3522 Stimmen wurden bei der letzten Personenwahl zum Studierendenparlament (StuPa) abgegeben, um die nunmehr 29 Mandate zu bestimmen. Bei rund 12.000 Studierenden mit jeweils drei Stimmen ist das eine erschreckend geringe Wahlbeteiligung von letztendlich nur 12,7 Prozent. Ein Blick auf andere norddeutsche Universitäten zeigt, dass anderes möglich ist. In Hamburg sind es 22,4 Prozent, in Kiel 24,9 Prozent und in Lüneburg sogar 28,6 Prozent. Auch in den neuen Bundesländern, wie an der TU Cottbus, gehen 16 Prozent wählen. Und an diesen Unis ist vor allem eines anders: das Wahlsystem.
Kontroverse Positionen?
An unserer Universität gibt es zur StuPa-Wahl ein kleines Heft. In ihm präsentieren alle Kandiatinnen und Kandidaten ein Bild von sich, ihren Studiengang, dazu einen drei- bis vierzeiligen Lebenslauf und einige Wahlziele. Angeblich soll das dazu dienen, die Wahlentscheidung zu ermöglichen. Die Wahlziele genauer betrachtet, finden sich aber nahezu nur allgemeine Aussagen, die sich bei 90 Prozent der Kandidierenden relativ stark ähneln und teils auch offensichtlich Nonsens sind. In den übrigen Aussagen sind konkrete Anträge und umstrittene Themen kaum erkennbar. Sie wirken eher wie Allgemeinplätze, die in den anderen Beschreibungen wegen mangelndem Platz weggelassen oder vielleicht auch vergessen wurden. Denen aber von einer großen Mehrheit der Kandidierenden zugestimmt wird – kontroverse Positionen, weitestgehend Fehlanzeige.
Ohne Inhalte bleibt nur die Entscheidung nach Studiengang, einem hochschulpolitisch bekannten Namen oder gar nach dem dargebotenen Portrait. Etwa jeder neunte Studierende entscheidet sich stattdessen für die Nicht-Wahl. Und wer soll es ihnen übel nehmen, wollen doch augenscheinlich alle angehenden StudentenvertreterInnen das gleiche: alles verbessern und jeden fördern – was sie tatsächlich an Anträgen einbringen oder konkret im StuPa umsetzen werden, wird aus dieser Kandidatur jedenfalls kaum ersichtlich.
Die nächste Hürde stellt sich der oder dem Wählenden durch das Wahlverfahren selbst, denn taktisches Wählen ist unmöglich. Wer sich wünscht, dass hochschulpolitische Größen wie Thomas Schattschneider oder Frederic Beeskow weiterhin im StuPa sitzen, sollte sie nicht unbedingt wählen. Genug andere werden sie wählen, die eigene Stimme ist also verschenkt. So sucht man sich Kandidierende, deren Wahlerfolg ungewiss ist, denn da kann die eigene Stimme noch etwas bewirken. Denken nun aber alle so, wären die beispielhaft Erwähnten, Schattschneider und Beeskow, plötzlich doch nicht mehr im StuPa.
Zum einen sind es mangelnde Informationen, welche die Wahlentscheidung erschweren und somit das Entscheiden selbst unattraktiv machen, zum anderen ist es das Problem des unmöglichen taktischen Wählens: Für beides gibt es eine Lösung. Bei nahezu allen Wahlen außerhalb der Universität, die mehr als nur ein Amt wählen, und bei der Mehrheit der StuPa-Wahlen in Deutschland wendet man sie an. Auch bei der anstehenden Kommunalwahl: Die Listenwahl.
Die Liste: Eine Menükarte der Demokratie
Bei einer Listenwahl sind verschiedene Listen mit KandidatInnen auf dem Wahlzettel zu finden. Jede Liste hat ein politisches Programm, sozusagen das Menü. Und die Kandidierenden sind die zukünftigen Köche oder Köchinnen der Hochschulpolitik.
Die erste Wahlentscheidung findet zwischen den Listen statt. Die Anzahl der Stimmen, die eine Liste erhält, entscheidet hier, wie viele Kandidierende der Liste in das Parlament einziehen werden.
