Professor Rainer Westermann über flexiblere Hochschulleitungen

Im Februar letzten Jahres machte sich die Landesrektorenkonferenz (LRK) in einem Arbeitspapier erste Gedanken zu einer Erneuerung des Landeshochschulgesetzes (LHG). Bevor die Rektorenvorschläge jedoch in den Gremien der Hochschulen umfassend diskutiert und bearbeitet konnten, beschloss das Bildungsministerium nach Kenntnisnahme des LRK-Papiers, einen eigenes „Diskussionsgrundlage“ auszuarbeiten, das vorerst nach dem Willen des Bildungsministeriums noch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden soll.

moritz: Das umfangreich ausgearbeitete „Diskussionsgrundlage“ aus Schwerin liegt moritz vor. Was sind darinnen nach Ihrer Meinung die wesentlichsten Änderungen zum alten LHG?
Rektor: Dazu kann ich nichts sagen, es ist ein Diskussionsentwurf des Ministeriums, der vertraulich ist.

moritz: Beschäftigen wir uns also mit dem LRK-Diskussionspapier, das in Schwerin aufgegriffen wurde. Was sind dort die bedeutenden Punkte hinsichtlich eines neuen LHG?
Rektor: Wir wollten erstens gerne den Überlegungsprozess anstoßen, ob es einen weiteren Schritt geben sollte zu stärkerer Autonomie und Selbstverantwortung der Hochschulen. Die Landesrektoren haben es für sinnvoll erachtet, dass für jede Hochschule die Möglichkeit per Gesetz besteht, sich vom Land etwas weiter abzukoppeln und mehr Verantwortung zu übernehmen. Das ist für mich der politisch wesentlichste Punkt. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Wir wären an viele Vorgaben aus dem Ministerium nicht mehr gebunden. Zum Beispiel im Hochschulbau und im Personalwesen.

moritz:Ein Beispiel?
Rektor: Seit zwei Jahren wollen wir das alte Physikinstitut renovieren. Dafür haben wir Geld gespart. Der Wille ist da, die Pläne sind da, das Gebäude gehört uns auch, aber es fängt nicht an. Warum? Weil es eine Fülle von Bau- und Verfahrensvorschriften des Landes gibt. Da dreht sich eine entsetzliche Verwaltungsmühle.
   
moritz:Damit steigt jedoch auch die eigene Verantwortung.
Rektor: Das ist richtig. Als wir früher ganz dem Ministerium nachgeordnet waren, konnte man alle Schuld auf das Ministerium schieben. Zum Beispiel die Entscheidung, Personalstellen zu besetzen oder vakant zu lassen. Jetzt liegt die Verteilung der zugewiesenen, endlichen Ressourcen  innerhalb der Universität ganz in der Hand des Rektorats und der Fakultäten, was zu viel sachgerechteren Entscheidungen führt.

moritz:Bedeutete das im Falle eigenen schlechten Wirtschaftens, dass die Uni theoretisch Pleite gehen kann?
Rektor: Nein, Das Land wird weiterhin die Gewährsträgerhaftung behalten. Es hat deshalb auch weiterhin die Rechtsaufsicht über das ordnungsgemäße Wirtschaften.

moritz:Was sind die weiteren Vorschläge der Landesrektoren?
Rektor: Für die Praxis ganz wichtig ist ein konsistentes Konzept der Qualitätssicherung. Wir haben aktuell eine Reihe von Pflichten. Evaluation der Lehre, Akkreditierung neuer Studiengänge und Re-Akkreditierung. Wenn man das alles machen würde, wäre die Hälfte der Universität ständig mit Fremd- und Selbstbegutachtungen beschäftigt. Das wollen wir gerne ändern. Jede Hochschule soll künftig die Möglichkeit haben, ein eigenständiges Qualitätssicherungssystem zu entwickeln, das extern akkreditiert werden soll. Das bezeichnet man als Systemakkreditierung. Ein weitere Punkt ist die Personalstruktur: Es gibt bei uns noch keinen so genannten Tenure-Track. Die Grundidee ist, dass ein Juniorprofessor, der sich extrem gut bewährt hat, als Professor übernommen werden kann. Das muss gesetzestechnisch noch umgesetzt werden. Angesicht unserer Probleme beim wissenschaftlichen Nachwuchs und im Lehrbereich würden wir auch gerne zwei neue Personalkategorien einführen: Zum einen die so genannten Hochschuldozenten, das heißt selbstständig arbeitende Wissenschaftler, die aber befristet eingestellt sind und die dienstrechtlich sicher auch zur Gruppe der Professoren gehören würden. Die zweite einzuführende Personalkategorie haben wir provisorisch „Lecturer“ genannt. Wir haben bisher wissenschaftliche Mitarbeiter mit einem Lehrdeputat von acht bzw. vier Semesterwochenstunden. Außerdem gibt es bisher Lehrkräfte für besondere Aufgaben (Sprachunterricht, Computerkurse, Laborpraktika usw., die ein wesentlich höheres Lehrdeputat haben. Diese dürfen eigentlich nach dem Gesetz keine Proseminare oder Anfängervorlesungen halten, was sie in der Regel aber gut können würden. Angesichts der ansteigenden Studentenzahlen, benötigen wir eine Kategorie unterhalb der Professoren, die wir verstärkt in die Lehre schicken können.

