Wenn eine renomierte Zeitung wie Die „ZEIT“ zu einer prominent besetzten Podiumsdiskussion in die Uni-Aula einlädt, schämt sich der verantwortungsbewusste Student, wenn bei Beginn dieser Veranstaltung gerade mal 30 Kommilitonen und eine handvoll weiterer Besucher im Raum sind. Diese Scham war bei der ZEIT-Diskussion am Dienstag aber eher unangebracht – der mäßige Besuch war der Veranstaltung durchaus angemessen.
Der Abend, unter dem Motto „Nichts wie weg von hier?!“, thematisierte die Abwanderung, gerade junger Akademiker aus den ostdeutschen Bundesländern, aber auch das geringe Interesse westdeutscher Abiturienten an den Hochschulen in den neuen Ländern. Unser Redakteur Eric Schümann fragte bei den Diskutanten nach, welche Bedeutung diese Probleme für sie haben:
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Leider kam die Diskussion in weiten Teilen nicht über eine träge Bestandsaufnahme und einige Plattitüden hinaus. Thimo von Stuckrad, Politologe und Mitarbeiter des Centrum für Hochschulentwicklung, das für die bekannten Uni-Rankings in der ZEIT verantwortlich zeichnet und sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein neoliberaler Thinktank zu sein, lieferte ein paar ziemlich unspektakuläre, da bekannte, Zahlen über Studenten im Osten. So gehen mehr Ostdeutsche Jugendliche zum Studieren in den Westen als umgekehrt und sind die Löhne für Akademiker in M-V niedriger als in Süddeutschland. So weit, so bekannt. Björn Reichel, Jura-Student und AStA-Referent für Queer und Gleichstellung, legte dann noch ein paar Zahlen nach: In Greifswald gebe es mehr Anwälte als Ärzte, in M-V insgesamt seien die Perspektiven für seinen Berufsstand aber schlecht – in Berlin und Münster habe er viel bessere Chancen. Was ihn bewog zum Studium nach Greifswald zu gehen, erklärte er nicht.
Auch Professor Nikolaus Werz (Politologe aus Rostock) konnte wenig mehr beitragen als eine Reihe von Bekanntheiten, die er mit Modewörtern wie „Humankapital“ frisierte. Udo Possin (Geschäftsführender Gesellschafter der ml&s manufactoring, logistics and services GmbH & Co) sollte wohl die Wirtschaft repräsentieren und tat das auch sehr eindrucksvoll, indem er mit großer Selbstverständlichkeit die Ansicht vertrat, an Universitäten würden ausschließlich neue Arbeitskräfte für die Wirtschaft produziert und zwar ausschließlich für seinen Arbeitszweig – also: Elektroingenieure. Die gebe es aber in Greifswald nicht und darum sei die Uni Greifswald auch uninteressant.
Possin war interessanterweise der einzige, der bei der Veranstaltung konkret über die Geisteswissenschaften sprach – wenn auch ausschließlich despektierlich. Einen Studiengang wie Ukrainistik könne er nicht gebrauchen, den solle man deshalb schließen. Widerspruch erhob sich dagegen nur wenig, selbst Professor Werz äußerte die Überzeugung, an der Uni Greifswald gehe es „schwerpunktmäßig um Medizin“. Lediglich Professor Michael Herbst, Prorektor für Studium und Lehre, verteidigte die Ukrainistik und die breite Aufstellung der Uni klug und deutlich – wenn auch mit wenig mehr als drei Sätzen.
Juliane Hille, AStA-Referentin für Nachhaltigkeit und Ökologie und Jura-Bachelor-Studentin, war die einzige, die gelegentlich ein wenig Fahrt in die Debatten brachte. Als der Moderator (ZEIT-Autor Jan-Martin Wiarda) die eher einfältige Frage formulierte, ob Juliane – eigentlich Berlinerin – nicht aus Idealismus in M-V bleiben wolle, weil Idealismus ja schließlich Aufgabe der Jugend sei, konterte sie geschickt, Idealismus sei da wohl das falsche Wort, sondern höchstens Verantwortungsbewusstsein für die neuen Länder im Allgemeinen und M-V im Besonderen. Auch wenn Juliane thematisch und rhetorisch am erfrischendsten war – an der Trägheit der Veranstaltung konnte sie wenig ändern.
So ließe sich dann auch das Fazit des Gesprächs auf den Satz „Hier studieren zwar genug Leute, aber die gehen danach alle wieder weg“ reduzieren. Lösungen dafür wurden nicht aufgezeigt, höchstens diese hier: „Vielleicht kommen die Absolventen ja irgendwann wieder zurück, wenn sie älter sind.“ Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dem Gespräch fehlten eloquente Vertreter der Studierendenschaft (die Besetzung mit zwei Jura-Studenten und AStA-Mitgliedern war wohl mehr als halbherzig erfolgt) sowie Vertreter aus Politik und Kultur.