Bei den meisten StuPa-Wahlen gibt es sogenannte freie Listen. Die Reihenfolge der Kandidierenden steht nicht vor der Wahl fest, sondern wird durch die Wahl bestimmt.
Die Kreuze werden im zweiten Schritt bei den einzelnen Personen auf der Liste gemacht, am Ende der Wahl entscheidet die Zahl der Stimmen über die Reihenfolge auf der Liste. Die oder der Kandidierende mit den meisten Stimmen bekommt den ersten Listenplatz, die oder der am zweithäufigsten Gewählte den zweiten Platz, usw. So wird verhindert, dass einige wenige durch die Entscheidung über die Listenreihenfolge kontrollieren, wer in das StuPa einziehen soll. Die Wählenden bestimmen weiterhin direkt, wer Chef oder Chefin und wer Commis in der Hochschulpolitik sein soll.
Die Stimmen, die alle Kandidierenden auf der Liste zusammen bekommen haben, bestimmen letztlich, wie viele von ihnen ins Parlament einziehen und mit wie vielen Sitzen das Programm im nächsten Jahr vertreten wird.
Zahlreiche Gründe sprechen für die Listen- und gegen die Personenwahl. Für die Wählenden ist sie eine Entscheidungserleichterung. Wer eine bestimmte Kandidatin oder einen bestimmten Kandidaten ins StuPa wählen will, kann dies dank freier Listen immer noch tun. Wer aber die Kandidierenden nicht persönlich kennt – und so geht es der Mehrheit der Studierenden – kann dank der Liste und ihrer gemeinsamen Vorstellungen und Vorhaben entscheiden, welche Ziele sie oder er im StuPa umgesetzt sehen will.
Nicht zufällig bekamen die Kandidierenden der Grünen Hochschulgruppe bei der letzten StuPa-Wahl so viele Stimmen. Mit dem Label „grün“ schwingen mehr konkrete Ziele mit, als es bei den anderen Hochschulgruppen der Fall ist. Eine gemeinsame Präsentation der Listenmitglieder in der Wahlvorstellung räumt den gemeinsamen Zielen mehr Platz ein und erlaubt zu einem Ziel einige Argumente statt nur ein Schlagwort.
Da im Wahlkampf klare, konkrete Aussagen im Wahlprogramm der Liste stehen, könnten die Beschlüsse der StuPistinnen und StuPisten leichter daran gemessen werden. Ein sichtbarer Unterschied zwischen Wahllügen und konsequentem Vertreten der angekündigten Ziele würde eine Basis zukünftiger Wahlentscheidungen werden können.
Auch für die angehenden Vertreterinnen und Vertreter der Studenten ergäben sich Vorteile. An Hochschulen mit Listenwahl müssen sich die Kandidierenden vor der Wahl zusammensetzen und die Ziele und Absichten ihrer Liste formulieren. Das gibt ihnen zwangsläufig die Chance, sich vor ihrer Legislatur mit den politischen Möglichkeiten des studentischen Parlaments und ihren eigenen Vorstellungen auseinanderzusetzen. Sie wären so besser auf die politische Arbeit vorbereitet und würden von den Anträgen anderer seltener überrascht. Die inhaltliche Arbeit des Parlaments könnte sofort beginnen.
Quo vadis, Wählerwille?
Das StuPa würde massiv profitieren. Wahlziele müssen vorher abgesprochen werden. Aus diesem Diskurs heraus würden sich Argumente für und gegen die Ziele bilden, so dass die Debatten in den einzelnen Gruppen schon vorbereitet wären. Anstatt wie bisher sogar innerhalb der Gruppen erst während Parlamentssitzungen aufzutreten.
Themengebiete könnten innerhalb einer Fraktion aufgeteilt werden, was ein höheres Maß an Einarbeitung und Kompetenz ermöglicht. Da die Fraktionen bei den meisten Themen dank der Vorabsprache gemeinsame Positionen hätten, wäre schneller klar, ob ein Antrag eine Mehrheit findet. Die politische Arbeit gewinnt an Geschwindigkeit und Professionalität. Kurzum, das StuPa wäre effizienter.