moritz: Was haben sich die Landesrektoren zu Gremien- und Leitungsstrukturen ihrer Hochschulen ausgedacht?
Rektor: Wir haben in Greifswald mit dem Erweiterten Senat anstatt eines Konzils einen zeitlich befristeten Modellversuch. Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass wir die Abschaffung des Konzils und die Überführung in den Erweiterten Senat gesetzlich verankern. Die Rektoren waren sich darin einig, dass alle Hochschulen eine Möglichkeit für individuelle Lösungen in diesem Bereich erhalten sollen. Ähnliches bei der Zusammensetzung der Hochschulleitung: auch da haben wir eine Öffnungsklausel vorgesehen. Jede Hochschule soll festlegen können, wie viel hauptamtliche Mitglieder eine Hochschulleitung hat und welche Aufgaben ihr zufallen. Jetzt ist es ja festgelegt. Es gibt zwei hauptamtliche Mitglieder: Rektor und Kanzler. Die sind bisher auch dienstrechtlich vollkommen unterschiedlich gestaltet und sehr regide festgelegt. Der Kanzler kann zum Beispiel nicht abgewählt werden. Das wollen wir flexibel gestalten, so dass die Hochschulen sagen können, was sie haben wollen.

moritz:Welche der Änderungswünsche haben Sie eigentlich selbst auf die Agenda gesetzt?
Rektor: Ziemlich alle. Die Vorschläge in der LRK sind im Wesentlichen von Prof. Classen und mir erarbeitet worden.

moritz:Nun hat das Rektorat inzwischen neue Prorektoren. Die Amtszeiten von Prof. Classen und Prof. Festge sind vorüber. Besteht mit den gewählten Nachfolgern Prof. Joecks und Prof. North ein Konsens über die Ausgestaltung der Hochschule im Rahmen der LHG-Novelle?
Rektor: Ja, es gibt einen weitestgehenden Konsens. Tendenziell haben wir aber unterschiedliche Auffassungen über Rechte, Pflichten und Rolle zwischen Kanzlern und Rektoren. Das ist aber ein Dauerkonflikt, seit dem es die Universität gibt. Der ist aber auch lösbar,  denn einige Ideen gehen in die Richtung, dass man das an den einzelnen Hochschulen unterschiedlich nennt. Dass es vielleicht keinen Kanzler mehr gibt, sondern einen Vizepräsidenten für Verwaltung.

moritz:Wird es in Greifswald dann zukünftig einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten geben?
Rektor: Nein, wir sollten bei Rektor und Prorektor bleiben.

moritz:Es könnte also einen Prorektor für Verwaltung geben?
Rektor: Das könnte sein, jedenfalls nach unseren LRK-Vorschlägen. Die Vorschläge werden aber so nicht durchkommen, völlig klar.

moritz:Die aktuelle LHG-Diskussionsgrundlage des Ministeriums ermöglicht die Abschaffung des Konzils und die Stärkung des Rektors. Zukünftig könnte der Rektor auch in Einzelfragen über die Köpfe der Hochschulleitung hinweg entscheiden.
Rektor: Da kann ich nichts zu sagen, weil das der aktuelle und vertrauliche Diskussionsentwurf der Landesregierung ist.

moritz:Auch das LRK-Papier schlägt die Möglichkeit zur Änderungen in der Zusammensetzung und im dienstrechtlichen Status der Hochschulleitung vor. Zielt dieser Punkt auf die Stärkung des Rektors als Entscheidungsperson?
Rektor: In dem Vorschlag der Landesrektorenkonferenz definitiv nicht. Da gibt es keine Veränderung in der Aufgaben- und Machtbalance innerhalb des Rektorats und zwischen Rektorat und Senat. Das einzige was dort drinsteht, ist der Versuch, den Wismarer Modellversuch dauerhaft gesetzlich zu erlauben, also eine Hochschule ohne einen formell installierten Kanzler zu leiten.

