Wir studieren da, wo andere Urlaub machen. Dachten wir. Aber aus unserem Treffpunkt „Eldenabeach“ wurde über Winter eine Großbaustelle. Bagger rollen und der großflächige Sandstrand ist einfach nicht mehr das, was er noch im letzen Sommer war. Der Deichbau in Eldena – von einigen stillschweigend notiert, von anderen heiß diskutiert. Doch was passiert da eigentlich genau?
Der Deichbau ist Teil des „Generalplanes Küsten- und Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpommern“, der zum Schutz der besonders sturmflutgefährdeten Gebiete in Wieck, Eldena und dem Stadtgebiet selbst bereits 1994 ins Auge gefasst wurde. „Die Idee eines Schutzprogrammes ist sogar noch älter“, so Peter Lubs aus der Stadtverwaltung. Schon zu Zeiten des Nationalsozialismus kam der Gedanke auf. In der DDR wurden die ersten Deiche errichtet, die bis heute einen gewissen Schutz bieten. In der Zeit davor waren Greifswald und Umgebung den Launen des Wassers ausgesetzt. So nahmen im Jahr 1872 Wassermassen mit einer Höhe von 2,81 Metern über Normalnull das Land ein. Zwar erreichten die nachfolgenden Hochwasser nie den Stand von 1872, doch die zeitlichen Abstände der Sturmfluten werden immer geringer.
Die Berechnungen für das jetzige Schutzprogramm beziehen sich auf den bisher höchsten gemessenen Wasserstand von 1872 und kalkulieren alle ungünstigen Faktoren mit ein. Zum Beispiel auch das Schmelzen der Polkappen. Daraus errechnet sich für Greifswald ein maximal möglicher Wasserstand von 3,25 Metern. Auf einer Überflutungskarte sieht man ganz deutlich, dass aber bereits bei einer Höhe von drei bis vier Metern der komplette Stadtkern Greifswalds sowie Wieck und die Gebiete rund um den Ryck gefährdet sind und somit 12.000 Menschen. Für den Fall, dass vor der Fertigstellung des Schutzprogrammes ein extremes Hochwasser auftritt, hat Peter Lubs eine clevere Idee. Belustigt auf die Karte zeigend meint er: „Na, dann müssen sich alle entweder auf die alte Mülldeponie oder auf den Flugplatz Ladebow retten.“ Dies sind die einzigen Gebiete, die dann noch trocken blieben.
Aber wir können beruhigt sein: Das Schutzsystem soll nach Fertigstellung 2014 durch seine sechs Teilvorhaben erstmalig einen lückenlosen Sturmflutschutz bieten. Doch obwohl man meinen könnte, das Vorhaben sei unumstritten, stellen sich viele trotzdem die Frage nach der Notwendigkeit. Immerhin kostet das Schutzsystem insgesamt 27 Millionen Euro, die letzte Sturmflut ist bei den meisten schon wieder in Vergessenheit geraten und der Bau stellt einen erheblichen Eingriff in die Natur dar. Doch Peter Lubs bringt es auf den Punkt: „Leider kann man Katastrophen nicht planen. Laut Landeswassergesetz ist es aber geregelt: Das Land muss seine Bewohner schützen.“ Greifswald war in der Vergangenheit von allen Küstenorten der deutschen Ostseeküste mit am stärksten von schweren Sturmfluten betroffen. Die vorhandenen Schutzanlagen entsprechen schon lang nicht mehr dem gültigen Sicherheitsniveau. Die Umsetzung des Schutzsystems war also nur eine Frage der Zeit.
Auch Dr. Walter Schumacher, Küstengeologe am Institut für Geographie und Geologie äußert sich positiv über das Projekt: „Insgesamt macht das gesamte Vorhaben einen sehr durchdachten Eindruck. Es sind, soweit ich das beurteilen kann, alle relevanten Aspekte bei Planung und Durchführung mit einbezogen worden“. Und auch die Informationsseite und -broschüre des staatlichen Amtes für Umwelt und Natur (StaUN) Ueckermünde weist auf die Berücksichtigung ökologischer Aspekte hin. So werden die Brackwasserbiotope auch weiterhin bei normal erhöhten Wasserständen aperiodisch überflutet und dadurch der natürliche Lebensraum von zahlreichen Vögeln und andere Bewohner erhalten. Als Ausgleichsmaßnahme für die nicht zu verhindernden Eingriffe in die Umwelt wird der Polder Eisenhammer, auf der Ladebower Seite des Rycks gelegen, renaturiert und Aufforstungen in der Umgebung Greifswalds durchgeführt.
