Brauchen Rektoren wirklich mehr Macht an den Hochschulen?

Ungemütlich ist es nicht im Büro des Rektors der Universität Greifswald, Professor Rainer Westermann. Erste Etage im Hauptgebäude am Rubenowplatz, lichte Fenster zum Hof, wenige funktionale Möbel, Parkett und ein paar alte Porträttafeln verblichener Universitätsrektoren. Ein wohligwarmes Rot der Wände sorgt für eine angenehme Gesprächsumgebung.

Jeden Dienstag um neun Uhr versammelt sich hier die Dienstberatung des Rektors: der Rektor und seine beiden Prorektoren, der Kanzler als Verwaltungschef der Uni, die fünf Dekane der Fakultäten, der AStA-Vorsitzende und wenn es zur Sache erforderlich ist, ebenfalls der Senatsvorsitzende. Im geltenden Landeshochschulgesetz (LHG) ist dieses Gremium nicht vorgesehen. Vielmehr ist es eine eigene, mehr oder weniger formelle Tradition der Universität Greifswald. Hier werden die anstehenden Probleme der Hochschule zuerst auf den Tisch gebracht und von den Vertretern der maßgeblichen Interessengruppen inspiziert. Die Gespräche laufen zumeist auf Augenhöhe – Abstimmungen gibt es keine. Informations- und Meinungsaustausch stehen im Vordergrund. Auf diese Tradition und Kollegialität waren bisher noch alle, die hier saßen, wenigstens ein klein wenig stolz.

Der Macher-Paragraph

In der Schreibtischschublade des Rektors liegt seit Ende Februar nun eine bisher geheim gehaltene „Diskussionsgrundlage“ des Schweriner Bildungsministeriums. Auf Grundlage dieses Papiers soll möglichst bis zum Herbst ein neues Landeshochschulgesetz entstehen. Aufsehen erregend in diesem Entwurf ist vor allem Paragraph 84 Abschnitt 3 Satz 1: „Der Hochschulleiter [=Rektor, Anm. d. Redaktion] kann im Rahmen seiner Gesamtverantwortung nach Beratung in der Hochschulleitung Einzelfallentscheidungen auch mit Wirkung für die übertragenen Geschäftsbereiche der Mitglieder der Hochschulleitung treffen.“ Knapp und deutlich folgt Satz 2: „Sie sind insoweit an die Entscheidung des Hochschulleiters gebunden.“ Wird dieser Satz Gesetz, sind die Chefs der Hochschulen im Lande praktisch unabhängig von inneruniversitären Mitbestimmungsorganen. Zwar könnte das Universitätsparlament, der Senat, eine Entscheidung des Rektors rückgängig machen, bräuchte dazu aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Jeder der den heterogenen Senat in seiner Praxis erlebt hat, weiß, dass dies unmöglich ist. Zu gegensätzlich sind die Interessengruppen, um sich übergreifend zu einigen. Nominell hätten vor allem die engsten Mitarbeiter des Rektors in der Hochschulleitung, wenig mehr zu melden, als ihre Bedenken, Proteste und Verbesserungsvorschläge. Er entschiede, denn er hätte die Gesamtverantwortung und nicht nur wie bisher die Richtlinienkompetenz. Vielleicht wäre die neue Möglichkeit zur Einzelfallentscheidung sogar äußerst praktisch, um im Interessendschungel einer Hochschule ohne Umwege zu regieren.

Aber vor allem das Bildungsministerium hätte endlich einen absoluten Ansprechpartner, der sich nicht mehr hinter der Uneinigkeit der Hochschulgremien verstecken kann. Zwar sieht die Schweriner „Diskussionsgrundlage“ weitere Autonomierechte für die Hochschulen vor, letztlich wird es aber auch langfristig der wesentliche Financier der Universität bleiben und damit derjenige, der den Rahmen für Forschung und Lehre vorgibt. Gut, wenn man genau eine Person in die Pflicht nehmen kann, diese Vorgaben umzusetzen. Die nächste Sparrunde kam noch immer.

Bis es soweit ist, darf jetzt erst einmal in den Hochschulen diskutiert werden. Rektor Westermann gab das Diskussionspapier für die „interne“ Diskussion und Überarbeitung in den Fakultäten und im Senat am 1. April frei. Fraglich ist dabei wie vertraulich ein Vorschlag zu einem Landesgesetz beraten wird, wenn es nicht anders als im öffentlichen Teil der Gremien beraten werden kann – nicht-öffentlich sind  nur Personalangelegenheiten und sensible Wirtschaftskennzahlen zu behandeln. Anzunehmen ist, dass die Diskussionen heftig bis kämpferisch werden. Eine Ausweitung der Amtszone wird es einstimmig nicht geben, wie moritz auf Nachfrage in allen Interessengruppen erfuhr.

Wer verfasst die Verfassung?