Gerüchten zufolge soll es beim anschließenden „Get-Together“ im Uni-Konferenzsaal (dessentwegen das StuPa kurzfristig in die Bürgerschaft ausweichen musste) noch ganz nett gewesen sein, da es für die geringe Masse von Besuchern eine enorme Masse von Brezeln gegeben haben soll. Na denn: Guten Appetit und bis zum nächsten Mal!
Bilder: Patrice Wangen
Leider fehlten im ankündigenden Artikel Uhrzeit und Ort der Diskussion…
Tschuldigung, war doch drin. Ist beim groben Überfliegen nur untergegangen. Wer Lesen kann ist klar im Vorteil…
also um ehrlich zu sein, hab ich bis grade eben, nichts von dieser podiumsdiskussion gewusst, sonst wäre ich da auch hingegangen.
der ankündigende artikel hier muss mir irgendwie durch die lappen gegangen sein, aber trotzdem hätte ich mir schon etwas mehr werbung gewünscht! ich weiss nicht, ob in der mensa flyer auslagen, wenn ja frage ich mich, warum nicht auch in der mensa am beitz-platz?
Flyer gab es schon, ob die in der Mensa lagen kann ich nicht sagen, ich hab sie nur in der UB, beim Asta und im Audimax gesehen. Es gab auch Plakate, aber das Design war eher langweilig gehalten, wieso sie mir auch nicht aufgefallen wären, hätte mich keine Kommilitonin drauf aufmerksam gemacht.
In der Mensa hab ich keinen Flyer dieser Art gesehen. Ansonsten hing im Historischen Institut ein Plakat am Schwarzen Brett. Mich hat es aber ehrlich nicht wirklich interessiert. Und der Artikel hat mir persönlich genau das bestätigt, was ich von einer solchen Veranstaltung auch erwartet hatte:
Nichts. (neues)
Nette kleine Randinfo über den Moderator, ZEIT-Autor Jan-Martin Wiarda: http://www.nachdenkseiten.de/?p=4119#h16
Scheint ja ein gaaanz seriöser Journalist zu sein. Nicht gerade positiv für das Image der ZEIT, finde ich…
Ne, passt sehr gut zur ZEIT.
Wer gemeinsame Sache mit CHE macht, dem kann jede Seriösität getrost abgesprochen werden.
Kann ich nur unterstützen!
CHE und Bertelsmann bedeutet Privatisierung der Bildung und Studiengebühren.
Vor einigen Tagen hat die Uni übrigens an Studierende CHE-Fragebögen verschickt (offenbar auf Hochschulkosten). Ich hoffe, alle haben den Kram dort abgelegt, wo er hingehört: Ablage P wie Papierkorb.
Um Himmels Willen! Ich hab keinen Che Fragebogen erhalten! Der muss mir unbedingt noch geschickt werden! Mein Toilettenpapier wird bald alle! Aber selbst dafür dürften die Fragebögen zu wenig Wert sein…
Die PR-Dame von der ZEIT hat beim aufgebretzelten Get-together im Anschluss übrigens auch klar bekannt, dass diese ZEIT Campus Dialoge reine PR-Aktionen sind, die konzeptionell NICHTS nach sich ziehen. Sie erklärte aber auch, bei solchen Veranstaltungen in Unis ähnlicher Größe in der Regel etwa 150 Studierende vorzufinden.
Der Herr von Stuckrad, anwesend für CHE Consult, vertritt im Übrigen vehement die unternehmenstypische Befürwortung von Studiengebühren.
Wenn irgendwo über Bildung gesprochen wird, sitzt da IMMER einer von Bertelsmann/CHE.
Die haben auch an der größeren Autonomie für Hochschulen in NRW mitgestrickt: Autonomie = fremdbestimmte Wirtschaftseliten übernehmen die Leitung der Universitäten.
Eigentlich ein Unding das der AStA sich mit denen auf ein Podium setzt und das nicht kritisch hinterfragt. politischer Auftrag: 0 Punkte
wenn die wirtschaftseliten fremdbestimmt sind, wer bestimmt sie denn dann? der politische auftrag des asta ist gerade, sich mit denen aufs podium zu setzen und sie da zu demaskieren. ich hab gar nicht gehoert, dass der che-typ etwas zu studiengebuehren gesagt hat.
Demaskierung sieht anders aus.
ein politischer AStA, aber eben auch.
