten, denn Pedro kann nichts dafür. Das habe ich gemacht.

Ist Sebastian Ratjen der unfreiwillige "Königsmörder"?

webMoritz: Pedro wollte beim AStA ja erklärtermaßen eine „Politik der ruhigen Hand“ machen. Ist das denn nicht gerade das, was der AStA momentan nicht braucht – Stichwort „Kriegsfall“?

Sebastian Ratjen: Ich glaube, dass Pedro das gesagt hat, bevor es beim Lehramt kritisch wurde. Wer ihn in der letzten Streikvorbereitungssitzung miterlebt hat, hat gemerkt, dass er einen ganz  klaren Fahrplan von den Planungen hatte. Das machte nicht den Eindruck von „ruhiger Hand“.

webMoritz: Was denken Sie, muss die Studierendenschaft jetzt tun?

Sebastian Ratjen: Druck machen! Das Endziel muss sein, mit mehreren Tausend Leuten in Schwerin zu stehen. Wir müssen nicht nur Studierende, sondern alle Greifswalder für den Erhalt des Lehramts mobilisieren. Das wäre eine enorme Machtdemonstration und für M-V eine der größten Demos der letzten Jahre. Mit hundert Mann kann man in Schwerin nichts erreichen. Aber wenn da ein paar tausend vors Schloss ziehen, dann kriegen die da drin Angst. Wir haben so etwas Mitte der Neunziger Jahre einmal hingekriegt, als es der Uni Greifswald an den Kragen ging.

“Warum nicht ‘ne Party-Demo?”

webMoritz: Und was wollen Sie in diesem Zusammenhang für die Studierendschaft tun?

Sebastian Ratjen: Ich kann euch alle Kontakte innerhalb von Greifswald vermitteln und zur Verfügung stellen, die ich habe. Greifswald hat viele Ebenen – euch ist teilweise gar nicht bewusst, wie willkommen ihr bei allen öffentlichen Einrichtungen dieser Stadt seid. Wir können auch bei Jugendclubs in Schönwalde draußen Leute organisieren und auch die übrigen Greifswalder Bürger identifizieren sich mit „ihrer“ Uni und „ihren“ Studenten.
Wir können doch aus der Demo in Schwerin ein Event machen, sodass da nicht nur traurige Leute rumstehen. Warum nicht ‘ne Party-Demo? So, dass das auch ein Hingucker ist, damit wir die Medien ansprechen und auch die Demonstrierenden richtig motivieren.
Ich stelle euch mein Büro zur Verfügung, soweit das hilft. Und natürlich: Kleine Anfragen oder Anfragen in der Fragestunde, jederzeit, immer wieder gern. Wenn es solche Sachen gibt, dann kann ich das dem Bildungsminister schön um die Ohren hauen.

webMoritz: Kritiker sagen, Ihr Engagement klinge verdächtig nach Stimmenfang.

Sebastian Ratjen: Also die Landtagswahlen sind in gut einem Jahr. Natürlich – wenn ich eine gute Arbeit mache, dann kriege ich Stimmen. So ist das nun mal. Aber eigentlich geht es mir darum, dass wir jetzt hier vor Ort ein Problem haben – und danach setze ich meine Schwerpunkte. Im letzten Jahr habe ich mich vor allem in Schönwalde engagiert. Derzeit ist das Problem nun mal bei der Uni und darum bin ich jetzt eben hier. Das ist das Prinzip Feuerwehr.

webMoritz: Werfen wir mal einen Blick auf die Kürzungsvorstellungen aus Schwerin. Was halten Sie davon?

Sebastian Ratjen: Schwachsinn! Die Landesregierung kann sich fragen, ob sie ihr Geld für die Lehrerbildung in Greifswald ausgeben will oder für Hartz IV in Greifswald. Ich finde es sinnvoller, das Geld für Lehrerbildung auszugeben. Erstens: Die Lehrerausbildung ist dank Bachelor und Master mittlerweile nicht nur eine Ausbildung für Lehrer, sondern, weil das Staatsexamen ein angesehener Abschluss ist, nimmt die Industrie mit großer Vorliebe Gymnasial-Lehrer, weil die nämlich einen ordentlichen Abschluss haben. Zweitens: Die Studienplätze sind nachgefragt. Es ist ja nicht so, dass niemand die haben will. Wenn diese 2.500 Studierenden nicht mehr da sind, droht Greifswald im Grunde die gesamte Geisteswissenschaft wegzubrechen. Dieses Land hat Bildung als Exportgut noch nicht richtig erkannt.

webMoritz: Kann sich das Land es leisten, auf dieses Exportgut zu verzichten?

