Ein Kommentar von Carsten Schönebeck

Ein wahres Aufatmen ging durch den letzten Rest der kommunalpolitischen Gesellschaft im beschaulichen Greifswald – die rechtsextreme NPD kandidiert nicht für die Bürgerschaft. Der Wahlleiter und Bürgermeister Dr. König sprach von „Erleichterung“. Dem präsidial-gemütlich bis naiv wirkenden Stadtoberhaupt mag dies aus tiefster Seele sprechen, auch wenn böse Zungen behaupten, „Erleichterung“ könnte der CDU-Mann möglicherweise auch über ein Nichtantreten aller anderen Parteien empfinden.

Auch zur Europawahl will die NPD in Vorpommern nicht antreten und dennoch organisierte sie den ersten Partei-Infostand seit einigen Wochen auf dem Fischmarkt. Klar, dass dies nicht ohne einen ordentlichen Gegenprotest geschah, was erst einmal ein gesundes Zeichen für das Demokratiebewusstsein der Greifswalder ist. Doch wie weit darf man sich beim Kampf gegen die Systemgegner von den eigenen Idealen wegbewegen?

Grenzverschiebung

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Schilderwald in der Fußgängerzone - Foto: Carsten Schönebeck

Viele der Demonstranten versuchten simpel aber effektiv mit Musik und guter Laune einen deutlichen Gegensatz zur Propaganda der Rechtsextremen aufzuzeigen. Auch die Extra-Mülltonne, in der die Passanten NPD-Flyer umgehend entsorgen konnten, zählt sicher zu den gelungenen Protest-Ideen. Ganz im Gegensatz zu den „NAZI“-Hinweisschildern, die den Infoständlern hinterhergetragen wurden und die sie gegenüber dem normalen Fußgänger „enttarnen“ sollten. (Auch wenn die Parteisymbole auf der Kleidung diese Aufgabe schon teilweise übernahmen.)

Hier ging der Protest gegen eine Partei und ihr krudes Gedankengut über zu einer Stigmatisierung der Menschen dahinter. Damit aber schießt sich jeder, der für Freiheit und Toleranz eintritt ein buchstäbliches Eigentor; vor allem dann, wenn er versucht, genau das Fehlen dieser Attribute beim Gegner zu kritisieren. Zahlreiche Vergleiche zur Zwangskennzeichnung und Boykottierung von Bevölkerungsgruppen bieten sich an, sollen aber hier nicht weiter ausgeführt werden.

Greifswald war da nicht der erste und sicher ein eher unbedeutender Fall. Auch als vor einem Jahr der Anti-Islamisierungskongress in Köln erfolgreich verhindert wurde, musste man sich fragen, ob das nicht mit Methoden erreicht wurde, die in diesem Land bereits den „Widerstand gegen das System“ in den dreißiger Jahren zunichte machten: Terror und Chaos gedeckt und gefördert von staatlichen Institutionen.

Mensch und Menschlichkeit

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NPD-Werbefachmann mit mobiler Flyer-Entsorgungseinheit - Foto: Luisa Wetzel

Sechzig Jahre Grundgesetz wollen wir im Mai feiern und das in einem Land, das nach unsäglichen Verbrechen an Mensch und Menschlichkeit zu einer der stärksten Demokratien in der Welt geworden ist. Von nachvollziehbarerer Wut auf all jene, die es immer noch nicht begriffen haben und die Uhren krampfhaft zurück drehen wollen, dürfen wir uns unsere eigenen Werte und Ideale nicht kaputt machen lassen. Der Zorn, den man verspürt, wenn man mit ansehen muss, wie menschenverachtende Ideologien institutionell kaschiert und dennoch auf der Straße propagiert werden, muss uns Ansporn sein, etwas dagegen zu unternehmen. Mit der Arroganz der moralischen Überlegenheit aber müssen wir unsern falschen Stolz herunterschlucken und im Rahmen unserer eigenen Ansprüche handeln.

Vielleicht ist den politischen Brandstiftern und gewalttätigen Pöblern von NPD und Co die Menschlichkeit abhanden gekommen, das Menschsein aber kann ihnen niemand absprechen.

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Bilder:

Titelbild „Nazis machen keinen Spasz“ – Luisa Wetzel;Titelbild Mülltonne – Carsten Schönebeck