Ein kritischer Kommentar zu den anstehenden Kürzungen am Theater Vorpommern

Der Aufschrei ist groß in Greifswald und ganz Vorpommern. Die Kürzungspläne der Landesregierung im Theater- und Orchesterbereich werfen viele Fragen auf, über die Zukunft von Kunst und Kultur in unserm Land. Dies ist auch notwendig, denn neue Lösungen müssen gefunden werden, um in den nächsten Jahren mit weniger Geld auszukommen. Den Untergang des Abendlandes, wie er von manch kritischer Stimme beschworen wird, wird Minister Tesch mit seinen Plänen aber wohl kaum herbeiführen.

Mein letzter Theaterbesuch in Greifswald liegt nun etwa zwei Wochen zurück. Die Karten gibt es für Studenten ab sieben Euro, für „Normalsterbliche” ab elf Euro. Mit Abos geht es noch etwas günstiger – da kann sich wohl niemand beschweren. Und wir alle könnten uns freuen, dass die Vorstellungen so stark subventioniert sind, wenn es denn auch dazu führen würde, dass sie gut besucht sind. Doch dies ist nicht der Fall. Der zu zwei Dritteln leere Saal gähnte mich an, und das obwohl Dürrenmatts „Die Physiker” durchaus das Potential hat alte wie junge Zuschauer zu begeistern.

Die Inszenierung – naja. Ganz so schlimm war es nicht: Solide und sauber, aber auch keine Revolution, kein Paukenschlag. Man ist versucht das Wort Provinztheater zu benutzen. Doch trotzdem war die Vorstellung zu dickaufgetragen, zu klassisch, zu wenig augenzwinkernd.

Doch was brauchen wir hier in der vorpommerschen Provinz wirklich und was kann hier auch umgesetzt werden? Mag sein, dass man sich in Greifswald als alter Universitätsstadt einbildet, Kultur müsse eine besondere Rolle spielen. Doch die Geschichtsstunde über die vorpommersche Hochkultur habe ich wohl verschlafen. Greifswald ist seit Jahrhunderten ein Wissenschaftsstandort, künstlerisch eher eine Kulturscheune. Darauf deutet auch die stiefmütterliche Behandlung der Geisteswissenschaften an der Universität. Kultur, die sich auf die Ansprüche der Studenten stütz, ist eben nicht pompös, sondern klein, kreativ, ideenreich. Dennoch werde ich den Eindruck nicht los, das Theater Vorpommern wolle verkrampft eben genau das nicht sein und das scheint mir Teil des Dilemmas.

Für wen brauchen wir hier ein Dreispartentheater mit über 300 Mann Personal, das jede Woche 10 oder mehr Programmpunkte allein an einem der Standorte aufweisen kann? Und dabei gleichzeitig offenbar die Bevölkerung nicht erreicht? Wozu brauchen wir ein Orchester, das durch die als Referenz angepriesen Tourneen, jährlich vielleicht von mehr Japanern als Greifswaldern gesehen wird?

  • Für die Touristen die Greifswald meist für Tagesausflüge besuchen und abends ohnehin wieder auf die Inseln oder nach Stralsund zurückreisen?
  • Für die verwöhnten Großstadtkinder die zum Studium nach Greifswald kommen? Die meisten haben weder vom Elternhaus noch von Schule eine kulturelle Erziehung genossen und werden aus eigenen Stücken kein Theater besuchen. Den Rest können wir nur enttäuschen, wenn er das Theater Vorpommern mit dem Berliner Ensemble vergleicht.
  • Für die vorpommersche Bevölkerung, die mit hoher Arbeitslosigkeit andere Probleme hat, als sich mit Shakespeare und Schiller auseinanderzusetzen?

Nein, was wir in Greifswald brauchen, ist eine neue Philosophie: Das Provinztheater muss sich weniger an den Ansprüchen der oberen zehn in Greifswald orientieren, es muss Provinztheater sein dürfen, dann können findige Intendanten und Künstler es auch schaffen diesem Spielort wieder Leben einzuhauchen, Besucher anzuziehen und damit auch Geld einzuspielen. Geld kann man mit Kleinkunst machen, weil sie vergleichsweise günstig ist, oder mit dem opulenten Sommermusiktheater weil das tatsächlich Besucher anzieht. Dort müssen die Überschüsse erwirtschaftet werden, die es dann ermöglichen auch experimentelle Stücke oder Inszenierungen zu zeigen, die wiederum den Ruf des Theaters begründen. Vielleicht ist es dafür auch sinnvoll die Preise anzuheben – denn gerade bei Kunst und Kultur gilt die alte Binsenweisheit: „Was nichts kostet ist auch nichts wert.”

Mit einer Rentabilität von 14 Prozent darf man sich nicht zufrieden geben. Kultur bleibt weiterhin etwas für die Bessergestellten, deren Hobbies noch zu 86 Prozent staatlich zu fördern, scheint wenig gerecht. Diese Millionen sähe ich lieber in besserer Ausstattung für Schulen, Universität oder auch für soziale Projekte. Was ginge ein Aufschrei durch das Land, wenn das für Sportamt die Mitgliedsbeiträge der Greifswalder Golfspieler übernehmen würde oder die Porsche-Fahrer von der Ökosteuer befreit würden.

Wenn Minister Tesch von „finanziell tragfähigen Konzepten” spricht, dann müssen diese Konzepte natürlich auch künstlerisch zu „ertragen” sein. Kaum jemand darf erwarten, dass es in dieser Stadt glückt ein solches Kulturprogramm völlig subventionsfrei auf die Beine zu stellen. Man muss sich auf ein entsprechendes Maß einigen. Für jeden eingenommenen Euro gibt es den ein oder anderen (aber nicht acht) vom Staat dazu. Das genaue Maß muss hier zwischen Trägern und Theater ausgehandelt werden.

In Berlin gibt es eine Regelung für die finanzielle Unterstützung von gemeinnützigen Sportvereinen: Die Hallen/Spielstätten können kostenfrei genutzt werden. Doch wer direkte finanzielle Unterstützung der eigenen Arbeit oder bestimmter Projekte will muss erst einmal nachweisen, dass er selbst einen Teil des notwendigen Geldes selber erwirtschaftet. Vielleicht ist die inflationsbedingte, schrittweise Kürzung die Gelegenheit das Theater in den nächsten Jahren wieder rentabler zu machen, zum Beispiel dadurch, dass es endlich erkennt, dass es nicht die Royal Shakespeare Company ist und es auch nicht sein muss.

Ein Kommentar von Carsten Schönebeck