Psst! Für alle, die es noch nicht wissen: Die Greifswalder Post ist verzogen. Als würde das nicht reichen haben teure Strategen beschlossen alles neu und viel viel besser zu machen. Unter der neuen Anschrift soll auch ein neues Antlitz kleben. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, es ist alles noch viel viel schlimmer geworden:

Der Absender kommt mit dem Fahrrad. Das stetllt er in die zweite Reihe an andere Fahrräder, die schon an der Fassade lehnen. Fahrradständer gibt es nicht.

Dann betritt er die Post. Und siehe da: alles ist neu und viel viel besser. Kein Mief nach Bohnerwachs und Paketleim. Wenn man die vielen Automaten im ersten Raum der neuen Post passiert, riecht es nach Effizienz und genutzten Synergien.

Mit dabei ist auch wieder jener Automat, der Rückgeld nur in Form von Briefmarken gibt. Er druckt die beliebten Zwangsbriefmarken mit Beträgen zwischen 1 und 94 Cent. Es sind die Marken, die ewig in der Geldbörse vor sich hin rotten, und die, wenn man sie braucht, nicht mehr kleben oder so verblichen sind, dass niemand mehr ihren Betrag erkennen kann. Selbst die Bahn gibt Rückgeld an ihren Automaten und die Menschen bauen Raumschiffe, mit denen sie das Weltall erkunden. Warum nicht mal ein Automat mit Wechselgeldfunktion? Die übrigen Geräte sind nicht der Rede wert, denn 97 Prozent der Kunden wissen nicht, wozu sie dienen und wie sie funktionieren.

Nun erst betritt der Absender den neuen und hellen Kundenbereich. Da sind unheimlich freundliche, unheimlich verglaste Räume. Es schreit nach Transparenz und nach dem Horrorwort unserer Zeit: Beratung!

Beratung, die einen heimsucht, wenn man es eilig hatte und nur schnell ein Päckchen aufgeben wollte. Beratung, der man nicht entkommen kann, weil man auf die Frage, ob man einen Fußball geschenkt bekommen wolle, gutgläubig mit „Ja” antwortete. „Dann müssen Sie aber ein Konto eröffnen.” Verdammt!

Und während die Beratungsperson alle Register der letzten Weiterbildung zieht und offene Fragen formuliert, um das Gespräch am Laufen zu halten, hört man die innere Stimme flehen: „Hau ab, Hau doch endlich ab!”. Doch wie abhauen, ohne unhöflich zu sein? Man setzt erstmal den gequälten Blick des Aha-Ja-Aha-Zuhörers auf.

Wenige Schritte weiter erwartet den Absender die zweite postalische Horrorerscheinung. Es handelt sich um jenes widerwärtige Biest, dass aus weiteren Menschen besteht, und dass sich durch Stöhnen und Schnaufen ausweist. Jenes Tier, dessen Körper man selbst mitgestaltet und an dessen Fortleben kein einziger der Anwesenden interessiert ist. Die Schlange! Die Schlange beginnt hier im Areal der Beratung. Wer ganz am Ende steht und nach vorne sieht, der erkennt einen Durchgang, durch den sich die Schlange paketschnurartig windet. Dahinter wird der Körper der Schlange immer dicker und vereinzelt stöhnt es besonders laut aus ihr heraus „Mhppph” und „Uooach”.

Der Absender hat sich angestellt. Er durchwartet die Beratungszone, passiert Pulte auf denen Kugelschreiber stehen. 13 Minuten vergehen. Eine Postfrau kommt, begrüßt jeden und fragt, ob man vielleicht auch Bankgeschäfte tätigen wolle. Die Schlangenmenschen starren die Frau entgeistert an. Niemand hat Bankgeschäfte. Die verglasten Räume warten menschenleer.

Hinter dem Durchgang steht der Absender zwölf Minuten lang wenige Zentimeter neben einem Regal in dem Überteuertes feilgeboten wird. Voll Bitterkeit trifft sein Blick die Terminplaner – nur neun Euro. Am Schalter steht jemand, der seinen Paketschein nicht ausgefüllt hat. Die Postfrau hilft. Die Schlange stöhnt laut auf. Mitten im Weg präsentiert sich ein Stapel Kopierpapier: 500 Blatt – 5,49 Euro.

Ein Mann fragt, was denn mit den anderen beiden Schaltern wäre. In der Tat: da sind noch zwei weitere Schalter, dort wartet niemand. Die wären nur für Postbank-Kunden. Niemand ist Postbank-Kunde. Manchmal schmuggeln sich andere Absender per Express an der Schlange vorbei an die Bankschalter. Für die Expresskunden schwingen sich die Bankschalterpostfrauen dann in die Niederungen des Postgeschäftes herab und frankieren großmütig ein Päckchen.

Die Schlangenmenschen sind verwirrt. Einige nehmen an, in der falschen Schlange zu stehen. Sie gehen zum Bankschalter mit der Bitte um Frankierung. Die Bankschalterfrau sendet die Kunden zurück in die alte Schlange. Dort ist der Platz des Abweichlers schon neu besetzt worden. Man verweigert ihm die Wiedereingliederung. Tja. Pech gehabt. Hinten ist das Ende. „Arme Sau”, denkt der Absender.

Elf Minuten später ist er an der Reihe. Das Päckchen ist 24 Gramm zu schwer für ein Päckchen. „Päckchen nur bis zwei Kilo.” „Odä sie nehm das Pluspäckchen, dann müssen sie abä umpackn.” Beide Alternativen scheiden aus, der Absender hat nur fünf Euro dabei. „Kann man nix machen” Der Absender wägt ab zu meckern. Er riskiert einen Blick über die Schulter und streift die Blicke der Wartenden. Purer Hass schlägt ihm entgegen. Er senkt den Blick, packt das Päckchen, dreht um und durchschreitet Raum eins, zwei und drei, vorbei an der Schlange und endlich, endlich, endlich, endlich steht er wieder da, wo einst alles begann.

Er fühlt sich wie ein falsch adressierter Brief. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen, aber das ist nun wirklich nicht die Schuld der neuen Post.

Fotos: (Startseite) Isabel Michaelis, Maria Strache (Schild), Ede Wallis (Schlangen)