Der webMoritz veröffentlicht diesen gekürzten Artikel zum heutigen Jahrestag des Mauerfalls vorab. Der vollständige Artikel ist in der neuen Ausgabe des moritz-Magazins zu lesen, die in den nächsten Tagen erscheint.

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von Christine Fratzke

2009 ist das Jahr der Jubiläen. Im Herbst wird zwanzig Jahre Mauerfall zelebriert. Es sind die Bilder von der Mauer am Brandenburger Tor. Von Montagdemonstrationen. Von fahrenden Trabis, die Richtung Westen drängen. Es sind die bekannten Bilder aus Berlin, Leipzig. Doch lohnt es sich, Wende-Ereignisse auch vor der eigenen Greifswalder Haustür zu suchen. Man wird nämlich fündig.

Domeinweihung – Mit hohem Besuch

Nach Ereignissen zur Wendezeit in Greifswald hat Dirk Mellies, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut gesucht: „Der Norden ist in der Wendezeit sehr spät dran mit Protestbewegungen. Aber Greifswald ist witzigerweise eine der ersten Städte im Norden, wo sich etwas regte.“ Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1989 kochte die Unzufriedenheit der Greifswalder auf. Die Kommunalwahlen im Mai waren gefälscht.

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Friedensgebet im Dom

Am 11. Juni gab es Besuch von oben, anlässlich der Einweihung des renovierten Doms. SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender Erich Honecker kam zu Besuch – und ging dabei die Strecke vom Rathaus bis zum Dom. „Das Ganze war ein Witz. Während die Altstadt zunehmend verfiel, wurden die Fassaden auf dem Weg dahin notdürftig gestrichen“, erläutert Mellies. Auch für den damaligen Theologiestudenten Hagen Kühne, unscheinbar gekleidet, sympathisch, hat viel zu erzählen, war das Ereignis eine Farce. Der heute 44-jährige Pastor stellt dar, dass das Bauprojekt zwar notwendig war, aber die Inszenierung der Eröffnung stieß ihm auf. „Die Vertreter der DDR-Kirche waren nicht einmal eingeladen“, sagt er kopfschüttelnd.

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Revolutionärer Herbst

Es wurde Herbst. In Leipzig fand am 4. September die erste Montagsdemonstration statt. Wenige Tage später wurden das „Neue Forum“ und „Demokratie-Jetzt“ in Berlin gegründet. Ungarn öffnete seine Westgrenze – tausende DDR-Bürger flohen. Im Herbst 1989 beschloss Theologiestudent Hagen Kühne, sich zu regen. Er musste an einem ZV-Lager, Zivilverteidigung, teilnehmen. „Dort erlebte ich alle möglichen Repressionen. Da dachte ich mir: Das kann ich nicht mehr. Das System muss weg“, sagt Kühne heute. Dabei ging es ihm nicht darum, die DDR zu reformieren. Der Ansatz des Kommunismus und das damit einhergehende Menschenbild sei falsch. „Ich wollte die Wiedervereinigung von Anfang an“, betont der Pastor. Deswegen engagierte er sich nicht beim „Neuen Forum“, sondern, wie Angela Merkel, beim Demokratischen Aufbruch. Am 7. Oktober feierte die DDR den 40. Jahrestag ihrer Gründung.

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Demonstrationen – auch in Greifswald

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Menschenkette an der Fleischerstraße

Im Oktober wurde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SDP, in Greifswald gegründet. In der privaten Wohnung des Studentenpfarrers Arndt Noack – mit vierzig Teilnehmern. Zwei Tage später folgte ein einschneidender Tag, der 18. Oktober. Es ist der Tag, an dem Honecker als Staatsratsvorsitzender von allen seinen Ämtern zurücktritt – Egon Krenz wurde sein Nachfolger. Es ist aber auch der Tag, an dem in Greifswald das erste Friedensgebet im Dom und die erste spontane Demonstration stattfanden.

