Mit der Realität in Richtung Verzweiflung
Eine Hochzeit, dazu viele erfreute Gäste, ein anscheinend glückliches Brautpaar. Kurz danach der Suizid des Ehemannes durch einen Kopfschuss. Zunehmend breitet sich Erschrockenheit über den ungewöhnlichen und zugleich dramatischen Vorfall aus. Für die Ehefrau und Protagonistin Blanche DuBois (Barbara Buck) beginnt ein Marathon der Zerrissenheit und katastrophalen Suche nach Liebe. Frei nach dem Drama „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams inszenierte Ballettdirektor Ralf Dörnen ein Ballett, welches mit mindestens genauso viel erschreckender Widersprüchlichkeit überzeugt.
Blanche DuBois führt ein vornehmes Leben voller Wohlstand und zugleich veralteten Vorstellungen über das gesellschaftliche Leben in den Südstaaten der USA. Bis zum Tag, an dem sie entdeckt, dass ihr Ehemann ein Verhältnis mit einem Mann unterhält und sich mit einem Kopfschuss umbringt. Zudem muss sie miterleben, wie das gesamte Hab und Gut ihrer Familie verkauft werden muss, um hohe Schulden abzuzahlen. Blanche erklärt sich nicht nur am Untergang des Familienbesitzes für schuldig, sondern vorrangig auch an dem Selbstmord ihres Mannes. Sehnsüchtig begibt sie sich auf die Suche nach Zuneigung und erfordert mit sexueller Hingabe die Aufmerksamkeit von insbesondere jüngeren Männern, um sich von ihnen Bestätigung zu sichern.
Sie gibt sich immer mehr Illusionen hin, um den Suizid ihres Ehemannes zu vergessen, der aber trotz allem in jeder Situation der Leidenschaft immer wieder in die Gegenwart rückt und von Neuem für Erschütterung sorgt. Verzweiflungsvoll begibt sich Blanche zu ihrer Schwester Stella, die sich zusammen mit ihrem Mann Stanley ein neues modernes Leben in New Orleans aufgebaut hat – weit weg von altmodischen Gesellschaften und dem Untergang der Familie DuBois. Die zunehmende Spannung zwischen ihrem Ehemann Stanley und ihrer Schwester sorgt jedoch für Streitigkeiten, die zu katastrophalen Zuständen führen.
Überraschenderweise ist das Bühnenbild sehr einfach gebaut. Die Raumtrennungen mithilfe von transparenten Vorhängen fallen kaum auf, was zeitweise bei schwieriger Thematik im Stück sehr auflockernd wirkt. Auch verbergen sich hinter den Vorhängen Spiegel, die die Erinnerungen der Protagonistin immer wieder in ihre Gegenwart rücken lassen und sie dadurch in ihre Illusionen treiben. Fast das gesamte Stück hindurch wird das Licht hell und steril gehalten, wodurch die Konflikte von Blanche und ihrer Gemütsverfassung stets im Vordergrund stehen. Dies liegt auch daran, dass sie im gesamten Stück nicht einmal die Bühne verlässt.
Der Tanz ist meistens sehr aufbrausend, dominierend auch durch Stanley, der oft rabiat sowohl mit seiner Schwägerin als auch mit Stella umgeht. Bei der Hauptdarstellerin ist die Choreografie ein Wechsel aus schwebendem Dasein mit oft kreisenden und tänzelnden Bewegungen bis hin zu erdrückendem Beugen und verzerrtem Aufstehen, um sich nicht ganz der Realität hinzugeben und die Illusionen zu behalten. Des Weiteren wird das Stück vom Philharmonischen Orchester Vorpommern begleitet, was die Dramatik um einen erheblichen Teil steigert und die Gefühle sowie Impressionen live vertont, wodurch diese nahezu spürbar werden.
Ein Ballett, das schlussendlich zu einem chaotischen Ende führt und Fragen aufwirft, über die nachgedacht werden sollte. So rückt eine Hinterfragung von Utopien in den Vordergrund, da Illusionen in der heutigen Zeit im alltäglichen Leben und in allen Gesellschaften vorkommen und wahrscheinlich zur Normalität gehören.
Autor: Luisa Pischtschan Fotos: Vincent Leiffer