Zum Projekt gehört ebenfalls der Bau eines Sperrwerkes an der Mündung des Rycks in die Dänische Wieck. 2010 soll mit dem Bau der insgesamt 26 Millionen teuren Anlage begonnen werden. Nach Fertigstellung bleibt eine Durchfahrtsbreite für Schiffe von beachtlichen 21 Metern, eine Größe, die auf Grund des prognostizierten Schiffverkehres bestimmt wurde. Das Sperrwerk soll schnelle Reaktionen auf aktuelle Wasserstandsvorhersagen ebenso wie Verschlusssicherheit bei Vereisung gewährleisten. Wer sich für den Mechanismus des Drehsegmentes interessiert, welches in ähnlicher Form auch im Themsesperrwerk Verwendung fand, findet eine anschauliche Animation unter www.staun-mv.de.
Das Sperrwerk, was an den frisch gebauten Deich in Eldena anschließen wird, macht einen Teil der alten Sicherungsanlagen überflüssig. Die Deichanlagen können von sieben auf dreieinhalb Kilometer verkürzt werden – eine deutliche Ersparnis bei Pflege und Wartung.
In der Bauzeit des Sperrwerkes wird allerdings das Fischerdörfchen Wieck samt seiner Umgebung erneut einer Großbaustelle gleichen. Die ansässige Gastronomie sieht dem ganzen Projekt trotzdem nicht allzu skeptisch entgegen. Im Café „Alte(r) Schule“ von Marianne Biehle ist der Bau des Sperrwerkes und des Deiches natürlich auch ein Thema. Aus den Gesprächen mit ihren Gästen weiß sie aber, dass viele das Bauvorhaben nicht so kritisch sehen und gespannt sind. Zwar wird der Rundumblick auf den Greifswalder Bodden, Rügen und Ludwigsburg eingeschränkt, doch die Inhaberin fasst gelassen zusammen: „Das Dorf an sich behält ja seinen Charme.“
Das Eldenaer Strandbad hingegen wird zwar nicht mehr aussehen wie wir es kennen, aber laut dem staatlichen Amt für Umwelt und Natur wurde beim Deichbau der Erhalt einer größtmöglichen Strandfläche angestrebt. Nach der Fertigstellung könnten Veranstaltungen am Strand wieder ungehindert stattfinden. Zusätzlich werde die dem Wasser zugewandte Böschung sogar unter Berücksichtigung der besonderen Beanspruchung durch die Nutzung als Liegewiese begrünt. An einen anderen positiven Effekt denkt Manfred Sommerfeld. Der Besitzer des Restaurants „Fischer-Hütte“ sieht den Nutzen des neuen Deiches in der Möglichkeit zu schönen Spaziergängen auf der Deichkrone und einer Joggingstrecke direkt am Wasser.
Auch er und sein Restaurant kamen leider schon in den „Genuss“ der Nachteile einer Großbaustelle. Während des Deichbaus sammelte er Erfahrungen mit vorbeirasenden, stinkenden und lärmenden Baufahrzeugen: „Wir haben mächtig gelitten. Das war schon eine Katastrophe, denn wenn man Terassenbetrieb hat wie wir, dann ist das eine erhebliche Belastung.“ Das Restaurant gleich vorne rechts neben der Klappbrücke muss sich demnächst zwar erneut den entlangfahrenden Fahrzeugen stellen. Lachend ergänzt Manfred Sommerfeld aber: „Ich hoffe auf die Einsicht der Bauleiter, dass die ihren Jungs sagen hier mal langsamer um die Kurve zu fahren.“ Besonders wird jedoch das Hotel und Restaurant „Utkiek“, direkt an der Flussmündung, unter der zweijährigen Bauphase leiden. Hartmut Kollecker, Direktor des Hauses, stellt am Anfang aber gleich klar, dass das Projekt für die Region notwendig ist. Das in Gestalt eines gestrandeten Schiffes erbaute Haus wird aber leider auch mit Sperrwerk nicht vor anstehenden Überflutungen geschützt sein: Es liegt nämlich davor.
Die anstehenden Lärm- und Schmutzbelästigung und der fehlende direkte Zugang machen dem erfahrenen 63-jährigen Gastronomen zu schaffen. Wie die Gäste jedoch auf die Beeinträchtigungen reagieren und ob sie den Umweg zum Haus durch die Baustelle in Kauf nehmen, darüber lässt sich nur spekulieren. Hartmut Kollecker nimmt es trotzdem mit Humor: „Der direkte Sichtkontakt von der Brücke aus zum „Utkiek“ wird zwar nicht mehr gegeben sein, doch wir werden ein großes Werbeschild vorne aufstellen mit der Aufschrift: „Wir leben noch!“
Gespannt auf das, was noch so kommt, sind wir alle. Aber eines ist sicher: Greifswald und Umgebung werden in naher Zukunft dem Hochwasser trotzen können. Wenn die ersten Flutwellen anrollen, dann werden die Schotten des Sperrwerkes einfach dicht gemacht. Und wir Greifswalder können getrost mit der Nase im Wind sicher vom Deich aus den Wellen zusehen, die vergeblich versuchen, unseren Eldenaer Strand und mit ihm gleich ganz Wieck zu überschwemmen.
wie werden die bauarbeiten eigentlich finanziert? bund, stadt, land, eu?