Das Bildungsministerium prüft die Konzentration der Lehrerbildung in Rostock. Verliert die Universität Greifswald demnächst über 2500 Studierende?

Standen sich die Greifswalder Studierenden noch vor einigen Wochen unversöhnlich auf beiden Seiten der Domstraße gegenüber, haben sie nach dem Ende der Arndt-Debatte einen Grund gefunden, gemeinsam zu demonstrieren. Auslöser war auch diesmal ein altes Thema, das kürzlich durch ein moritz-Interview wieder aus der Versenkung geholt wurde. Dr. Thomas Behrens, Abteilungsleiter im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schwerin, bestätigte in der letzten Ausgabe Pläne, die Lehrerausbildung teilweise von Greifswald nach Rostock zu verlagern. Kurz darauf wurde die Sprecherin des Bildungsministeriums, Johanna Hermann, in der Ostsee-Zeitung zitiert. Nun war von einer vollständigen Konzentration in Rostock die Rede.

Dieser Artikel, auch mit bestätigenden Aussagen von Matthias Brodkorb, dem bildungspolitischen Sprecher der SPD Landtagsfraktion, hat wieder Bewegung in die Debatte um zwei Ausbildungsstandorte gebracht. Der Greifswalder Studierendenausschuss (AStA) reagierte mit einer Mahnwache während des Besuchs von Bildungsminister Henry Tesch, einer Unterschriftensammlung für den Erhalt und veröffentlichte mehrere Pressemeldungen, in denen er sich gegen eine Verlagerung positionierte. Um über die Situation zu informieren, wurde am 10. Mai auch eine Podiumsdiskussion abgehalten (siehe Kommentar auf Seite 12).

Der Abbau der Philosophischen Fakultät

Der Niedergang der Lehrerbildung in Greifswald war bisher ein schleichender Prozess. Er begann 2004 mit dem Immatrikulationsstopp des Instituts für Sportwissenschaft und 2005 mit der weitgehenden Abschaffung der Lehramtsausbildung an der Mathematisch-Naturwissenschaflichen-Fakultät. Auch die Institutsschließungen im Zuge der Zielvereinbarung 2006 brachten eine Reduzierung der Fächervielfalt mit sich, die Kombinationsmöglichkeiten wurden kleiner und kleiner. Im letzten Jahr erfolgte mit dem kompletten Umzug des Instituts für Psychologie (moritz 80), ein weiterer Schlag gegen die Philosophische Fakultät, welche an fast allen Instituten über 50 Prozent Lehramtsstudenten ausbildet. Nun hat das Bildungsministerium mehrmals öffentlich verkündet, die Lehrerbildung in Greifswald erneut auf den Prüfstand zu stellen. Eine Abschaffung hätte nicht nur dramatische Auswirkungen auf die Qualität der Lehrerbildung in Mecklenburg-Vorpommern, sondern könnte auch für die Philosophische Fakultät als ganzes existenzbedrohend sein.

Der nicht vorhandene Master of Education

Als Begründung für diesen Schritt wird immer wieder die Zielvereinbarung von 2006 angeführt. Laut dieser soll die Lehramtsausbildung in Rostock zentralisiert werden, allerdings im Rahmen eines Master of Education. Der Master of Education ist ein kurioses Kapitel der jüngeren Geschichte der Universität Greifswald. Er wurde im Oktober 2002 mit großen Vorschusslorbeeren eingeführt. Das Ziel war, dass angehende Fachwissenschaftler und Lehramtskandidaten das gleiche grundständige Bachelor Studium absolvieren sollten. Erst danach sollten sich die Studierenden zwischen Berufstätigkeit, Master of Arts und Master of Education entscheiden.

