Eigentlich ist das Leben nicht wie im Film. Manchmal liegen jedoch sogar in der vorpommerschen Provinz Realität und Fiktion sehr nah beieinander. Eine alte LPG-Anlage, Korruption, ausländische Investoren, viele tausend Schweine – das ist der Stoff, aus dem man gut einen Polizeiruf 110 drehen kann. Dabei soll in Alt-Tellin im Landkreis Demmin, 40 Kilometer südlich von Greifswald, die größte Ferkelproduktionsanlage Europas enstehen.Es geht um Fleischproduktion der Superlative, 10.000 Muttersäue, die 250.000 Ferkel jährlich werfen. 65.000 Schweine würden permanent auf einer Fläche von sechs Hektar stehen – das macht ungefähr einen Quadratmeter pro Schwein. Obwohl laut einer Umfrage 60 Prozent der Dorfbevölkerung das Projekt ablehnen, entschied der Gemeinderat mit fünf zu vier Stimmen, dem Investor grünes Licht zu geben. 40 Arbeitsplätze sind der Köder, den der niederländische Unternehmer Adriaan Straathof ausgeworfen hat – der Gemeinderat hat angebissen. Und was entschieden ist, ist entschieden.
Da muss man auch nicht mehr nachfragen, warum eigentlich ein Vertreter die entscheidende Stimme abgeben durfte, dessen Frau dem Investor das Baugrundstück verkauft hatte. Natürlich regt sich der Widerstand, eine Bürgerinitiative „Leben am Tollensetal“ ist gegründet worden, die versucht Straathof aufzuhalten. Denn man darf sich nichts vormachen, 65.000 Schweine produzieren eine Menge Gülle. Die 60.000 Tonnen im Jahr sollen in vier Biogasanlagen verwertet werden. Inwiefern die Gülleausbringung die Lebensqualität im Tal und vor allem den Tourismus beeinträchtigt, der immerhin sechs mal so viele Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern ernährt wie die Landwirtschaft, soll nun vom Staatlichen Amt für Umwelt und Natur Neubrandenburg geprüft und entschieden werden – es grüßt das Kohlekraftwerk.
Der Unternehmer als Reizfigur
Straathof ist in der Region kein Unbekannter, er besitzt bereits mehrere Anlagen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, eine davon in Medow, unweit von Alt-Tellin. Dort fiel er unter anderem dadurch auf, dass die Anlage in Betrieb genommen wurde, bevor ein Kadaverhaus errichtet worden war. Die toten Schweine wurden einfach auf dem Gelände in der Sonne aufgetürmt. Was das für die Lebensqualität der Anwohner bedeutet, kann sich jeder vorstellen, der schon mal an einem vergammelten Stück Fleisch gerochen hat. Dass der Unternehmer sich jetzt neue Standorte in MV sucht, liegt zum einen daran, dass die Landesregierung die Region intensiv als Standort für Viehzucht beworben hat (und gleichzeitig die Genehmigungsverfahren drastisch strafft). Zum anderen ist Straathof in den Niederlanden mehrfach rechtskräftig verurteilt, weil er Auflagen nicht einhielt. Eine Anlage der Größenordnung, wie die in Alt-Tellin geplante, ist in den Niederlanden sowieso nicht mehr genehmigungsfähig. Was also macht der schlaue Unternehmer? Er geht in den Nord-Osten Deutschlands, wo das Versprechen von 40 Arbeitsplätzen noch Eurozeichen in den Augen der Leute aufblitzen lässt. Etwaige Bedenken ob der Gülle, der Haltebedingungen der Tiere, der Auswirkungen auf die Umwelt und der schlichten Frage nach dem Sinn solcher Fleischmassen werden einfach weg rationalisiert.
Was für andere gilt, gilt auch für uns
Interessanterweise schreibt sich die deutsche Entwicklungshilfe immer wieder auf die Fahnen, ökologisch und nachhaltig agieren zu wollen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklärt den Indern, wie man Energie effizienter nutzt, versucht in Brasilien die Abholzung des Urwalds einzudämmen und bemüht sich, die Chinesen von einem sinnvollen Umgang mit fossilen Energieträgern wie Kohle zu überzeugen. Doch wird hier vor Ort ein riesiges Kohlekraftwerk mitten ins „Gesundheitsland Nummer 1“ gebaut – im übrigen von einem dänischen Investor, der in seinem Heimatland solche Kraftwerke gar nicht mehr bauen darf. Es ist der pure Zynismus, sich hinzustellen und zu predigen, wie wichtig Nachhaltigkeit ist, gerade zur Bekämpfung von Armut und Hunger. Dann aber selber alle gewonnen Erkenntnisse über Bord zu werfen, sobald jemand mit Arbeitsplätzen und einer mindestens achtstelligen Investitionssumme wirbt. MV ist arm, also können wir auf die Umwelt keine Rücksicht nehmen – andere sind arm, also helfen wir ihnen, wenn sie auf die Umwelt Rücksicht nehmen?
