Was wissen wir eigentlich über Polen? Es ist ein Nachbarland von Deutschland, klar. Die Flagge ist rot-weiß, die Hauptstadt heißt Warschau und unser östlicher Nachbar ist seit Mai 2004 Mitglied in der EU. Und dann?
Das diesjährige Kulturfestival polenmARkT, das je nach Zählung bereits zum 12. beziehungsweise 14. Mal stattfand, soll einen Beitrag leisten, die polnische Kultur und Geschichte dem Greifswalder Publikum näher zu bringen. Zum ersten Mal standen die diesjährigen Kulturtage unter einem Motto: Polen und seine Nachbarn. Die Veranstalter wählten diese Thematik, um Polens kulturelle Offenheit gegenüber den ost- und westeuropäischen Ländern darzustellen und zu zeigen, dass es ein Land der bewegten Grenzen ist. Dabei wurde einerseits ein thematischer Schwerpunkt auf das Verhältnis Polens zur Ukraine gelegt, da diese zahlreiche gemeinsame Verbindungen teilen. Das wurde bereits bei der feierlichen Eröffnung am 20. November deutlich, bei der die ukrainische Schriftstellerin Natalia Sniadanko, die ebenfalls als Deutsch-Übersetzerin arbeitet und bereits Greifswald schon einmal besuchte, las. Nebenbei ist die Uni Greifswald die einzige Hochschule bundesweit, die den Studiengang Ukrainistik anbietet.
Andererseits stand, wie in jedem Jahr, die Beziehung zu Deutschland im Mittelpunkt des elftägigen Festivals. 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs durch den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen scheint es angebracht, das deutsch-polnische Verhältnis zu reflektieren. Dieses könnte nämlich durchaus besser sein. „Der deutsch-polnische Austausch ist lebensnotwendig, da das Verhältnis sehr belastet ist“, meint Professor Alexander Wöll, Lehrstuhlinhaber für Ost- und Westslawische Philologie. „Deswegen“, betont er, „ist der polenmARkT so wichtig.“ Vor einem Jahr folgte er dem Ruf an die Universität Greifswald und übernahm den Vorsitz des polenmARkT-Vereins, welcher vierzig Mitglieder zählt.
Das diesjährige Programm, das von einem Team bestehend aus etwa 15 Aktiven und vielen Helfern organisiert wurde, vermittelte die Bandbreite polnischer Kultur. Zwischen zahlreichen Lesungen, Filmen, Vorträgen und Konzerten konnte das Publikum wählen. Nicht alle Veranstaltungen wurden so gut angenommen wie das Konzert von Kroke im ausverkauften Theater Vorpommern am 27. November. Die drei Musiker aus Krakau spielen traditionellen Klezmer mit Jazz und Klassik-Elementen. Bekannt wurde die Band durch den Film „Schindlers Liste“. Für den Lehrstuhlinhaber Wöll war dies das Beste, was er in den vergangenen Jahren gehört hat. Bei der Aufführung des Kleintheaters „Grüne Gans“, präsentiert vom Greifswalder Studententheater, passten nicht einmal alle Interessierten in den Saal des Internationalen Kultur- und Wohnprojekts IKuWo. „Das Programm wurde sehr gut angenommen“, resümiert Professor Alexander Wöll.
Doch obwohl das Programm so vielfältig war, sah man oft ähnliche Gesichter bei den Veranstaltungen, viel studentisches Publikum und dass nicht jede Veranstaltung ausverkauft war. Vielleicht hängt dies zum einen mit dem deutsch-polnischen Verhältnis zusammen. In der gemeinsamen Geschichte beider Länder zeichnen sich einige Katastrophen ab, nicht nur die des Zweiten Weltkriegs. Auch sind die Stereotypen noch oft in den Köpfen vorhanden. Das Bild des Autos- und Arbeitsklauenden Polen ist leider nach wie vor verbreitet. Ebenso herrscht der Eindruck vor, dass die Deutschen nur arbeiten, überheblich, sogar unmenschlich sind. „Enge Nachbarn sind oft zerstritten“, liefert Professor Wöll einen möglichen Anhaltspunkt.
Für den Vorsitzenden des polenmARkTs ist es allerdings nicht verständlich, warum Greifswald seine geographische Nähe zu Polen nicht besser nutzt. Bereits in den neunziger Jahren, beim gemeinsamen Treffen von Wirtschaftsverbänden beider Länder, kam ein Zusammengehen nicht zu Stande. Professor Alexander Wöll meint kopfschüttelnd: „Es gab kein Bewusstsein, dass manche Interessen nur gemeinsam zu verwirklichen sind.“ Auch die Bewerbung Szczecins zur Kulturhauptstadt 2016 wird von Greifswalder Seite nur wenig beachtet. Während des polenmARkTs zeigte eine Präsentation, welche Vorteile der Status auch für die pommersche Region hätte. Der Gewinner des Wettbewerbs kann das eigene Kulturpotential europa- und weltweit darstellen, was die Region ebenfalls mit aufwerten würde. „Doch der Groschen ist hier noch nicht gefallen“, stellt Professor Wöll fest, „die Stadt Greifswald tut nichts.“
Generell kümmert sich die Stadt wenig um das polnische Kulturfestival, Vertreter waren bei den Veranstaltungen kaum zu sehen. Zwar betonte der Kultur- und Bildungssenator Ulf Dembski bei der feierlichen Eröffnung die Vielfältigkeit des Programms und die besondere Beziehung Greifswalds zu Polen, insgesamt handelte es sich dabei aber eher um Allgemeinplätze: „Es gibt viele Spezialitäten und viele Leckereien auf dem diesjährigen polenmARkT.“ Es seien, nach Alexander Wöll, eher die städtischen Einrichtungen, wie die Stadtbibliothek oder das Café Koeppen, die sich engagierten.
Auch die Universität könnte den Markt ein wenig mehr unterstützen. Es wurden zwar die finanziellen Mittel vor kurzem durch die Universitätsleitung aufgestockt, doch wünscht sich der polenmARkT-Vorsitzende Wöll, dass diese das Festival noch ein wenig mehr unterstützen könnte: „Im Vergleich zum Nordischen Klang haben wir leider keine feste Stelle zur Erstellung des Programms. Das ist aber notwendig, weil insbesondere die Organisation sehr arbeitsintensiv ist.“ Ebenfalls hofft Wöll zukünftig auf mehr Verständnis im professoralen Kreis, welcher, bis auf wenige Ausnahmen, wenig Interesse am diesjährigen Festival zeigte.
Nach elf Tagen und 31 Veranstaltungen des polenmARkTs wurde klar, dass die polnische Kultur traditionell und zugleich auch modern, vielfältig und offen ist. Deutlich wurde aber auch, dass noch viel getan werden muss: Vor allem von der Seite der Stadt und zusätzlich von der Uni-Leitung. Dann fällt die Beantwortung der Frage, was wir eigentlich über Polen wissen, einfacher.
Ein Artikel von Christine Fratzke mit Fotos von Eva Held