Der damalige Master of Education konnte allerdings weder Studierende noch Akkreditierungsagenturen überzeugen. Erstere entschieden sich praktisch ausschließlich für das traditionelle Lehramtsstudium mit dem alleinigen Ziel des Staatsexamens, die Agentur Acquin entschied sich 2005 endgültig den Master of Education nicht zu akkreditieren und die Immatrikulation wurde zum Wintersemester 2005/2006 gestoppt. Trotzdem tauchte der Master of Education in der Zielvereinbarung 2006 wieder auf. Dies war allerdings sein letzter Auftritt in Mecklenburg-Vorpommern.

Während andere Bundesländer mittlerweile erfolgreich nach diesem so genannten Y-Modell erfolgreich Lehrer ausbilden, hat sich die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern laut dem Greifswalder Prorektor für Studium und Lehre, Professor Michael Herbst, dazu entschlossen, dauerhaft am Staatsexamen als alleiniger Form der Lehramtsausbildung festzuhalten. Dies wurde auch von Staatssekretär Udo Michalik in der Podiumsdiskussion am 10. Mai bestätigt.

Das landesweite Festhalten am Staatsexamen könnte sich aber nun für die Philosophische Fakultät der Universität Greifswald als großer Schwachpunkt erweisen. Während in einem Y-Modell die komplette fachwissenschaftliche Ausbildung und mit ihr die angehenden Lehrer im Bachelor Studium in Greifswald verbleiben würden, wären die Auswirkungen einer Lehramtskonzentration, mit dem aktuellen Staatsexamensmodell, in Rostock deutlich dramatischer. Zurzeit stellen die Lehramtsstudenten mehr als die Hälfte der Studierenden der Philosophischen Fakultät. Eine Abwanderung so vieler Studenten könnte die Philosophische Fakultät kaum kompensieren, weitere Institutsschließungen wären kaum zu vermeiden. Langfristig wäre dies wohl das Ende der Philosophischen Fakultät. Laut Professor Herbst wäre auch die Theologische Fakultät bedroht, auch wenn das Land diese laut dem Güstrower Vertrag, welcher die Lehramtsaubildung zwischen Staat und Kirche regelt, erhalten muss.

Rostock doch zu klein?

Auch die Qualität und Vielfalt der Lehramtsausbildung könnte kaum erhalten bleiben. Professor Franz Prüß vom Institut für Bildungswissenschaften ist der Überzeugung, dass Rostock die Greifswalder Unikatsfächer Kunst und Gestaltung, Geographie, Russisch, Polnisch, Schwedisch und Dänisch nicht ersetzen kann. Während des Studiums werden Ausbildungsschulen für Schulpraktische Übungen und Praktika benötigt. Die Schulen in Rostock und Umgebung reichen laut Professor Prüß nicht aus, um alle Studierenden bedienen zu können. Zentralisierung wird gemeinhin mit Kostenersparnis verbunden. Dem wird entgegengehalten, dass um die Greifswalder Lehramtsstudierenden zu übernehmen, ein kostenintensiver Ausbau der entsprechenden Institute in Rostock nötig wäre. Im Falle der Unikatsfächer müssten die schon funktionierenden Strukturen aus Greifswald erst wieder neu entstehen.

Thomas Behrens vom Bildungsministerium begründet die Konzentration jedoch damit, dass in Greifswald viele Gymnasiallehrer ausgebildet werden, die das Land mittelfristig nicht benötige. Wenn es sich um eine Konzentration, also einer Verlagerung von Greifswald nach Rostock, handelt, ändert dies aber noch nichts an der Menge der Studierenden von Lehramt auf Gymnasium in Mecklenburg-Vorpommern. Vonseiten des Ministeriums wird aber anscheinend eine bessere Steuerungsmöglichkeit erwartet. Die Grundschullehrerausbildung ist schon in Rostock zentriert, wobei es Rostock nicht geschafft hat genug, Grundschullehrer auszubilden, um den Gesamtbedarf zu decken.

Anzahl der aus dem Schuldienst ausscheidenden Lehrer an allgemeinbildenen Schulen in MV in den Jahren 2010-2025 (in den zu studierenden Fächern an der Universität Greifswald)
Quelle: Institut für Bildungswissenschaften/Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; Bei der Anzahl der aus dem Schuldienst ausscheidenden Lehrer wurde die gegenwärtige Teilzeitbeschäftigung (66 %) in Mecklenburg-Vorpommern berücksichtigt.