moritz:Das hieße jedoch, eine Öffnungsklausel für weitere Alternativmodelle der Hochschulleitung auch für andere Hochschulen des Landes zu schaffen.
Rektor: Richtig, in der LRK wollten wir genau das: dass jede Hochschule dasjenige Modell haben kann, dass sie haben will.

moritz:Bei Ihrer ersten Rektoratskandidatur vor etwa fünf Jahren, sagten Sie, sie wollen den traditionell-kollegialen Leitungsstil im Rektorat der Greifswalder Uni weiterführen. Hat sich an dieser Einstellung für Sie etwas verändert, etwa mit der Erfahrung der letzten Amtsjahre?
Rektor: Die kollegiale Hochschulleitung wurde erst während meiner ersten Amtszeit eingeführt, bis dahin wurde die Uni allein durch den Rektor geleitet. Meine Präferenz für die kollegiale Leitung hat sich überhaupt nicht verändert. Meine Erfahrungen zeigen mir, dass eine kollegiale Hochschulleitung eigentlich das optimale Modell ist. Sie können bei der Komplexheit der Materie und des Universitätsorganismus die Hochschule nicht als Einzelperson mit einer persönlich gefärbten Meinung führen. Sie brauchen immer den Ratschlag und die Korrektur der anderen.
moritz:Die Vorschläge der Landesrektoren befassen sich auch mit der Möglichkeit der Abschaffung des Konzils, dem bis dato höchsten formalen Entscheidungsgremiums einer Hochschule. Was könnte das für Greifswald heißen?
Rektor: Gar nichts. In Greifswald bliebe alles so, wie es jetzt ist. Das hieße die Weiterarbeit mit einem Senat oder einem Erweiterten Senat, so wie wir ihn haben.

moritz:Wird es in Greifswald denn auch bei einem Erweiterten Senat in der aktuellen Stimmenzusammensetzung bleiben?
Rektor: Ja. Ich sehe keinen Grund, warum man nicht dabei bleiben sollte.

moritz:Als Rektor und damit auch als Mitglied des Senates: Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Studierenden? Sind Sie dann und wann von deren Gremienmitarbeit, deren Nachfragen und gegensätzlichen Voten genervt? Sind Sie hinderlich für die Umsetzung eigener Amtsziele?
Rektor: Die Arbeit der Studierenden im Senat ist sehr prägnant. Das liegt an ihrer großen Anzahl im Vergleich zu den vier Studierenden im alten Senatsmodell. Aber der Senat hat mit dem Gesetz von 2002 auch fundamental an Rechten verloren. Und was heißt nerven? Immer wenn eine Frage gestellt wird, kann die natürlich potentiell nerven, das ist in Vorlesungen doch ganz genauso. Aber wenn Sie mal drei Sekunden lang überlegen, von wem diese Frage gestellt wird, dann erkennen Sie: Natürlich kann der das fragen. Studenten stellen auch mal Fragen, wo wir seit Jahren die Antworten wissen oder eben Fragen, wo wir sofort erkennen, dass die Prämissen falsch sind. Das muss man dann eben erklären. Letzen Endes halte ich die Diskussionen im Senat gerade von den Studenten aus für fair. Da habe ich keine Probleme mit.

moritz:Wie wird es mit der LHG-Novellierung weitergehen?
Rektor: Wir sind jetzt an dem Punkt, wo es erste Entwürfe im Bildungsministerium gibt, die wir in den Gremien ab sofort informell behandeln dürfen. Ich denke, dass das Bildungsministerium den Ehrgeiz hat, dem Landtag den Gesetzesentwurf spätestens im Herbst vorzulegen. Dann wird die Universität erst zu einer offiziellen Anhörung zum Gesetzesentwurf in den Landtag geladen. Als Vertreter der Universität wird dort der Rektor sprechen – aber vielleicht werden sogar auch das Rektorat und der Senat getrennt eingeladen, auf jeden Fall wird die Studentenschaft getrennt vortragen. Vorher müssen wir uns natürlich gemeinsam Gedanken machen, was wir wollen und was wir nicht wollen und ob das gut oder schlecht ist, was im LHG-Entwurf drin steht.

Geschrieben von Robert Tremmel