Sebastian Ratjen: Nein. Man muss sich nur Greifswald anschauen: Das Geld, dass das Land in den letzten 20 Jahren in die Uni gesteckt hat, hat es tausendfach zurückbekommen. Gut, dadurch bin auch ich hier geblieben, das könnte man unter Umständen auch als Malus verstehen (lacht), aber eine ganze Universität kaputtzumachen, nur um mich loszuwerden, das überschätzt mich… Im Ernst: Ich habe einen Zahnarzthelfer in meiner Praxis, der war Hauptschüler und ist dann auf Hartz IV gekommen. Der hat eine ganze Weile viele Faxen und Dummheiten gemacht, aber als ich meine Praxis aufgemacht habe, habe ich ihm angeboten, eine Umschulung zu machen. Jetzt schreibt er diese Woche Abitur und hat letztes Jahr sein Zahnarzthelfer-Examen gemacht. Ich will sagen: Nur Bildung bringt die Leute hier weiter, das ist das einzige, was dazu führt, dass wir den Lebensstandard auf einem Niveau halten können und vielleicht auch ausbauen können. Und wenn wir dann Bildungseinrichtungen und in den Bildungseinrichtungen die Ausbildungsgänge streichen, die Bildung vermitteln, dann kann man nur sagen: Wem Bildung zu teuer ist, der soll’s mal mit Dummheit probieren. Und den lade ich in die Makarenkostraße ein.

“Der Bildungsminister hat höchstens so einen Plan wie die Olsenbande”

Sebastian Ratjen demonstrierte auch bei der Mahnwache

webMoritz: Der Bildungsminister und sein Ministerium verweisen oft auf Studien und Untersuchungen. Die meisten davon sind aber entweder noch gar nicht fertig oder widersprechen sich. Hat das Bildungsministerium überhaupt einen Plan?

Sebastian Ratjen: Nein. Also allerhöchstens so einen Plan wie bei der Olsenbande: Der Egon Olsen hatte immer einen Plan und wie wir wissen, ist der immer schief gegangen. Und meistens lag das an den hochkompetenten Mitarbeitern von Herrn Olsen. Dieses Ministerium bekriegt sich hauptsächlich selbst und der aktuelle Staatssekretär Michallik wurde ja noch schnell zum Staatssekretär auf Lebenszeit ernannt, bevor die Richtlinie des  Innenministeriums zu Qualifikationsanforderungen für Staatssekretäre in Kraft trat. Denn nach der neuen Richtlinie wäre er für das Amt nicht mehr qualifiziert.

webMoritz: Wenn das Bildungsministerium dann also angeblich kein Konzept hat – haben Sie eins?

Sebastian Ratjen: Ich bin grundsätzlich kein Befürworter von Singularität, also dass man sagt, ‚Alles was wir in Greifswald haben, dürfen wir in Rostock nicht haben‘, und umgekehrt. Wir müssen nicht komplett das Gleiche anbieten, das wäre Unsinn. Man müsste schauen: Wo sind unsere Stärken? Die müssen wir dann herausarbeiten. Außerdem, da stimme ich Herny Tesch zu, der pädagogische Teil in der Ausbildung kommt zu kurz. Dann haben wir zu viele Gymnasiallehrer und zu wenig für die regionalen Schulen und für die Berufsschulen – aber da müssen wir klar sehen: Die Arbeit dort wird eben wesentlich schlechter bezahlt. Warum soll jetzt ein junger Mensch sich für die Regionalschule ausbilden lassen, wenn er da 1500 Euro weniger verdient? Ich bin heute – da bin ich nicht auf Parteilinie – nicht einmal mehr einer Verbeamtung von Lehrern abgeneigt, denn ich kann das verstehen, dass ein junger Lehrer sagt: ‚Wenn ich in ein anderes Bundesland gehe, bin ich privat versichert, kriege eine Pension, habe einen definitiv sicheren Arbeitsplatz und außerdem kriege ich noch West-Gehalt.‘ Man muss also schon sehr patriotisch sein, um hierzubleiben.
Nun ist es leicht, mehr Geld zu fordern. Wenn ich Bildung als Exportgut will, macht es auch Sinn, über Konzepte nachzudenken, bei denen die Länder mit vielen Studierenden aus anderen Bundesländern entsprechend Zuschüsse bekommen. Spätestens wenn der Solidarpakt ausläuft, werden wir über so etwas noch mal reden müssen. Aber trotzdem: Ich will nicht weniger Studienplätze, aber wir müssen schon darüber nachdenken, ob wir einzelne Fachrichtungen jeweils hier oder in Rostock konzentrieren. Wir  müssen uns überlegen: Was wollen wir von der Philosophischen Fakultät hier ausbauen und was nicht?