Nicht zu vergessen ist, dass in dieser globalisierten Welt nichts, was hier passiert, ohne Auswirkungen für den Rest des Planeten bleibt. Die Millionen von Schweinen, Rindern und Geflügel, die in Deutschland „produziert“ werden, wollen ernährt werden. Seit die Verfütterung von Tiermehl im Zuge der BSE-Skandale verboten wurde, ist Soja die vermeintliche Lösung der Stunde. Diese Tonnen von Soja kommen jedoch zum Großteil nicht aus Deutschland, ja nicht mal aus der EU, sondern aus Lateinamerika. Würde man alle Tiere, die in Deutschland gehalten werden, mit hier angebautem Soja ernähren wollen, würden von den zwölf Millionen Hektar Anbaufläche allein zehn Millionen mit Soja bebaut werden. Es würde nichts anderes mehr gegessen werden als Fleisch und sonntags eine Karotte. Die Abholzung der Urwälder in Lateinamerika und die Vertreibung der Menschen, die diese Flächen seit Jahrhunderten bewirtschaften, schafft Armut, Hunger und Not. Lokal treiben derartige Großanlagen die kleineren Zuchtbetriebe in den Ruin. Es gibt weniger Arbeit und weniger Lebensqualität.
Das Warten auf den großen Ruck
Wie immer ist die Liste der Verlierer lang. Noch regt sich im Großen wie im Kleinen der Widerstand. Erst vor kurzem, als die Fleischerei „Greifenfleisch“ ihr 120-jähriges Jubiläum feierte, wurde die Fleischerstraße in Greifswald kurzerhand in Tofustraße umbenannt und Informationstafeln über Fleischkonsum und die Ferkelproduktionsanlage aufgehängt. In Neu-Plötz entsteht ein Widerstandshaus. Über 700 Einwendungen sind im Erörterungsverfahren eingebracht worden. Es geht hier um weit mehr als den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Tourismus. Es geht um die Frage, was für Konsequenzen wir für die Industrialisierung unserer Nahrungsmittelversorgung zu tragen bereit sind. Trotz aller Bemühungen ist zu befürchten, dass der Widerstand an dem scheinbar unstillbaren Verlangen nach billigem Fleisch und dem Gewinnstreben ausländischer Großunternehmer scheitern wird.
Bärbel Höhn, grüne Bundestagsabgeordnete und frühere Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, stellte bei ihrem Besuch der Anlage in Medow fest: „Die wäre bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht genehmigungsfähig“. In Mecklenburg-Vorpommern kann und will man es sich anscheinend nicht leisten, über Konsequenzen nachzudenken und verantwortungsvoll zu entscheiden. Vielleicht geht ja doch noch ein Ruck durch das Land und es wird angefangen, sich über die Auswirkungen solcher Projekte bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Ansonsten haben wird unser Land mit Gülle, Kohle und radioaktiven Müll irgendwann soweit zerstört, dass nur noch zu hoffen bleibt, dass die Entwicklungshelfer der Europäischen Union vorbeikommen und uns erklären, wie man nachhaltig wirtschaftet.
Ein Artikel von Lene Bräuner
Und welche Relevanz für den ganzen Fall hat die Nationalität oder der Hauptwohnsitz der Investor_innen? Überhaupt finde ich den Fokus auf die Person etwas unnötig: Problem sind ja nicht nach kapitalistischen Kriterien agierende Unternehmer_innen (anders geht das im Kapitalismus auch garnicht auf Dauer), sondern das es ihnen politisch möglich gemacht wird (z. B. durch Gesetze, die dieses Agieren begrenzen). Addressaten des Protestes und des Unmuts sollten daher meiner Meinung nach die politischen Instanzen sein, und nicht Einzelpersonen.