Es ist wirklich blanker Hohn, wenn ganz klischeemäßig die AStA-Referentin für Nachhaltigkeit und Ökologie mit der Frage nach dem Idealismus der Jugend konfrontiert wird. Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit das Ende der Geschichte und somit die Überflüssigkeit von Idealismus zementiert und wenn es Probleme gibt, dann wird wieder nach den Idealisten geschrien, denn die könnten sich ja mal drum kümmern. Was für ein Treppenwitz der Geschichte.
Fremdbestimmt: Ministerium. Nicht fremdbestimmt ist zum Beispiel unser Rektor, der durch den Senat in sein Amt gelangt.
Die CHE Leute sind schon überall unterwegs. Wenn die mal hier sind und irgendwas reden, machen die sich ja nur gesellschaftsfähig: "Der war ja gar nicht so schlimm wie alle sagen." Man verkennt aber das diese Leute in Bildungsausschüssen angehört werden und im rechten Flügel der SPD sowie den den konservativen Parteien FDP und CDU Gehör finden und da auch oft vorstellig werden. Daher sollte man sie nicht noch bei den Studierenden gesellschaftsfähig machen – jedenfalls nicht ohne deren Ansichten ausführlichst zu thematisieren.
ein ministerium muss fremdbestimmt sein (naemlich durch den souveraen, i.e. volk bzw. parlament), waere nicht gut, wenn die ungesteuert entscheiden, oder? egal: ich habe mich zur vorbereitung auf den dialog vorbereiten und deren (che) ansichten angeschaut. der witz ist, dass die auch gute punkte haben und auch deren gedankenwelt differenziert ist. ich bin hochschullehrer und stehe als bologna-kritiker nicht im verdacht, che-freund zu sein. und jetzt, da ihr das gelesen habt, folgen die replies: bist denen eben auf den leim gegangen, hast dich indoktrinieren lassen, die haben sich bei dir "gesellschaftsfaehig gemacht usf.
meinen studenten erklaere ich im seminar, dass kritik immer das gegenteil eines festen standpunkts, aller dogmatik ist! um kritik an ihnen zu ueben, muss man sie ihre punkte machen lassen, genau zuhoeren, nachfragen und sie demaskieren. gleichzeitig muss man seine eigenen punkte, einfache ueberzeugungen und vorurteile befragen, sich selbst genau zuhoeren und sich demaskieren. mit gesellschafsfaehig machen hat das nichts zu tun, sondern mit sich selbst und den anderen kritikfaehig machen. sorry, ihr koennt jetzt das machen, was ich oben geschrieben habe und alles der wasweissichwas bezichtigen.
und nochmal zur eigentlichen debatte: ich fand die weder pessimistisch, noch platituedenhaft, sondern shlicht ratlos.
zum ersten Absatz: Der Wissenschaftsrat (oder wie der heißt) ist vom Ministerium fremdbestimmt. Und der wählt den Rektor. Das Ministerium ist ja nicht Ausdruck des Volkeswillen, sondern das Parlament ist das.
der wissenschaftsrat ist ein von hoch reputierten wissenschafter/-innen dominiertes expertengremium. http://www.wissenschaftsrat.de/Mitglieder/mitglie…
gemeint waren aber wohl die hochschulraete, die nicht vom ministerium "fremdbestimmt" sind und in den meisten laendern den rektor auch nur vorschlagen bzw. gemeinsam mit dem senat waehlen (doppelte legitimation). bitte vorher informieren und kritisch reflektieren, bevor etwas gelesenes oder gehoertes repetiert wird. ich fuerchte, ich kann zu dieser debatte hier sonst nichts aufklaerendes mehr beitragen als die oben schon formulierte bitte, in die kritik die eigne sichtweise immer selbst kritisch auf den pruefstand zu stellen. ich ziehe mich daher zurueck. das soll nicht beleidigt oder beleidigend aufgefasst werden, aber so wie oben kommt man hier keinen schritt weiter.
@marco_wagner: die lanze fuer die philosophie und die kritischen wissenschaften breche ich ausdruecklich mit. gerade im verhaeltnis zu den naturwissenschaften kommt es darauf an, die philosophie und gesellschaftswissenschaften aber hoerbar zu machen. die biologen usw. muessen der ethischen und sozialen implikationen ihres handelns bewusst gemacht werden und dazu gehoert, dass die kritischen wissenschaften auch in deren curriculum eine rolle spielen. ihr solltet das in greifswald fordern und durchsetzen. dabei viel erfolg.
Ebenso ziehe ich mich zurück.
