Wissenschaftler fordern kritischen Umgang mit EU-Geschichte in Schulbüchern

Die Geschichte des europäischen Integrationsprozesses wird in den Geschichtsschulbüchern der gymnasialen Sekundarstufe I nicht ausreichend differenziert dargestellt. Dies ist das zentrale Ergebnis einer internationalen Studie, in der Schulbücher aus Deutschland, Österreich und Polen, untersucht worden sind. Die Projektgruppe „Inventing the EU“ (Europäische Union erfindend), an der sich die Universitäten Greifswald, Salzburg und Szczecin beteiligten, analysierte je fünf Bücher hinsichtlich ihrer Darstellung der Geschichte der Europäischen Union seit dem Zweiten Weltkrieg. Demzufolge zeigten sich in allen Schulbüchern eindeutige pro EU-Tendenzen. Moderne  geschichtsdidaktische, das heißt vor allem kritische und multiperspektivische Herangehensweisen, werden hingegen nur selten verwendet.

Die unter der Leitung von Dr. Christoph Kühberger (Salzburg) und Dirk Mellies, M.A. (Greifswald) herausgegebenen Empfehlungen zeigen exemplarisch auf, welche Veränderungen zur Anbahnung eines reflektierten und (selbst)reflexiven Geschichtsbewusstseins von Schülern notwendig wären. Denn die Autorentexte treten nach wie vor als einzige, nicht weiter zu hinterfragende Wahrheit auf. Eine Problematisierung der Texte zum Beispiel im Hinblick auf ihre fachliche Richtigkeit oder die in ihnen wohnenden normativen Bewertungen wird nahezu vollkommen vernachlässigt. Eine Schaffung von klaren Begrifflichkeiten beispielsweise in Bezug auf die Inhalte des Begriffs „Europa“ bzw.„europäisch“ wäre beispielsweise wünschenswert. Zudem zeichnen sich einige der analysierten Lehrbücher durch sachliche Ungenauigkeiten, ein fehlende Aktualität und das Vorenthalten von schriftlichen und bildlichen Quellen aus. Nach Auffassung der Projektgruppe hemmt damit  die an einer einseitigen Wissensvermittlung orientierte Verlags- und Autorenpraxis auch den in den Lehrplänen angemahnten Erwerb kritisch-historischer Kompetenzen.

Das auf ein Jahr angelegte Forschungsprojekt wurde im Rahmen der ?Geschichtswerkstatt Europa? durchgeführt und vom Fonds für ?Erinnerung und Zukunft? mit einer Summe von bis zu 13.000 Euro in Kooperation mit den beteiligten Instituten finanziert. Es fördert bewusst Studierende, die vor ihrem ersten Studienabschluss stehen.

Anhand eines vergleichenden Ansatzes wurden deutsche, österreichische und polnische Schulbücher sowohl innerhalb des Landes, als auch aus der nationalstaatlichen Perspektive, über den Vergleich der Bücher aller beteiligten Länder von außen untersucht. Die Lehrbuchtexte sind dabei als historische Erzählungen aufgefasst und als menschliche Kulturäußerungen gelesen worden. Sie beinhalten dabei eine bestimmte Vergangenheitsinterpretation. Solche Erzählungen tragen unter anderem zur Wahrnehmung der Vergangenheit bei und sind Teil der Geschichtskultur.