Der Literaturwissenschaftler und Autor Hans-Ulrich Treichel wurde 1952 in Versmold (Westfalen) geboren. Er studierte an der Freien Universität in Berlin Germanistik und promovierte über Wolfgang Koeppen. Hans-Ulrich Treichel veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und Romane und erhielt für seine literarischen Arbeiten unter anderem den Leonce- und Lena-Preis und den Eichendorff-Literaturpreis. Heute lehrt er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL).
Am 4. Februar 2009 kommt Hans-Ulrich Treichel nach Greifswald und präsentiert zusammen mit Walter Erhart und Anja Ebner die neuesten Bände der kommentierten Werkausgabe Wolfgang Koeppens. Die Veranstaltung zum Thema „Reiseliteratur“ findet im Rahmen des NDR-Literaturcafés statt und beginnt um 20 Uhr im Koeppenhaus. moritz stellte Hans-Ulrich Treichel vorab ein paar Fragen.
moritz Sie haben über Wolfgang Koeppen promoviert und sind Herausgeber der neuen Gesamtausgabe. Wie sind Sie auf Wolfgang Koeppen gekommen? Was hat Sie fasziniert, was finden Sie besonders interessant an ihm?
Hans-Ulrich Treichel Wolfgang Koeppens Romane habe ich während des Studiums in den siebziger Jahren kennengelernt und war sofort fasziniert von dem Autor: sein besonderer Erzählton, der Rhythmus, die Musikalität, das Tempo seiner Erzählsprache, das Assoziative, die satirische Schärfe gepaart mit Melancholie – und zum anderen der skeptische, zeitkritische Blick auf die fünfziger Jahre und die sogenannte Adenauerzeit, in der ich selbst ja geboren wurde.
moritz Welche Parallelen sehen Sie zwischen der Biographie Wolfgang Koeppens und Ihrer eigenen?
Treichel Ich würde mir nicht anmaßen, irgendwelche Parallelen zu sehen. Ich sehe aber, daß Koeppens schriftstellerische Praxis und die damit verbundene innere Poetik mir gelegentlich nahe ist: das Schreiben als Wiederfinden und Wiedererfinden der eigenen Biographie.
moritz Es gibt bereits eine sechsbändige Koeppenausgabe. Mit welchen Intentionen und Erwartungen haben Sie sich entschieden eine so aufwändige neue Ausgabe herauszugeben?
Treichel Die sechsbändige Werkausgabe war eine reine, nur äußerst knapp kommentierte Leseausgabe, die meines Erachtens gleichwohl durchaus nützlich und wertvoll war. Die Ausgabe war zu Lebzeiten des Autors erschienen und enthielt nur bereits gedruckte und in Buchform veröffentlichte Texte. Inzwischen ist Koeppens Nachlaß gesichtet worden, der für die Ausgabe herangezogen wird und unter anderem 4500 Seiten unpublizierte Manu- und Typoskripte aufbewahrt. Zudem wissen wir jetzt auch mehr über Koeppens Biographie und die Entstehungsgeschichte vieler Texte, sodass sich der Blick auf den ganzen Koeppen beträchtlich erweitert hat. Dem soll die neue Werkausgabe Rechnung tragen, die zum ersten Mal sämtliche literarische Arbeiten des Autors präsentiert. Im Unterschied zur sechsbändigen Ausgabe druckt die Werkausgabe Koeppens Texte nach dem Erstdruck ab, oder aber, falls es sich um ungedruckte Texte handelt, nach dem Manuskript. Darüber hinaus enthalten die einzelnen Bände jeweils einen Kommentar zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, zur Überlieferung, zur Textgestalt usw.
moritz Wie wird die neue Ausgabe finanziert?
Treichel Die Werkausgabe wird vom Suhrkamp Verlag finanziert, der damit einmal mehr sein von Anfang an großes Engagement für den Autor und das Werk Koeppens fortsetzt und in gewisser Weise auch krönt.
moritz Wie wird das Publikationsprojekt angenommen? Sind die Bände nicht nur für Liebhaber bezahlbar?
Treichel Eine Gesamtausgabe ist nicht für den schnellen Verbrauch bestimmt. So wie ja auch der Autor Koeppen nicht immer leicht zu lesen ist – was für viele bedeutende Autoren gilt. Natürlich möchte und muß der Verlag auch Geld mit seinen Büchern verdienen. Doch eine weitere Funktion solch einer Gesamtausgabe ist durchaus eine kulturelle. Die Ausgabe sichert das Werk eines der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur und macht es dem Leser und auch der literaturwissenschaftlichen Forschung für die Zukunft verfügbar. Wobei die Preise der bisher erschienenen Bände für einen wirklich interessierten Leser durchaus noch erschwinglich sein dürften.
Das Interview führte Alina Herbing, das Foto wurde uns vom Suhrkamp Verlag zur Verfügung gestellt.