Paradox: Bei der letzten StuPa-Wahl bekamen die „Grünen“ die meisten Stimmen, vier Prozent mehr als die Juso HG. Im StuPa sitzen aber nur fünf Grüne, während acht Jusos einen Sitz im Plenum haben. Die Folge: sechzig Prozent mehr Sitze für die Juso HG trotz vier Prozent weniger Stimmen. Dominique Schacht, die mit 69 Stimmen als letzte ins Plenum einrückte, kann dort genauso viel entscheiden wie die Wahlsiegerin Anne Klatt mit 280 Stimmen oder hochschulpolitische Veteranen mit der dreifachen Stimmenzahl.
Ein deutliches Missverhältnis angesichts des ausgedrückten Wählerwillens. Und die zwangsläufige Konsequenz einer Personenwahl. Dabei könnten in einer Listenwahl Stimmen viel gleichmäßiger in Sitze umgewandelt werden.
Neue Horizonte im Uni-versum
Nicht nur Listen parteipolitischer Prägung sind möglich. Im Gegenteil, denn die Liste kann für vieles stehen. Geht von der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (MNF) künftig nur jeder fünfte Student zur Wahl, könnte die Liste ‚MNF’ auf einen Schlag das halbe Parlament besetzen. Finanzanträge zur Gestaltung von Exkursionen, Fachschaftsprojekten und zur Unterstützung von Geo-Kellern würden so fachkundiger beurteilt werden, als es dem bisher stark von angehenden Geisteswissenschaftlern dominierten StuPa möglich ist.
Wer mit seinem Studierendenschaftsbeitrag aufgrund persönlicher Vorlieben vor allem Kultur und sozialere Sportangebote fördern will, wählt die Liste „KusS für mich“. Wenn 350 Studenten für die Liste stimmen, könnten sogar bei der derzeitigen Wahlbeteiligung zehn StuPa-Sitze und drei AStA-Referate sicher sein. Und die Liste ‚Arndt, Adios! Freundschaft weltweit!’ könnte mit entsprechend zahlreicher Stimmabgabe dieses Thema um einen entscheidenden Schritt vorwärts bringen und Integrationsprojekte nachhaltig fördern.
Einziges Gegenargument: Veränderung
Kritik erhält die Listenwahl, weil sie vermeintlich Einzelkandidatinnen oder Einzelkandidaten schwächt. Bei dem derzeitigen Wahlverhalten scheint das kaum wahrscheinlich. Thomas Schattschneider erhielt 226 Stimmen, während die vier Kandidierenden der Linke.SDS zusammen 253 Stimmen erhielten – die Aussage, dass bei einer Listenwahl einzelne Kandidierende auf einer möglichen Ein-Personen-Liste keine Chance hätten, ist also kaum nachvollziehbar. Auch die Erklärung, dass man in der Personenwahl Einzelpersonen sein Vertrauen schenkt, ist dank offener Listen kein schlüssiges Gegenargument.
Die Sorge, dass parteifinanzierte Gruppen den Wahlkampf dominieren würden, ist unbegründet. Schon bisher zeigte sich, dass Wahlkampfmaterial nicht ausschlaggebend ist. Studierende können durchaus zwischen einem guten Argument, solider Arbeit und einem Hochglanz-Flyer unterscheiden. Dank der Berichterstattung der Studentischen Medien, der „Vorstellung der Kandidaten und Kandidatinnen“ und vor allem den Möglichkeiten des Internets sind klassische Formen des Wahlmaterials wenig bedeutend – sie spielten auch bei der diesjährigen StuPa-Wahl keine große Rolle.
Wie gezeigt, spricht vieles für eine Listenwahl: Vor allem aber würde sie die Wahlentscheidung erleichtern und den Einfluss der Wählenden auf StuPa-Beschlüsse stärken. Die Listenwahl beschleunigt parlamentarische Entscheidungsfindungen und erhöht die Professionalität der politischen Arbeit. Ein effizienter arbeitendes StuPa könnte allen Studierenden durch seine Beschlüsse schneller nutzen. Und nicht zuletzt auch den Nimbus der Unübersichtlichkeit der hochschulpolitischen Landschaft brechen. Ein besserer Bezug zur Hochschulpolitik wird möglich – der sich wahrscheinlich ebenso positiv auf die neuerliche Wahlbeteiligung auswirkt.
Autoren: Peter Schulz, Arik Platzek
Abbildungen: Daniel Focke