“Konkurrenz zwischen den Unis erhalten”

webMoritz: Dann sind wir ja doch wieder beim Streichen von Studienfächern. Wie kann so etwas denn aber aussehen? Müssen die Studierenden dann bei bestimmten Fächerkombinationen zwischen beiden Unis pendeln?

Sebastian Ratjen: Daran hakt die ganze Sache und das zeigt auch, dass diese ganze Argumentation, Singularstudiengänge zu machen, sich vermutlich nicht durchsetzen lässt. Außerdem ist die Frage natürlich, ob es wirklich billiger ist, ein großes Institut in Rostock zu haben oder zwei kleine, denn für Geisteswissenschaften brauche ich ja keine Masse. Die brauchen da ja nur eine Bibliothek. Und dann gibt es eben hier einen Lehrstuhl und in Rostock einen – die können dann ja trotzdem zusammenarbeiten. Außerdem: Konkurrenz belebt das Geschäft. Einer der Gründe, warum die Uni Greifswald in vielen Rankings so gut ist, ist, dass sie immer wusste, dass sie als Kleinere hinter Rostock doppelt auf die Kacke hauen muss, um zu überleben. Und wenn der Konkurrenzdruck weg ist, dann sieht das plötzlich anders aus. Letzer Punkt: Wenn ich mir den Landeshaushalt von M-V anschaue, gibt es da durchaus noch andere Positionen, wo man sparen kann. Stichwort „BBL“, Betrieb Bau- und Liegenschaften des Landes , man nennt es auch das „Staatsbaukombinat M-V“.

Sebastian Ratjens Engagement missfällt der AStA-Vorsitzenden.

webMoritz: Zurück nach Greifswald: Die Bürgerschaft ist ja einstimmig der Meinung, das Lehramt-Studium müsse in Greifswald erhalten bleiben. Ziehen die drei Landtagsabgeordneten Sellering, Liskow und Ratjen denn in dieser Angelegenheit jetzt auch an einem Strang?

Sebastian Ratjen: Zwei davon definitiv: Liskow und ich. Der dritte, Sellering, zieht mit Sicherheit auch an einem Strang, aber man weiß immer nicht genau, an welchem Ende der gerade zieht. Man muss bei Herrn Sellering von einer etwas flexiblen Einstellung zur eigenen Meinung ausgehen…

webMoritz: Und wie sieht die Zusammenarbeit mit Herrn Liskow aus?

Sebastian Ratjen: Herr Liskow hat das ja in der Bürgerschaft auch mitgetragen. Wir haben im Parlament einen kurzen Dienstweg miteinander, aber wir sind beide keine expliziten Bildungspolitiker. Es gibt kleine Absprachen, wo man etwas tun kann, aber derzeit muss man sagen, dass Liskow hauptsächlich Kommunalgebietsreform-Verhinderung betreibt. Das ist ja Greifswalds zweite große Baustelle.

webMoritz: Ein anderes Thema zum Schluss: Die CDU-FDP-Koalition auf Bundesebene hat gerade ein neues Stipendiensystem beschlossen, dass Stipendien nur noch nach Leistungs-Kriterien vergibt – maßgeblich auf Betreiben der FDP. Außerdem soll es zur Hälfte von Unternehmen finanziert werden, die wollen aber erklärtermaßen nicht mitmachen. Nun sind Sie zwar kein ausgewiesener Bildungsexperte, aber findest du das neue System gerecht?

Sebastian Ratjen: Ich kenne das neue System nicht näher. Aber nach allen, was man so hört, handelt es sich um liberale Triebtäterei. Das ist der Grund, warum ich in meiner Partei als links gelte. Anfang der Neunziger hat die FDP „privat“ als Allheilmittel erkannt. Und wie das bei Dogmen so ist: Sie sind scheiße. Man muss sich von diesen Sachen auch wieder lösen. Ich kenne das Modell nicht, aber nach allem, was ich höre, ist es einfach scheiße.

Das Gespräch führte Gabriel Kords. Fotos: Carsten Schönebeck (Demo und StuPa), Gabriel Kords (übrige)