Allerdings verweise ich auf folgendes Zitat:
"Der Hochschulrat hat in seiner letzten Sitzung einen externen, innerhalb der Hochschule unbekannten Kandidaten zum Rektor gewählt. Obwohl dieses Verfahren gesetzeskonform ist, verletzt es grundsätzliche akademische Verfahrensweisen, nach denen ein Kandidat vor der Wahl zum Rektor eine breite Basis in der Hochschule haben sollte. Der Senat missbilligt dieses Vorgehen und sieht die Basis der Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und dem Hochschulrat beschädigt; er wünscht sich für die Zukunft eine konstruktivere Zusammenarbeit." http://www.nachdenkseiten.de/?p=3351#more-3351
Ich empfehle zum kritischen Denken nicht nur die Allgemeinplätze ab zu grasen sondern auch mal zur Seite zu schauen. (Würde ich auch meinen Studierenden raten)
@google – obige Zeile suchen lassen und ab da selbst weiterführend informieren
Wenn man sich mit den Vernetzungen der Bertelsmann-Stiftung, der Politik und der Wirtschaft und den Medien beschäftigt und deren Einfluss auf Schulen und Hochschulen, das Gesundheitswesen, die Altersversorgung, die Versicherungswirtschaft, den Bankenbereich, die öffentliche Verwaltung, die Gerichte usw. beschäftigt und wenn man sich dann einmal ernsthaft mit diesen verdeckten Strukturen auseinandersetzt, kann einem nur noch übel werden.
Das ist wohl wahr! Mit Demokratie und Gemeinwohlorientierung hat das immer weniger zu tun.
(M. Kraemer)
Sehr interessanter und kritischer Beitrag!
Erschreckend ist wieder einmal nur, dass die Altvorderen des modernen Zeitalters, oder sollte man besser sagen der "Neuen Mitte" (?) immer noch nicht begriffen haben, dass ein zukunftsfähiger, moderner und gerechter Staat ohne die Kontroversen und Ideen der Geisteswissenschaftler nicht auskommt. Und dass relativ unpopuläre Studiengänge wie Ukrainistik oder Fennistik (dazu hat sich laut Artikel niemand geäußert, ich möchte es an der Stelle trotzdem erwähnen) durchaus zum Markenzeichen oder gar Standortfaktor einer Fakultät/ Uni werden kann und dass dadurch das Miteinander der Europäer untereinander gefördert wird, scheinen manche "Experten" scheinbar nicht zu wissen.
Ich verliere jedes mal von neuem die Fassung, wie stiefmütterlich manche selbsternannte Heilsbringer die philosophischen Wissenschaften behandeln. Ohne philosophisches Denken werden auch Naturwissenschaften zum reinen Pragmatismus. Und nichts kann schlimmer sein, als reiner Pragmatismus in Naturwissenschaften. Denn dieser ermöglicht ethisch nicht vertretbare Methoden und Ideen.
Vielleicht sollte sich die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts mal wieder darauf besinnen, dass Natur- und Geisteswissenschaften einher gehen müssen. Zu viel von dem einen ist genau so wenig dienlich, wie zu viel von dem anderen.
Übrigens fände ich es Schade, Greifswald/ MV nach dem Studium wieder verlassen zu _müssen_. Aber wenn sich hier keine Arbeitsmöglichkeiten bieten, bleibt mir (bzw.auch anderen) nichts anderes übrig…
"Auch wenn Juliane thematisch und rhetorisch am erfrischendsten war – an der Trägheit der Veranstaltung konnte sie wenig ändern."
Das ist ja wohl ein schlechter Witz. Abgesehen davon, das die Dame keine ihrer Thesen argumentativ halbwegs vernünftig untermauern konnte bügelte sie vorhandene Initiativen als Gegenstandslos ab. Mit gleich zwei Juristen war das Podium von Seite der Studierenden leider denkbar schlecht und realitätsfern besetzt. Wie Lehrer stehen Juristen dem ersten Arbeitsmarkt ja nicht unbedingt nahe, entsprechend hat Björn Reichel auch nur mit allgemeinen und nichtssagen Arbeitsmarktzahlen jongliert und persönliche Schlussfolgerungen daraus gezogen. Enttäuschend war ferner, dass der eigentliche Arbeitsmarkt für Akademiker sowie der Zusammenhang zwischen der Univeristät als Wachstumsmotor und der Entstehung neuer materieller oder immaterieller Wertschöpfungsketten so wenig thematisiert wurde. Die Wissenschaft muss nach Meinung des Rektorats eben keine realwissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Problemstellungen beantworten, sollte aber eventuell die Nase ein wenig herunter nehmen und sich um die Lebensperspektiven ihrer Studenten bemühen.