Im Dom kamen mehrere hundert Teilnehmer zusammen. Das scheint angesichts der 70.000 Teilnehmer an der Montagsdemonstration in Leipzig ein paar Tage zuvor nicht sonderlich viel zu sein. Bis zum Jahresende gab es zehn Friedensgebete im Dom, mit anschließenden Demonstrationszügen. Bereits am 25. Oktober nahmen 2.500 am Gebet teil, am 1. November waren es etwa 7.000 bis 8.000. „Die Friedensgebete waren wie normale Gebete im Gottesdienst. Über 1.000 Kerzen wurden aufgestellt. Es wurden Zeugnisse der Betroffenheit dargestellt, über gesellschaftliche Verhältnisse wurde geklagt“, beschreibt Hagen Kühne. „Und auf einmal war alles ganz politisch.“ Das schlägt sich auch in den im Dom besprochenen Themen nieder: Es wurden beispielsweise Forderungen nach einem zivilen Wehrersatzdienst an Stelle des Wehrdiensts in der NVA, Dialog in der DDR, Freien Wahlen, Volksentscheiden, laut.

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Demonstration in Greifswald

Parallel zu den Friedensgebeten im Dom fanden regelmäßig Mensagespräche statt, das erste am 19. Oktober. Etwa 1.000 Teilnehmer zählte der „Runde Tisch“, darunter der SED-Oberbürgermeister Udo Wellner mit seinem Stellvertreter Dr. Achim Jonas. Auch Studenten nahmen an den Gesprächen teil. Es wurde über die aktuelle Situation in der DDR diskutiert. „Das war typisch für Greifswald“; resümiert Dirk Mellies, „dass die Opposition und die Führung der Stadt sehr früh in Kontakt kamen. Das Ganze geschah friedlich und recht konfliktfrei.“

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Das ausgehende Jahr 1989

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Besetzung der Kreisdienststelle

Bis zum Ende des Jahres 1989 gab es noch weitere Friedensgebete und Demonstrationen. Während das Politbüro, inklusive Egon Krenz am 3. Dezember zurücktrat, verlief durch die DDR eine Lichterkette. An dieser beteiligten sich tausende Greifswalder und Stralsunder Bürger. Ein weiteres wichtiges Ereignis, wie Historiker Dirk Mellies betont, war der 4. Dezember. Es kam zur Besetzung der Kreisdienststeller des Amtes für Nationale Sicherheit in der Domstraße – Aktenschränke wurden versiegelt und gesichert.

„Greifswald war eine der ersten Städte, die die Akten sicherten“, sagt Mellies. Nicht alle hielten die Wiedervereinigung für eine optimale Lösung, Beispielsweise demonstrierte der SSB, der Sozialistische Studentenbund, Mitte Dezember gegen die Wiedervereinigung.

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Das neue moritz-Magazin (80) erscheint in diesen Tagen.

Hagen Kühne ist Zeuge der Wende in Greifswald geworden. „Es ist unglaublich. Alles änderte sich relativ schnell. In eine Richtung, die man sich erträumt hat“, erläutert der Pastor, der heute in der Nähe von Bernau bei Berlin arbeitet, nachdenklich. Bisher gab es allerdings weder Abschlussarbeiten noch Veröffentlichungen zu dem Thema. Dirk Mellies und Dr. Frank Möller, ebenfalls vom Historischen Institut, bringen im Dezember ein Buch heraus, das 25 Zeitzeugen der Greifswalder Wendezeit näher darstellt. Etwa 18 Studenten haben mitgeholfen, ihre Geschichte zu verschriftlichen. Denn wer sucht, der findet. Auch in Greifswald.

Weitere Themen im neuen moritz-Magazin:

  • Was steckt hinter dem Wechsel der Psychologie in die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät?
  • Rückblick auf die Erstsemesterwoche
  • Das Riemser Virenforschungszentrum
  • Das CD-Release „klein stadt GROSS“
  • Reisebericht aus Syrien

Bilder: Historische Bilder (Copyright bei den Urherbern, nicht CC-lizenziert): Menschenkette: Thomas Lange, alle anderen: Puttkamer.