Neben dem Senat droht auch den Prorektoren und dem Kanzler deutlicher Machtverlust. Da der Vorschlag aus Schwerin außerdem die Abschaffung des Konzils beinhaltet, sind die hochschulpolitischen Vertreter aller Studenten ebenfalls in Hab-Acht-Stellung versetzt. Das Konzil wurde vor fünf Jahren in den Erweiterten Senat umgewandelt. Dort sind Professoren und Studenten gleich stark vertreten. Anders im Engen Senat. Nur von diesem ist im LHG-Vorschlag die Rede. Und dort haben die Hochschullehrer die absolute Mehrheit. Nach dem Diskussionspapier könnte man davon ausgehen, dass es am Engen Senat liegen soll, die wesentlichen Grundzüge der Hochschule zu beschließen. Das Dokument lässt wegen unausgeführter Übergangsregelung die Situation unklar, in welchem der beiden Senate die Kompetenzen für Wahl, Kontrolle und Abwahl des Rektors, Hochschulentwicklungsplan und Leitbild der Uni, und nicht zuletzt die Grundordnung (Verfassung der Universität) liegen.

Trotz der Bedeutsamkeit der sich anbahnenden Diskussionen zeigt sich der AStA-Vorsitzende Thomas Schattschneider besorgt und nachdenklich, wenn es um die Quantität und Breite der studentischen Mitsprache bei der Novellierung der Leitungsstrukturen geht. Er weiß, es ist ein trockenes und umfangreiches Thema. Seine Hoffnungen liegen in Paragraph 38 Absatz 3: die Abschaffung des bisher gesetzlich vorgeschriebenen Freiversuches bei Prüfungen. Zukünftig soll es der Hochschule überlassen sein, einen zusätzlichen Prüfungsversuch für Studierende innerhalb der Regelstudienzeit zu gewähren oder eben nicht. Rektor Westermann und mit ihm ein Großteil der Professorenschaft sähen den Freiversuch gerne abgeschafft und stellen stattdessen eine zusätzliche Möglichkeit der Notenverbesserung in Aussicht. Damit würde die erste Prüfung, anders als im Freiversuch, in jedem Falle zählen. Mehr Zielstrebigkeit, Ernsthaftigkeit und vor allem weniger unnützer Aufwand erwartet sich der Rektor von dieser Neuregelung. Höheren und ungesunden Leistungsdruck, ohnehin der unerwünschte Begleiter der reformierten Studiengänge, befürchtet die Studentenschaft. Die Option zur Abschaffung des Freiversuchs, sagt Schattschneider, wäre für Studierende wohl der augenfälligste Makel einer LHG-Novelle, wie sie derzeit vom Ministerium vorgeschlagen wird.

Selbst wenn es gelänge, die breite Masse an Studenten für das Thema LHG-Novelle zu sensibilisieren, fraglich bleibt der Effekt von Protest und widersprechenden Stellungnahmen. Das Gesetz beschließt der Landtag, der zuvor die verschiedenen Interessengruppen im Lande anhören muss: Vertreter der Hochschulen, Studenten, Fraktionen der Landtagsparteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und wer immer glaubt, per Stellungnahme mitsprechen zu müssen.
Unklar ist derzeit, wie veränderlich die Vorschläge der derzeitigen „Diskussionsgrundlage“ des Bildungsministeriums sind. Wird die Kritik im Lande in Grenzen bleiben, könnte es sich im Wesentlichen schon um den zu beschließenden Referentenentwurf handeln. Detailliert genug ist er dafür bereits.

Rektor und Kanzler der Universität Greifswald haben sich bislang öffentlich noch nicht zu den Inhalten geäußert, da man von Schwerin Diskretion angeordnet hat.
Rektor Westermann weiß wohl, dass jetzt erst einmal diejenigen dran sind, deren Mitspracherechte zur Disposition stehen, also Senat, Kanzler, Prorektoren und Studentenvertreter. Im moritz-Interview ermutigt er die Gremien jedoch zu konstruktiver Argumentation und Willensbildung. Soweit das neue LHG mehr Autonomie und Bürokratieabbau ermöglichen wird, findet er sicher viele Parteigänger. Geht es um die Ausstattung des Rektors mit absoluter Macht, wird man auf seine Meinung gespannt sein. In einer ähnlichen Frage meinte der Rektor bereits gegenüber moritz, dass eine kollegiale Hochschulleitung das optimale Modell sei. Tatsache ist aber auch, dass Rainer Westermann nicht für alle Zeiten Rektor bleibt: Nachfolger oder Nachfolgerin unbekannt. Klar ist bislang nur, wenn es legale Möglichkeiten gäbe, Entscheidungen im Alleingang herbeizuführen, würden diese auch genutzt. Im Konfliktfall auf Kollegialität zu hoffen anstatt die Möglichkeit der Macht zu kalkulieren, wäre politisch naiv.Geschrieben von Robert Tremmel