Studenten der TU Ilmenau finden produktive Alternative zum drögen Uni-Alltag: Zocken
Während man sich als angehender Naturwissenschaftler durch Monate währende Laborreihen kämpft und als Geisterwissenschafter Berge durchforsteter Bücher hinter sich zurücklässt, bieten anderen Hochschule spannendere Möglichkeiten, um dem erträumten Studienabschluss näher zu kommen. „Spannend“ ist hier ein durchaus streibarer Begriff, denn nicht jeder liebt Computerspiele.
Aber ob auf auf Wii, Playstation 3, XBox 360 oder dem normalen PC – in den vergangenen Jahren ist für einen stetig wachsenden Teil der Bevölkerung der Zeitvertreib an der Spielkonsole zur ernsthaften Freizeitbeschäftigung geworden.
Sechs Studenten des Studienganges „Angewandte Medienwissenschaften“ an der Technischen Universität Ilmenau haben nun eine Möglichkeit gefunden, ihr Hobby schon vor dem Berufseinstieg zu mehr als einer zeitraubenden Freizeitbeschäftigung zu machen: Sie zocken die neuesten Games und produzieren dabei Spiele-Reviews, die sie dann als Videopodcasts veröffentlichen.
Das Ganze wird als Anwendung medientheoretischen Wissens als Prüfungsleistung anerkannt. Während man sich beim moritz monatelange Leistungen gerade mal als Praktikum anerkennen lassen kann, machen die sechs Ilmenauer Studenten mit computerspielen einen Schritt zum Studienabschluss. moritz hat bei Tino Gerdesius, 7. Semester im Studiengang Angewandte Medienwissenschaft (AMW), mal genauer nachgefragt.
moritz Was macht ihr da eigentlich?
Tino Gerdesius Im Rahmen unseres Studiums der AMW haben wir ein Medienprojekt zu absolvieren. Hierbei geht es um die Anwendung von medientheoretischem Wissen in einem praktischen Umfeld.
Dafür haben wir uns, sechs AMW-Studenten, zusammengefunden und haben entschieden, einen Videopodcast zu veröffentlichen. Wir vereinen in dem Projekt Redaktionsarbeit, Videoproduktion, Postproduktion und Distributionsarbeiten.
moritz Was bedeutet das konkret?
Tino Inhaltlich befassen wir uns ausschließlich mit dem Thema Videogames. Wir produzieren jede Woche eine etwa zehnminütige Folge, die in der darauffolgenden Woche veröffentlicht wird. Im Vorfeld der Sendung wählen wir jeweils ein neu erscheinendes Spiel aus, welches uns in der Gruppe persönlich anspricht und ebenso Aussicht auf Erfolg besitzt. Dann kaufen wir das Spiel und spielen es zwischen Release und Dreh so intensiv wie möglich.
moritz Welche Relevanz besitzt dieses Projekt für euer Studium?
Tino Das Medienprojekt ist eine „prüfungsrelevante Studienleistung“, es wird also benotet und ist mit einer festen Stundenzahl, 300 Stunden, angesetzt. Es geht darum, in begrenztem zeitlichen Rahmen und mit begrenzten Ressourcen die im Studium erworbenen Kompetenzen praktisch und bezogen auf den Medienbereich interdisziplinär umzusetzen. Es soll also ein Projekt im klassischen Sinne durchgeführt werden, das ganz ganz viel mit Medien zu tun hat.
moritz Und wie läuft das genau ab?
Tino Die Sendung gestaltet sich wie folgt: Wir haben das Studio ein bisschen dekoriert, eine Couch, ein paar Konsolen und einen HD-Fernseher reingestellt. Drei bis vier Leute agieren in jeder Folge vor der Kamera und besprechen das Spiel, welches Thema der Sendung ist. Dabei wollen wir uns von klassischen Reviews abgrenzen, indem wir eben nicht ein standardisiertes Schema wie Grafik, Gameplay, Steuerung usw. abarbeiten. Vielmehr streben wir an, in einer lockeren Runde, unter Freunden, unsere Eindrücke der Spiele zu vermitteln und wenn Bedarf besteht, zu diskutieren. Dabei geben wir natürlich höchst subjektive Statements ab. Die Drehs sind daher vergleichsweise chaotisch und es hängt viel an der Postproduktion ab, aus einem scheinbar verwirrenden Wust aus Meinungen und Aussagen eine sinnvolle und dramaturgisch anspruchsvolle Sendung zu schustern.
moritz Nicht gerade billig, woher nehmt ihr die Technik?
Tino Wir greifen auf die Technik unseres Instituts zurück, drehen und schneiden die Folgen in HD und verbreiten Sie auch in dem Format, wo möglich.
moritz Was macht euch daran besonders Spaß?
Tino Der subjektive Faktor ist wichtig. Wir machen und reden einfach, wonach uns der Sinn steht, da wir nicht im Auftrag eines Unternehmens tätig werden, keinen Markterfordernissen gerecht werden müssen, keine geschäftlichen Beziehungen zu Publishern oder Produzenten pflegen, oder sonstiges was uns beeinträchtigt. Mal abgesehen von der Grenze zur Schmähkritik, die wir meiden, um nicht Post von einem Publisher-Anwalt zu bekommen. (lacht)
moritz Welche wissenschaftlichen Aspekte hat das Projekt?
Tino Es tangiert mehrere Bereiche der Medienwissenschaft, im weiteren Sinne. Marketingfragen: Marktanalyse, Konkurrentenanalyse, Marktnische, Distributionsmodelle. Außerdem Kommunikationstheorien aller Art. Wem sagen wir was, wann, wie in welcher Form und so weiter. Das hat mit Kognition, Psychologie und anderem zu tun. In der Medienproduktion sind es die Phasen der Produktion, die Klassifikation von Medienprodukten und die Charakteristika von Onlinemedien.
moritz Wo kann man euch hören und sehen?
Tino Wir nutzen Produkte wie Youtube, Vimeo, iTunes und veröffentlichen natürlich auch auf unserer Homepage. Im Moment kooperieren wir hier an der TU mit dem Hochschulfilmclub, was der Studentenfunk bei uns ist. Bei denen haben wir eine schöne Talksendung mit Gesprächen über vodzup gefüllt. Daneben ist noch unser Hochschulkino – bei dem ich im Vorstand sitze. Für den Hochschulfimclub habe ich Werbetrailer gebaut, die ab und an vor den Filmen laufen.
Das Interview führte Arik Platzek
Die Reviews findet ihr im Internet unter www.vodzup.de, www.vimeo.com/vodzup, www.youtube.de/vodzup