Aktuell gibt es nach Professor Prüß 2537 Lehramtsstudierende an der Universität Greifswald, welche größtenteils an der Philosophischen Fakultät studieren. Daher ist es kaum verwunderlich, dass das Problem der Lehrerbildung den im April neu gewählten Dekan der Philosophischen Fakultät nach eigenen Aussagen stündlich beschäftigt. Für Dekan Alexander Wöll steht das Schicksal seiner kompletten Fakultät auf dem Spiel. Er ist zwar mit der Absicht, etwas zu verändern, Dekan geworden. Diese Veränderung will er nun aber überhaupt nicht. „Für mich kommt ein restloser Abbau der Lehrerbildung nicht infrage. Wenn man diesen Gedanken weiterführt, steht am Ende zwangsläufig die komplette Schließung der Philosophischen Fakultät.“ Er betont aber, dass es sich hierbei um seine persönliche Meinung handelt. Bei den aktuellen Verhandlungen um neue Zielvereinbarungen will er nun massiv Druck aufbauen. Hierfür hat ihm Rektor Rainer Westermann seine persönliche Unterstützung zugesagt.

Gerade in der letzten Zielvereinbarung von 2006 sieht Dekan Wöll keinen Beschluss, die Lehrerbildung in Greifswald abzuschaffen, da dort das Wort Schließung nicht erwähnt wird. Diese Zielvereinbarung sei kein Hindernis einer Weiterführung der Lehramtsstudiengänge in Greifswald. In den nun veröffentlichten Leitlinien der Fakultät werden von der Landesregierung Garantien eingefordert, die Lehramtsausbildung in Greifswald in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Auch sieht sich die Philosophische Fakultät nach eigener Aussage in der Lage, diese Ausbildung bis 2017 aus eigener Kraft zu sichern und will in Zukunft verstärkt für die Regionalschulen, die Kombination von Haupt- und Realschulen, ausbilden.

Die Lehramtsausbildung soll weiterhin in Greifswald bleiben. Die Greifswalder Studenten sehen das fakultätsübergreifend ähnlich. Bei einer Befragung von knapp 300 Studierenden bezeichneten über 90 Prozent die Abschaffung des Lehramtes als eine Schwächung der Universität. Als Hauptgrund wurde die wegfallende Vielfalt genannt – die Lehrerbildung sei essentieller Teil einer Volluniversität. Auch die Schwächung der Stadt und des kulturellen Angebots sehen viele Studierende als große Gefahr.

Die Schließung oder eine umfassende Verkleinerung der Lehramtsstudiengänge hätte dramatische Folgen für die philosophische Fakultät; ob sie wirklich kommt, ist aber noch sehr fraglich. Wirkliche Befürworter einer Abschaffung findet man kaum und den mit einer Abschaffung der Greifswalder Lehramtsausbildung verbundenen Verlust der Unikatfächer will erst recht niemand. Woher kommt aber die Diskussion? Zur Unsicherheit aller Beteiligten trägt das Verhalten des CDU geführten Bildungsministeriums bei, dass Schließungspläne zwar dementiert, aber nicht ausführt, wie die geforderte Konzentration und Umstrukturierung sonst aussehen könnte. Eine mögliche Erklärung ist strategischer Natur. Die Verhandlungen zu den neuen Zielvereinbarungen stehen an und unerreichbare, überhöhte Forderungen zu stellen, um den Verhandlungspartner letztendlich die eigenen Ziele als fairen Kompromiss zu verkaufen, war schon immer eine beliebte Verhandlungstaktik. Noch lässt sich niemand ausmachen, der an einer möglichen Verlagerung profitieren würde. Dafür umso mehr Verlierer.

Ein Bericht von Florian Bonn und Daniel Focke