Studieren in Greifswald könnte so schön sein: den Strand vor der Tür, die ganze Stadt ein großer Campus, bezahlbares Bier in den Studentenclubs. Keine Studiengebühren und moderatere Zulassungsbedingungen für viele Studiengänge als an anderen deutschen Unis. Die große Ernüchterung kommt spätestens, wenn es nicht mal mehr in der Platte, in die man ja eigentlich sowieso nie ziehen wollte, eine freie Wohnung gibt. Denn die Zahl der Studenten mag wachsen – die Stadt tut es kaum. Im Ostseeviertel und in Schönwalde werden im Rahmen des „Stadtumbau Ost” sogar ganze Etagen und Blöcke zurückgebaut.

Wohnraum in Greifswald ist knapp. Die Studierendenzahl wächst mit jedem Semester, nur noch ein knappes Drittel der Erstsemester kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Jeder vierte Student zieht sogar aus den alten Bundesländern an die Ostsee. Die Wohnungsbau-Genossenschaft Greifswald (WGG), deren Mieter zu zwanzig Prozent Studenten sind, freut sich über fünf Bewerber auf jede freie Wohnung und einen Leerstand von unter ein Prozent. Von solchen Zahlen können Genossenschaften in Berlin nur träumen, drei Prozent ist dort ein guter Wert. Früh muss sich kümmern, wer ein bezahlbares Zimmer finden will. Zehn mal mehr Anfragen als Betten hatte das private Wohnheim der ILG, Anfang September war es voll. Auch das Studentenwerk vergibt die Zimmer in diesem Zeitraum und nur bei persönlichem Erscheinen. Wer von weiter weg kommt und es sich nicht leisten kann, für diesen einen Termin anzureisen, hat Pech gehabt. Mal abgesehen von all jenen Erstsemestern, die erst Mitte September überhaupt eine Zulassung von der Uni erhalten haben. Eine Alternative sind Jugendherbergen für den Anfang oder das Gästehaus in Schönwalde, in dem man für 240 Euro im Monat ein möbliertes Zimmer mieten kann – Küche und Bad werden geputzt. Manch einer verbringt gleich sein ganzes Studium dort. Wer es sich leisten kann, dem bleibt ein Zimmer in der Hunnenstraße oder im ehemaligen „Preußischen Hof” in der Baderstraße bei der DF Objektverwaltungsgesellschaft mbH (DFO) zu mieten. Sagenhafte 380 Euro kostet ein 15 qm großes Zimmer in einer Vierer-WG. Ohne Putzdienst. Und für mindestens ein Jahr, denn mit Unterschreiben des Mietvertrags verzichtet der verzweifelte Student für drei Jahre auf sein gesetzliches Kündigungsrecht und kann nur noch einmal im Jahr zum Beginn des Wintersemesters ausziehen. Die DFO hat erkannt, dass die meisten Wohnungssuchenden angesichts des kalten Oktobers bereit sind, für ein Zimmer in der Greifswalder Innenstadt soviel zu bezahlen, wie andernorts eine Dreiraumwohnung kostet. Erstsemester Sven Finke meint: „Sobald ich kann, werde ich hier wieder ausziehen. Als ich kam, gab es aber nichts anderes mehr. Die Miete ist wirklich sehr hoch, einigen Fragen bezüglich der Nebenkosten sind immer noch unbeantwortet. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitbewohner, die schon länger hier wohnen.”

Auch andere Investoren haben den Markt für sich entdeckt, so sind aus den ehemals Fünf- bis Sechszimmerwohnungen im „Alten Generalpostamt” Dreiraumwohnungen entstanden, die Miete pro Kopf ist entsprechend gestiegen. Auch Dirk Barfknecht, Geschäftsführer des Mietervereins Vorpommern-Greifswald e.V. beobachtet, dass „der Markt enger wird und damit die Wohnungen teurer werden. Die Preise steigen unverkennbar und seien es nur die Betriebskosten.” Er kritisiert auch die Erhöhung der Müll- und Straßenreinigungsgebühren vor zwei Jahren. Für diese ist zwar die Stadt verantwortlich, sie spitzte die Situation aber weiter zu. Das Problem der überteuerten Zimmer der DFO ist dem Mieterverein nicht unbekannt, vor allem die Betriebskosten seien enorm hoch, so Barfknecht. Der Greifswalder Mietspiegel liegt zwar im Rahmen anderer Städte wie Berlin und Rostock, jedoch werden Wohnungen wie sie die DFO anbietet, gar nicht erfasst, da zumindest die Gemeinschaftsräume möbliert sind. Laut der 18. Sozialerhebung bezahlt ein Greifswalder Student durchschnittlich 226 Euro Miete im Monat. Im Bundesdeutschen Durchschnitt ist Greifswald damit relativ günstig, in Ostdeutschland jedoch bezahlen nur Studenten in Berlin und Potsdam noch mehr. Vielleicht wird studieren in Greifswald also langfristig doch eine Frage des Geldes?

