Alles schien wie an einem gewöhnlichen Sommertag. Der Innenhof der Universität lag friedlich und verlassen vor den altehrwürdigen Gebäuden. Doch das ferne Grollen tiefer Bässe ließ schon vermuten, was hier in wenigen Minuten los sein würde. Der Bildungsstreik schwappte in Richtung Rubenowplatz und vor den Schranken zum Hof sammelten sich die ersten Studenten. Es war der hochschulpolitische Höhepunkt dieses Semesters. Am 17. Juni fand die in jedem Semester einberufene Vollversammlung der Studierendenschaft statt, veranstaltet und beworben vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Über 1.300 Studentinnen und Studenten ergiffen die Initiative, um ihr demokratisches Recht wahrzunehmen. Eine Rekordbeteiligung, im letzten Semester fanden sich nur 170 Kommilitonen in der Mensa ein. „Es war ein großartiges Engagement der Studierenden“, sagte Fabian Freiberger, AStA-Referent für Hochschulpolitik dem moritz, „wir sehen uns in unserem Konzept, die Vollversammlung unter freiem Himmel und im größeren Rahmen zu veranstalten, bestätigt.“ Freiberger selber nahm an der Veranstaltung allerdings nicht teil. Nach eigenen Angaben konnte er aus persönlichen Gründen nicht in Greifswald sein.
Schon im Vorfeld zur Vollversammlung konnte sich engagiert werden, denn im gesamten Bundesgebiet wurde am gleichen Tag der „Bildungsstreik 2009“ von Schülern und Studenten veranstaltet. Ein zusätzlicher Motivationsschub dürfte die Verlosung von 564 Euro gewesen sein. Initiiert von drei Greifswalder Studenten und finanziell unterstützt von Rektorat und AStA, hatte ein Besucher die Möglichkeit, mit viel Geld von der Veranstaltung nach Hause zu gehen.
Die Entscheidungen über Anträge auf der Vollversammlung gelten im Studierendenparlament (StuPa) als Empfehlung zu dessen Entscheidungsfindung. Um die Beschlussfähigkeit zu gewährleisten, müssen fünf Prozent der Studierenden anwesend sein. In diesem Falle waren es mit 1.300 Studentinnen und Studenten über zehn Prozent, also weitaus mehr als die geforderten 564. Unter Leitung von StuPa-Präsident Korbinian Geiger wurden zunächst nötige Formalia abgehandelt und die Tagesordnungspunkte aufgezählt sowie bestätigt.
Viele Punkte, konnten durch den großen Konsens sehr schnell abgehandelt werden. Die Aufforderung an die Hochschulleitung, keine Verwaltungsgebühren zu erheben, wurde genau so schnell beschlossen wie der Aufruf an Landesregierung und Bürgerschaft konkrete Pläne für Umbaumaßnahmen des Klinikumgebäudes in der Loefflerstraße vorzulegen. Für jede Menge Diskussionsstoff sorgte dagegen der so genannte „Arndt-Antrag“ der von einigen Vertretern der Grünen Hochschulgruppe, der Jusos und des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbunds (SDS) eingebracht wurde. Ziel ist es, den Namen „Ernst-Moritz -Arndt Universität“ abzulegen. Schon ein paar Tage zuvor hatten die Initiatoren, unter ihnen Sebastian Jabbusch, in der Mensa am Wall sowie vor der Vollversammlung auf dem Campus Reden des Namenspatrons der Universität verkündet. Bei der Aktion vor der Mensa riefen besorgte Bürger sogar die Polizei, sie verdächtigten Jabbusch der „öffentlichen Volksverhetzung“.
Der Lehrstuhlinhaber für Pommersche Geschichte, Professor Werner Buchholz vom Historischen Institut, unterstützte mit seinem Vortrag den Antrag mit wissenschaftlichen Argumenten. Nachdem die Änderungsanträge und verschiedenen Meinungen diskutiert wurden, folgte die Abstimmung, in der der Antrag mit großer Mehrheit angenommen wurde. Gleichzeitig wurde sich dafür ausgesprochen, mit Hilfe einer Urabstimmung den Senat aufzufordern, die Namensänderung in „Universität Greifswald“ zu betreiben. Sobald die rosa Stimmzettel zur Namensgebung der Uni wieder unten waren, verließ ein Großteil der Studierenden den Innenhof. Mit dem Abstimmungsprogramm ging es dennoch weiter, auch wenn die Beschlussfähigkeit von einigen kritischen Stimmen bereits angezweifelt wurde. Es wurde ein Antrag zur Wohnraumproblematik eingebracht, der erneut die mehr als angespannte Lage für Studentinnen und Studenten in Greifswald betonte. Die Hochschüler beschlossen, die Stadt als auch die Universität dazu aufzufordern, mehr Engagement in der Wohnraumproblematik zu zeigen. Außerdem soll das Studentenwerk Wohnraum für mindestens zwölf Prozent der Studierenden schaffen.
Aufgrund der immer stärker werdenden Unruhe gab es schließlich eine kleine Pause, in der zur Feier des Tages der Bologna-Geburtstag in Erinnerung gerufen wurde. Es gab gratis Spaghetti Bolognese, die die Gemüter besänftigte und die Mägen füllte. Als es weiterging, verlor die Studierendenschaft allmählich das Interesse an der Veranstaltung, denn viele gingen ihrer Wege oder hörten nur noch mit einem Ohr zu.
Es folgte eine Ökowelle: Anträge zu einer gewünschten Biolinie in der Mensa, Recyclingpapier in den Kopierern der gesamten Uni sowie das Angebot von Fair-Trade Kaffee in der Mensa wurden abgearbeitet.
Zu guter letzt sorgte die Forderung nach Anwesenheitspflicht für Stupisten und studentische Senatoren auf Vollversammlungen noch einmal für Aufmerksamkeit und Diskussionen. Zu diesem Zeitpunkt war die Vollversammlung aber auch offiziell nicht mehr beschlussfähig. So fand sie um circa 21.30 Uhr mit der Verlosung der angepriesenen 564 Euro ihren Abschluss. Der Gewinner bedankte sich freudestrahlend und versicherte dem Publikum, diesen Geldbatzen noch heute Abend für seinen Alkoholkonsum aufbrauchen zu wollen. Ob ein Großteil des Geldes wegen gekommen war oder wirklich in erster Linie sein Stimmrecht wahrnehmen wollte, kann nur vermutet werden. Fakt ist, dass am Schluss nur noch 300 Menschen anwesend waren, ein sehr großer Teil also schon vor der Verlosung gegangen war. Viel wichtiger ist die Frage, wie in Zukunft eine ähnlich erfolgreiche Vollversammlung abgehalten werden kann, auch ohne Geldverlosung. „Dass die Teilnehmerzahl letztendlich so hoch war, lag an vielen verschiedenen Faktoren“, erklärte Scarlett Faisst, Vorsitzende des AStAs, „gute Themen, ansprechende Werbung, eine gute Organisation, ein passender Ort.“ Doch gerade der Veranstaltungsort könnte zum Problemfall werden, in Greifswald gibt es keine Räumlichkeit mit entsprechenden Kapazitäten.
Für den Innenhof ist es im Winter zu kalt. Doch habe der AStA bereits eine Idee für eine Lösung, so Scarlett Faisst. Man darf gespannt sein.
Ein Artikel von Luisa Pischtschan und Sophie Lagies