Die diesjährige Gewinnerin des Philosophie-Wettbewerbes des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover: Dr. Chiara Piazzesi
Sie lockt uns ins Kino, weil sie schöne, aber auch traurige Momente offenbart. Sie rührt uns zu Tränen, weil wir uns oft wiederfinden oder erkennen, dass es in der Wirklichkeit dann doch nie so verläuft. Es sind die Momente, die Emotionen in uns erwachen lassen: Liebe ist eben der Stoff, auf den selbst Hollywood niemals verzichten kann. Dies erkannte auch Chiara Piazzesi. Seitdem beschäftigt sie sich mit dem Thema aus philosophischer Sicht. Mit leuchtenden Augen sitzt uns diese zierliche junge Frau mit italienischem Akzent gegenüber und kann es selbst noch kaum fassen, dass sie vor kurzem einen Wettbewerb für Philosophie gewonnen hat. Bei einer Tasse Cappuccino verrät sie uns den Weg dorthin.
Bereits ihr Vater studierte Philosophie. „Er hatte schon immer eine Begeisterung für philosophische und existenzielle Fragen. Ebenso wie meine Philosophielehrerin in der Schule“, erzählt Dr. Piazzesi. Sie nahm sich vor, wenn sie ein Stipendium an der Universität Pisa bekommen würde, schlage sie den gleichen Weg ein. Genau so kam es dann auch. An ihr Studium an der Universität Pisa und an der Scuola Normale di Pisa denkt die 32-jähige gern zurück. Von der Letzteren habe sie später auch ein Post-doc-Stipendium* bekommen. „Die Stadt ist sehr nett und angenehm – ich bin immer froh, wenn ich dorthin fahren darf und die Stimmung der Stadt miterleben kann“, schwärmt die gebürtige Florentinerin.
2005 kam sie dann für ein Forschungsstipendium erstmals nach Deutschland, an die Freie Universität Berlin. Seit 2007 lehrt sie an der Universität Greifswald und wird derzeitig durch ein Post-doc-Stipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert. „Ich mag Deutschland, das deutsche System und dass ich hier unterrichten kann. Hier kann ich mit Studierenden arbeiten, was in Italien nicht möglich ist, es sei denn, man ist Professor “, sagt die 32-jährige. Veranstaltungen wie Seminare und Proseminare gibt es in Italien nicht. „Dort hätte ich keine Möglichkeit gehabt mit den Studierenden zu arbeiten“, so Dr. Piazzesi. „Am Anfang hatte ich noch einige Probleme mit der deutschen Sprache. Aber das haben mir die Studierenden nachgesehen. Sie waren sehr freundlich und offen“, verriet sie weiterhin. Die Arbeit als Lehrbeauftragte war für sie von Anfang an ein Traum.
Schwerpunkte ihrer Forschung sind unter Anderem die praktische Philosophie sowie Liebe als Form der Selbst- und Fremderfahrung. Bei der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe spielen aber auch immer wieder ihre persönlichen Erfahrungen hinein. Dies sei besonders ein Phänomen der Philosophinnen, meint Dr. Piazzesi. Männer hätten dabei meist andere Sichtweisen, da sie eher unpersönlich an das Thema gehen würden. Und diese Herangehensweise resultiert aus der unterschiedlichen Kommunikation, die Mädchen und Jungen von klein auf entwickeln. Mädchen lernen schon als Teenager untereinander über ihre Liebesangelegenheiten zu sprechen. Das „Sich erzählen“ ist bei Frauen von großer Bedeutung. Diese Art von Unterhaltung wird auch im späteren Leben weiter suggeriert, besonders in den Medien. So würden Frauen mehr untereinander sprechen und oft mehr Kommunikationskompetenzen besitzen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Liebe bleibt es aber nicht aus, dass man auch seine privaten Liebesangelegenheiten analysiert. „Man hinterfragt alles, denn die Kompetenzhaltung und das Bewusstsein bleiben leider erhalten“, erklärt die momentane Single-Frau.
Anfang des Jahres hörte die Post-Doktorantin dann von der Ausschreibung eines Wettbewerbes des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. „Liebe macht sehend“ war das diesjährige Thema. „Es ist wirklich ein Glück, wenn man das richtige Thema findet. Aber ich hatte auch Angst davor, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Doch ich dachte mir auch: warum nicht?“, erklärt Dr. Piazzesi, die zuvor noch nie an einem solchen Wettbewerb teilgenommen hatte. Sich überhaupt mit einem solchen Thema auseinander zu setzen und eigene Ansätze dazu zu entwickeln, empfindet sie als Bereicherung. Das bewegte sie auch dazu, ihre Arbeit einzusenden. Ende August erhielt sie dann eine Einladung nach Hildesheim zur Preisverleihung mit der Begründung, unter den 33 Teilnehmern hätte ihre Arbeit als Beste überzeugt. „Mich hat besonders beeindruckt, mit welchem Aufwand die Preisverleihung vorbereitet und veranstaltet wurde. Ich finde es schön, dass Nachwuchswissenschaftler so unterstützt und gefördert werden“, berichtet die Italienerin begeistert.
Die Philosophin erklärt die These „Liebe macht sehend“ aus ihrer Sicht. Liebe macht nicht nur blind, sondern auch sehend. Blind ist sie vor allem im Stadium der Verliebtheit. Dann schaltet sie bestimmte Eigenschaften des Anderen aus, wie beispielweise kulturelle Unterschiede. Liebe macht auf der anderen Seite aber auch sehend für die Besonderheiten des Anderen.
Die Lehrbeauftragte ist davon überzeugt, dass Philosophie eine Grundlage schafft, sich mit Dingen des Alltages auseinander zu setzen. Sie selbst tut es mit Hingabe. Und wahrscheinlich ist dies der Grund, warum sie in ihren Seminaren und Vorlesungen oft bekannte Gesichter wiederfindet. Bis März 2010 bleibt Dr. Chiara Piazzesi der Uni auf jeden Fall erhalten. Sie hofft aber, auch darüber hinaus hier weiter unterrichten und forschen zu dürfen.
*Post-Doc-Stipendium: Post-Doktoranten sind Wissenschaftler, die nach Beendigung einer Dissertation an einer Universität oder einem Forschungsinstitut befristet angestellt sind und während dieser Zeit in Forschungsprojekten mitarbeiten.
Ein Artikel von Anastasia Statsenko und Annegret Adam