Der AStA kennt dieses Problem seit einigen Jahren und ist vorbereitet auf den Ansturm der vielen Wohnungssuchenden. Er bietet unter anderem eine Wohnraumbörse auf der AStA-Website und veranstaltete am Semesterbeginn ein WG-Speed-Finding. „Erstaunlicherweise”, so Scarlett Faisst, bis vor kurzem noch AStA-Referentin für Soziales und Wohnen, „hörten die Anfragen mit Vorlesungsbeginn auf.” Eine Erklärung dafür habe sie nicht. Für Studenten, die partout keine Wohnung fanden, bot der AStA auch das so genannte „Couchsurfen” an. Das Projekt sei in diesem Jahr etwas schleppend angelaufen, zu wenig Erstsemester hätten davon gewusst, so Faisst. „Vielleicht hätte ein wenig Werbung, beispielsweise auf der Seite der Wohnraumbörse, nicht geschadet.”

Die Frage des moritz, ob man Informationen wie einen Couchsurfing-Flyer, eine Broschüre des AStA zur Wohnungssuche und einen Stadtplan nicht gemeinsam mit der Zulassungsbescheinigung an die Erstsemester schicken könnte, lehnte Bernd Ebert vom Studierendensekretariat mit einem Verweis auf studentische Selbstinitiative ab. Der Rektor unserer Universität, Rainer Westermann, erklärt: „Wir können uns nur alle beständig bemühen, die Lage zu verbessern.”

Weder Uni, Stadt noch Studierendenvertretung möchten sich klar zu ihrer Verantwortung bekennen. Helfen soll eine Podiumsdiskussion zwischen Vertretern aller Akteure, welche Scarlett Faisst noch vor Weihnachten organisieren will. Bereits vor einigen Jahren wurde auch diskutiert, sich ein Beispiel an der Uni Paderborn zu nehmen. Dort dürfen Studenten nicht länger als zwei Jahre ein Zimmer im Studentenwohnheim mieten, um so regelmäßig neuen Studenten die Chance auf einen Wohnheimsplatz zu ermöglichen. Damit wäre die Fluktuation im Studentenheim ähnlich wie sie auch WGG und ILG erleben, durchschnittlich zwei bis zwei eineinhalb Jahre. Das Projekt ist in Greifswald laut Stephan Vogelsang, Leiter der Abteilung Studentisches Wohnung im Studentenwerk, damals vor allem am Widerstand der Fachschaften gescheitert. Die Tatsache, dass dringender Bedarf an Wohnungen besteht, haben verschiedene Investoren wahrgenommen und planen nun an mehreren Standorten neue Studentenwohnungen. Wenn sich die Mieten dort allerdings am Preisniveau der DFO orientieren, werden sich viele Studenten diese Zimmer nicht leisten können. Das Studentenwerk überlegt indessen, das Wohnheim Fleischerwiese weiter auszubauen.

Der Wohnungsstress jedenfalls beherrscht das Denken. Hyung Kyu Park, Politikwissenschaftsstudent im 5. Semester, beobachtet außerdem, dass die Studenten anspruchsvoller geworden sind und schlägt als Lösungsansatz vor, Vorurteile gegenüber der Makarenkostraße abzubauen. Oft ertappt man sich, automatisch nach leeren Fenstern Ausschau zu halten und über Wohnungsgrößen und -preise zu grübeln. Als „wohnungsgestört” bezeichnete das eine Kommilitonin.
Niemand kann voraussagen, wie sich die Studierendenzahlen genau entwickeln werden. Fakt ist jedoch, dass die Uni Greifswald verpflichtet ist, das Niveau von 2005 zu halten. Und das waren bereits rund 10.800 Studenten. Die Zahl der Abiturienten in MV wird zwar bis 2013 drastisch einbrechen. Bereits in diesem Jahr ist mit einem erhöhten Andrang aufgrund der Doppelabiturjahrgänge gerechnet worden, der Andrang fiel jedoch schwächer aus als erwartet. Dafür fallen die Bewerber aus anderen Bundesländern mehr und mehr ins Gewicht. Seit über 550 Jahren bestimmt die Universität das Bild der Stadt. Uni und Stadt müssen deshalb in der Zukunft dringend dafür sorgen, dass Wohnraum in Greifswald verfügbar und vor allem bezahlbar bleibt. Denn der schönste Strand nützt nichts, wenn man dort bei fünf Grad Außentemperatur nächtigen müßte, weil man keine Bleibe gefunden hat.

Autoren: Anna Seifert und Lene Bräuner