Online-Durchsuchung, Video-Überwachung, Registrierung aller Flugreisenden, vorsorgliche Aufzeichnung aller IP-Adressen und Telefonverbindungsdaten – wer in den letzten Monaten den Medien gefolgt ist, kann die Debatte über neue Sicherheitsgesetze kaum verpasst haben. Warum stört sich kaum jemand an der staatlichen Datenkrake, die von der Regierung erschaffen wird? Warum regt sich kaum bürgerlicher Protest? Lange hat es gedauert, aber inzwischen gibt es eine Protestbewegung, die sich am Samstag zur Großdemo unter dem Motto „Freiheit stirbt mit Sicherheit” in Berlin traf.

„Passenderweise” war in der Vorwoche die Datenschutz-Welle durch den Kundendaten-Skandal bei der Telekom auch noch endgültig in die Wirtschaft geschwappt. So schien es dann tatsächlich angebracht, ausnahmsweise mal bürgerschaftliches Engagement zu zeigen und aus Greifswald nach Berlin zu fahren, um zu demonstrieren. Ein Erfahrungsbericht.

Am Berliner Hauptbahnhof wirkt alles wie immer: Kaum Polizei, keine lauten Aktivisten. Der Fußweg in Richtung Regierungsviertel beginnt ebenso harmlos; am Kanzleramt sitzen in einem Mannschaftswagen der Polizei zwei Polizisten und lesen friedlich in der „Bild”. Dass man „nach Möglichkeit nie alleine” auf eine Demo gehen sollte, betont die Greifswalder „Rote Hilfe” in einer von den Veranstaltern zur Lektüre empfohlenen Broschüre. Dort heißt es weiter, dass das Handy zu Hause bleiben soll und auch, wie man sich nach der Festnahme verhalten soll, ist genau erläutert. Es wirkt, als gingen die Veranstalter fest davon aus, dass Krawall vorprogrammiert sei.

Solchermaßen vorgewarnt, wirkt der Demozug dann geradezu harmlos. Keine schwarz vermummten Gestalten prägen das Bild, sondern normal gekleidete Menschen aller Altersklassen. Der Altersdurschnitt ist überraschend hoch und überraschend gemischt. Auf der Kleidung vieler sieht man die bekannten Schäuble-Konterfeis mit der Unterschrift „Stasi 2.0″, viele Transparente kommen hinzu und einige originelle Motivwagen. An manchen Stellen skandieren die Demonstranten heitere Sprüche, andernorts schallt laute Musik von den Wagen. Der Zug ist beeindruckend lang – unmöglich, die Teilnehmerzahl zu schätzen. Die Organisatoren werden sehr schnell von 100.000 Mann sprechen, die Polizei zählt hingegen „definitiv unter 20.000″. Seriöse Schätzer sprechen nach der Demo von etwa 50.000.

„Ihr seid gegen die Überwachung?

Prima, da mach‘ ich mit!”

Die Polizisten halten sich während des Zugs sehr im Hintergrund. Die Strecke ist zwar mit Barrikaden abgesperrt und wird von einzelnen Polizisten gesäumt; zunächst ist deren Masse aber verwundernd gering. Dass es tatsächlich doch ziemlich viele sind, zeigt der Blick in die Nebenstraßen, wo die Polizei beinahe in Truppenstärke bereitsteht – Deeskalationskonzept heißt das Prinzip. Bei der Kundgebung direkt zu Füßen des Brandenburger Tors bemerkt man die Präsenz der Polizei dann doch: Die Veranstaltung erfährt beinahe unfreiwillig noch mehr Zuspruch, weil man den Platz zwar aus allen Richtungen betreten darf, aber nur in zwei Richtungen wieder verlassen kann.

In diese Falle tappen auch viele Passanten. Manche von ihnen bleiben jedoch gern. Ein älterer Herr ruft erfreut: „Ihr seid gegen die Überwachung? Prima, da mach‘ ich mit!” Er habe 1968 gegen die Notstandsgesetze demonstriert, erzählt er. Andere mischen sich ein und meinen, das hier sei die größte Demonstrationsbewegung seit 1989. Das ist vielleicht etwas zu pathetisch, genau wie die Worte eines Redners: „1989 gingen die Leute auf die Straße, weil die Politiker sie mit ihren Forderungen nicht hören wollten. Das ist heute genau so – CDU und SPD ignorieren die Bevölkerung.” Der Vergleich ist ähnlich gewagt wie die Bezeichnung „Stasi 2.0″, denn beide stellen die Bundesrepublik in die Tradition der DDR. Aber Provokation gehört dazu. Merkel sei Stasi-IM gewesen, mutmaßt der Redner, Schäuble sei „Verfassungsfeind.”

Zwischen den Zeilen bringen die Redner, die alle keiner politischen Partei angehören wollen, immer wieder zum Ausdruck, dass sie auch den drei Oppositionsparteien nicht so richtig trauen. Die hätten in der Vergangenheit auch immer mitgemacht, wenn sie als Regierungsparteien Sicherheitsgesetze verabschiedet hätten. Linke, Grüne und sogar die FDP sind mit Transparenten und Fahnen dabei. Besonders die JuLis, die sich ganz vorne aufgestellt haben, wirken seltsam deplatziert. Ob sie sich nicht unwohl fühlen zwischen all den Linksalternativen und Kommunisten? „Nein, überhaupt nicht”, beteuert der Haupstadt-Juli Fabian: „Liberal ist wegen der ganzen Freiheitseinschränkungen ja auch schon sowas wie alternativ.” Trotz der tapferen Worte sind es die FDP-Fahnen, die als erste aus dem Bild der Kundgebung verschwinden.

Auf der Bühne wettert indes ein Initiator der Montagsdemos gegen Hartz IV, über die Befugnisse der Ämter, die im Privatleben der Hartz-IV-Empfänger herumschnüffeln. Seine Rede wird streckenweise zum Plädoyer für mehr soziale Gerechtigkeit. Manche Teilnehmer stört das: „Deswegen war ich eigentlich nicht gekommen”, murmelt ein älterer Herr im Anzug, der stark nach FDP aussieht. Tatsächlich hat Schirrmacher aber gar nicht so Unrecht. Seine Worte über einsehbare Konten, ständige Meldepflicht und unangekündigte Wohnungsbesuche untermauern viel mehr: Datenschutz-Probleme gibt es überall. Und sie betreffen alle Personengruppen.

Für den webMoritz war Gabriel Kords in Berlin.

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Den Beitrag vertont von Eric Schümann jetzt hören: