Mittwoch Nacht kam es in Mumbai zu mehreren schweren Terroranschlägen. Der Greifswalder Politikstudent und Ex-AStA-Referent für politische Bildung Alexander Köcher macht in der 14 Millionen Einwohner-Stadt gerade ein Praktikum. Er untersucht u.a. Spannungen in den Slums und berichtet für den webMoritz aus dieser besonderen Stadt…

Ein aktuelles Interview des webMoritz mit Alexander zum Terroranschlag von gestern findet ihr hier.

Greifswalder Politikstudent Alexander Köcher (links) berichtet aus Indien

„You like India, Sir?“ So lautet eine der Standardfragen, die ich als weißer Europäer in Indien fast überall wo ich hinkomme beantworten muss. „Yes, I like India“, antworte ich dem stolz grinsenden Mann, der diese Frage an mich richtet, als ich gerade an einer Bushaltestelle stehe. Ich warte darauf, dass der einem Malstrom gleichende Verkehr meinen Bus vorbeischwemmt.

„Everything neat and clean!“, sagt der grinsende Mann – vom Inhalt seiner Aussage schwer überzeugt, wie mir scheint. Oder ist es eine Ironie, die ich nicht verstehe? Sauber ist es nämlich ausgerechnet hier in Bombay, das heute Mumbai heißt, fast nirgendwo. Und das obwohl unentwegt irgendjemand damit beschäftigt ist die Straße zu kehren, Staub von Tischen zu wischen oder Scheiben zu putzen.

Selbstgebaute Häuser im Slum

Vielleicht liegt es daran, dass die Stadt aus allen Nähten platzt. Wie viele Menschen hier wirklich leben, weiß man nicht mit Gewissheit. Irgendwo zwischen 14 und 18 Millionen wird die Einwohnerzahl vermutet, ein Merkmal, das Mumbai zu einer Megacity macht.

Auch das was rekordträchtig als Asiens größter Slum bezeichnet wird, liegt hier: Die Rede ist von Dharavi, einem Gebiet, wo schätzungsweise zwischen 800.000 und eine Million Menschen leben. Und ausgerechnet da hat es mich, der aus dem 55.000-Seelen-Städtchen Greifswald kommt, hin verschlagen.

Armut und Reichtum – hier sind sie Nachbarn

Doch von vorn. Als Student der Politikwissenschaft, Geschichte und Kommunikationswissenschaft interessiere ich mich, seit ich 2004 das erste Mal dort war, für die Kultur, Geschichte und Politik Indiens. Damals bereits hat mich der Moloch Mumbai in seinen Bann gezogen. Es gibt keinen anderen Ort den ich kenne, an dem so viele Gegensätze aufeinanderprallen.


Alexander Köcher und Indien kann man auch hören. Er nimmt einen sehr schönen Podcast auf. Hier eine Beispielfolge, die wir Euch ans Herz legen möchten:


Nur ein Beispiel: Mumbai ist die Finanzhauptstadt Indiens. Alle bedeutenden Unternehmen, nationale und multinationale, haben hier ihre Filialen. Aufgrund seiner Lage als Halbinsel im arabischen Ozean ist der Siedlungsraum jedoch sehr beschränkt. Diese beiden Faktoren machen Mumbai zum drittteuersten Immobilienmarkt der Welt – teurer sogar als Manhattan.

Und nun der Gegensatz: Die Slums in Mumbai sind Asiens größter informeller Siedlungsraum, dort leben 55 Prozent der Stadtbevölkerung. 44 Prozent der Einwohner sind Arbeitsmigranten aus dem ländlichen Raum. Das Durchschnittseinkommen pro Tag liegt bei 134 Rupien, was ungefähr 2,10 Euro entspricht. Wie kann das funktionieren?

Penthäuser und Wohnbarracken direkt nebeneinander

Um das herauszufinden habe ich mich um ein Praktikum bei PUKAR beworben. Partners for Urban Knowledge, Action and Research, ist der Name der Nichtregierungsorganisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, Wissen durch die Hilfe der Bevölkerung selbst zu sammeln und in großem Maßstab wieder zu verbreiten.

Ich arbeite dabei in einem Projekt mit dem Titel „Mythologies of Mumbai“, welches durch verschiedene Herangehensweisen den sozialen, kulturellen und politischen Wandel zweier Stadtgebiete in den Fokus nimmt: Girangaon, einem alten Textilindustriegebiet und das bereits erwähnte Dharavi.

Nicht nur Slum, sondern eigene Stadt

Während die Textilfabriken und die alten Arbeitersiedlungen in Girangaon mehr und mehr Luxusapartments und Shopping Malls weichen, ist das banal als Slum bezeichnete Dharavi mit einem Entwicklungsplan konfrontiert, der vorsieht den prozentualen Anteil der Slums in Mumbai bis 2020 auf 10 Prozent zu senken. Dharavi ist aber mehr als ein Slum, es ist eine eigene Stadt. Die Menschen die hier leben arbeiten hier auch. Sie selbst sprechen von einem Industriegebiet, nicht von einem Slum.

In der Tat: Hier in Dharavi wird eine Vielfalt an Gütern produziert die Absatz auf dem lokalen und sogar auf dem internationalen Markt finden. In Dharavi finden tausende Landflüchtlinge Arbeit, obgleich die Arbeitsbedingungen mit westlichen Standards nicht zu vergleichen sind. Es gibt keine Sozial- oder Krankenversicherung. Dabei birgt die Arbeit oft hohe Risiken für die Gesundheit. Der Lohn ist ebenfalls schlecht, aber er reicht zum Überleben.

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