Im Juni 2008 hatte moritz das letzte Mal die Möglichkeit, mit Erwin Sellering zu sprechen – damals war er noch Sozialminister. Ein Jahr später trafen wir den SPD-Politiker wieder, mittlerweile hat er das Amt des Ministerpräsidenten inne. Wir sprachen mit ihm über die Zukunft der Hochschulen, Studiengebühren und die Finanzkrise als Chance für Mecklenburg-Vorpommern.
moritz Sie kommen ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und teilen das Schicksal vieler Studenten, die zugezogen sind. Wie sehr identifizieren Sie sich mit Greifswald, mit der Region, mit Mecklenburg-Vorpommern?
Erwin Sellering Es ist sicherlich ein Unterschied, ob man als Student hier herzieht und studiert. Ich bin in der Mitte des Lebens hier hergekommen, mit der klaren Entscheidung: Das ist meine Heimat. Es ist touristisch toll hier und als Ministerpräsident sage ich: Mensch, ist das ein schönes Land. Man kann nur stolz sein, dass es bergauf geht.
moritz Warum ist Mecklenburg-Vorpommern gerade für junge Leute attraktiv und warum sollen wir nach dem Ende unseres Studiums, hier bleiben?
Sellering Das ist ein wunderschönes Land mit unberührter Natur. Ich weiß natürlich, dass junge Leute städtische Kultur brauchen. Aber auch Greifswald hat einiges zu bieten. 1994, als ich herkam, gab es weniger Kneipen als heute. Außerdem haben wir keine Studiengebühren und geringere Lebenshaltungskosten als in Berlin und Hamburg. Hier zu bleiben bedeutet aber auch: Jeder einzelne kann sich einbringen und findet ideale Bedingungen, seine Ideen verwirklichen.
moritz Die Hochschulen geben also wichtige Impulse für das Land?
Sellering Natürlich.
moritz Was viele mögliche Studierende abschrecken würde, sind Studiengebühren. Bleiben Sie dabei, dass der Verwaltungskostenbeitrag keine Studiengebühr ist?
Sellering Das ist natürlich keine Studiengebühr, das ist ja überhaupt nicht vergleichbar – vor allem, wenn man die Höhe sieht. Ich muss für eine meine Töchter Studiengebühren bezahlen. Ich weiß also, wie viel das ist.
moritz Wo studiert ihre Tochter?
Sellering In Hannover. Und es ist ja auch so, dass wir nichts geändert haben, sondern es gab diese Verwaltungsgebühr immer. Nun haben wir eine Obergrenze durchgesetzt. Insofern finde ich das vertretbar und richtig so.
moritz Aber Studiengebühren wird es nicht geben?
Sellering Studiengebühren wird es nicht geben, nein.
moritz Der bildungspolitische Sprecher der SPD, Matthias Brodkorb, wirbt für das Modell der Studienkonten. Wie stehen Sie dazu?
Sellering Auf dem letzten Parteitag haben wir das beschlossen, ich finde das gut. Es gibt keine Studiengebühren für das Erststudium und es geht auch darüber hinaus: Auch ein Zweitstudium oder Weiterbildungen, und somit ein lebenlanges Lernen, soll dadurch kostenlos gewährleistet werden. Wir wollen einen Anreiz schaffen, dass diejenigen, die ihre Hochschulausbildung schnell machen, einen Vorteil davon haben.
moritz Wie sieht die Zukunft der Universität Greifswald aus? Bleibt diese als Volluniversität erhalten?
Sellering Wir haben in der Vergangenheit viele Diskussionen gehabt. Wir wollen beide Volluniversitäten behalten, Rostock und Greifswald. Aber wir haben gesagt: Ihr müsst euch so aufstellen, dass ihr mit dem Geld, das wir euch geben und das wir jährlich erhöhen, gut arbeiten könnt. Und deshalb können wir nicht mehr alle Studiengänge anbieten.
moritz In Greifswald?
Sellering In Greifswald, wie in Rostock. Aber das ist jetzt sowieso durch, wir sind jetzt gut aufgestellt. Aktuell gibt es keine Diskussionen darüber, irgendwas zu verkleinern.
moritz Ein weiteres Thema, was viele Greifswalder Studierende bewegt, ist das geplante Steinkohlekraftwerk in Lubmin. Sie haben sich in der Vergangenheit dazu kritisch geäußert. Aber auf dem vergangenen Parteitag lehnte die SPD einen Antrag ab, der sich gegen Lubmin aussprach.
Sellering Wir hatten eine politische Diskussion innerhalb der SPD – es gibt eine sich klar abzeichenende Mehrheit, die das skeptisch sieht. Auf dem Bundesparteitag haben wir uns darauf verständigt, dass, wenn Kohle noch notwendig ist – und das wird sie noch eine Weile lang sein – dann nehmen wir nur die sauberste Technologie. Das Zweite, was man politisch machen kann, ist, mit einem Investor zu sprechen. In Lubmin haben wir diese Möglichkeit nicht mehr. Wir haben dem Investor gesagt, dass wir nicht diese Größe, sondern höchstens nur die Hälfte wollen. Die politische Verhandlung ist nun zu Ende. Das Letzte, was man nun noch politisch machen kann, ist, dass wir dafür sorgen, dass das Genehmigungsverfahren nun so passiert, dass den Sorgen und Bedenken aus der Region sehr genau nachgegangen wird. Wir sind da auch noch lange nicht durch. Mich macht es betroffen, wenn mir viele sagen, dass das politisch entschieden und nicht sachlich geprüft wird. Es kann letztendlich auch nicht der Fall sein, dass Arbeitsplätze auf der einen Seite durch das Kraftwerk gewonnen werden, aber auf der anderen Seite dem Tourismus verloren gehen.
moritz Apropos Tourismus – kann Mecklenburg-Vorpommern die Finanzkrise nicht sogar als Chance nutzen? Hier dominiert ja der Tourismus und vielleicht machen die Bundesbürger eher hier Urlaub, als weit weg zu fahren.
Sellering Das wird mit Sicherheit so sein. Dann heißt es möglicherweise: Nicht mehr Fernost, sondern Usedom oder Rügen. Wobei niemand gerade seriös abschätzen kann, wie stark sich die Krise auswirken wird. Ich warne davor, zu beschönigen. Denn die Bundesländer sind davon unterschiedlich betroffen. Hier betrifft es beispielsweise die Werften im hohen Maße.
moritz Herr Ministerpräsident, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führten Stefanie Binder, Christine Fratzke und Carsten Schönebeck