Studie über den übermäßigen Alkoholkonsum unter Studenten

An einem grauen Mittwoch sitzt Joshua*, Student der Politikwissenschaft, in einem Seminarraum. Sein Kopf dröhnt. Er hat nur zwei Stunden geschlafen. Gestern fand eine ausschweifende Feier in seiner Wohnung statt. An Details kann er sich nicht erinnern. Seine Augenlider werden schwer und er schläft ein.

Joshua bestätigt die Ergebnisse einer Studie über den Alkoholkonsum. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim hat sie unter der Leitung von Josef Bailer durchgeführt und im Januar veröffentlicht. Demnach besuchen Studenten teilweise noch betrunken oder verkatert Lehrveranstaltungen. Sie vernachlässigen Studium oder Arbeit und sind einsam. Auch Joshua fühlt sich oft alleine, er führt eine Fernbeziehung. Laut der Studie hat fast jeder dritte Student von den 1130 Befragten in Mannheim ein Alkoholproblem. Das sind 44 Prozent der Männer und 19 Prozent der Frauen. Der Konsum ist bereits dann kritisch, wenn ein Befragter angibt, im letzten halben Jahr sein Studium oder andere Pflichten auf Grund von Alkohol vernachlässigt zu haben. Das trifft allerdings auf einen Großteil der Studenten zu.

Auch in Greifswald

„Studenten fallen oft durch einen hohen Alkoholkonsum auf, aber der Umgang mit Alkohol ist generell problematisch in dieser Altersgruppe und nicht nur auf Studenten begrenzt“, sagt Bailer in einem Interview mit morgenweb.de. Auch Untersuchungen an anderen deutschen Universitäten kamen zu ähnlichen Schlüssen. Beobachtungen im eigenen Umfeld bestätigen das.

In Greifswald gibt es 110 Kneipen, vergleicht man die Preise für Getränke in den Bars und Clubs mit anderen Städten, fallen sie gering aus. Im Mensaclub gibt es Bier ab studentenfreundlichen 1,50 Euro, Wasser kostet 50 Cent. Doch nur wenige tanzen mit einem Glas Wasser in der Hand. Auch Joshua nicht.

Als er nach Hause kommt, lädt seine Mitbewohnerin gerade die Fotos vom gestrigen Abend bei StudiVZ hoch. Auf vielen Fotos ist der Student zu sehen. Wie er tanzt und auf fast jedem Bild ein Bier in der Hand hält. Er nimmt eine Aspirin und geht ins Bett.

Anlass zur Hemmungslosigkeit

Laut der Studie ist der hohe Alkoholkonsum auf private Probleme, wie Schwierigkeiten mit den Eltern, Partnern oder Einsamkeit zurückzuführen. Aber auch Prüfungsängste und der stressige Studienalltag sind mögliche Ursachen. „Meine privaten Probleme vergesse ich, wenn ich mit Freunden trinke. Außerdem kann ich dann endlich vom Lernen abschalten“, meint der 20-Jährige,  „und manchmal möchte ich einfach nur Spaß haben.“ Studienleiter Bailer stellt fest, dass Studenten Alkohol oft wegen seiner stimulierenden oder enthemmenden Wirkung trinken. „Außerdem wird Alkohol hauptsächlich dann getrunken, wenn er leicht verfügbar ist und es einen Trinkanlass gibt“, so Bailer, „ zudem steigt die Kontakt- und Kommunikationsbereitschaft.“ Seit Joshua studiert, ist sein Konsum gestiegen. „Das hat mit den zahlreichen feierlichen Anlässen und der erreichten Unabhängigkeit von meinen Eltern zu tun“, vermutet er.

Folgenreich

„Ich trinke ein- bis zweimal wöchentlich, etwa vier Bier und hochprozentigen Alkohol“, sagt der Greifswalder Student. Auch bei dieser Menge können Folgen für den Konsumenten auftreten, so die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Auf gesundheitlicher Ebene bedeutet dies eine sinkende Lebenserwartung, Organschäden und ein erhöhtes Krebsrisiko. Zu dem wird das Gehirn gefährdet. So zerstört jeder Rausch Millionen von Gehirnzellen. Darunter leiden Gedächtnis, Konzentration, Kritik- und Urteilsfähigkeit, später die Intelligenz.
Auch psychische Folgen während eines länger dauernden Alkoholkonsums können auftreten. Reizbarkeit, Depressionen bis zu einer Suizidgefährdung sind nur einige Beispiele.

Ein Wegweiser

Bailer fordert, dass Studenten dringend mehr psychologisch versorgt werden sollten, wie mit einer speziellen Suchthilfe. In Greifswald bietet das Studentenwerk eine allgemeine bzw. psychologische Beratung an, die Studenten auch bei privaten Problemen nutzen können. Dr. Jana Kolbe von der Sozialberatung berichtet, dass in ihrer beruflichen Laufbahn bisher nur ein oder zwei Studenten wegen des Alkoholkonsums zu ihr kamen. „Die Beratung sieht sich daher auch als erste Anlaufstelle, als einen Wegweiser, der die Studenten mit einem Alkoholproblem an bestimmte Institutionen weiterleitet“, sagt Kolbe. „Zum Beispiel pflegen wir die Zusammenarbeit mit der Suchtberatungsstelle oder leiten an die psychische Beratung des Studentenwerks weiter.?

*Name geändert

Geschrieben von Christine Fratzke