Ricarda Bouncken bekleidet als einzige Frau einen Lehrstuhl in den Greifswalder Wirtschaftswissenschaften. Mit moritz sprach die 38-Jährige über ihren Tagesablauf, Frauen in der Wissenschaft und welches Verhalten von Geschlechtsgenossinnen sie ablehnt.

moritz: Seit 2004 sind Sie die Lehrstuhlinhaberin für Innovationsökonomie. Was hat Sie als Hamburgerin und erfolgreiche Professorin nach Greifswald verschlagen? Warum ist die Stadt für Sie attraktiv?
Professorin Ricarda Bouncken: Das ist mehr dem Zufall als rationalen Entscheidungen zu verdanken. 2002 war ich schon einmal als Lehrstuhlvertretung für ein Semester in Greifswald. Danach bin ich jedoch einem Ruf nach Cottbus gefolgt. Als der Greifswalder Lehrstuhl dann ausgeschrieben wurde, bewarb ich mich, denn ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt. Greifswald gefällt mir als Stadt an sich, die Region, aber auch die Universität mit ihrer langen Geschichte und Tradition. Ein Vorteil ist, dass man hier sehr gut über Fakultätsgrenzen hinweg arbeiten kann, beispielsweise mit der Medizin. Außerdem sind die Greifswalder Studierenden sehr interessiert und engagiert, so dass auch die Vorlesungen Spaß machen.

moritz: Blicken Sie doch bitte auf die letzten drei Jahre zurück.
Bouncken: Ich bin generell ein sehr zielorientierter, geradliniger und in allen Dingen ein direkter Mensch. Greifswald bedeutete für mich natürlich viele neue Aufgaben und Herausforderungen. Eines hat sich dadurch nicht verändert: Die viele Arbeit blieb mir erhalten. Die Publikationstätigkeit sowie Vorträge auf internationalen Konferenzen habe ich mir immer erhalten und sogar vorangetrieben. In Greifswald beschäftige ich mich viel mit Drittmittelanträgen und versuche Geld an die Uni zu holen. Ich spreche viel mit  Unternehmern aus der Region und unterstütze sie.
Natürlich treten dadurch täglich mehr Menschen an mich heran, auch aus der Regierung, die wissen wollen, was ich mache und Ratschläge einholen. Sozusagen ein Ansturm unterschiedlicher Personen. So wird es auch notwendig mal Nein zu sagen. Bei interessanten Projekten ist das natürlich sehr schade. Das hat mein Leben der letzten Jahre sehr verändert. Ich wachse aber auch mit den zusätzlichen Aufgaben, lerne dazu und werde reifer. Mein Verantwortungsbereich wird größer und ich muss Entscheidungen mit hoher Tragweite treffen. Dabei versuche ich jedoch ständig mein Bestes zu geben, nach objektiven Kriterien und bestem Gewissen Lösungen zu finden.

moritz: Gibt es Phasen, in denen Sie denken, dass Sie den ganzen Stress Ihres beruflichen Alltags nicht mehr schaffen?
Bouncken: Es gibt Momente, in denen ich die Arbeit und den damit verbundenen Stress toll finde. Oft wird mir das Ganze auch zu viel, so dass ich mich frage, wozu das alles, was bleibt für mich noch übrig. Da ich immer Vollgas gebe und oft 14 Stunden am Tag arbeite, meldet sich dann auch der Körper und sagt, „es geht nicht mehr“ und  drückt die Pausetaste. Migräne oder Kreislaufprobleme sind Zeichen davon. Das  Umherfliegen, von einer Besprechung zur nächsten zu hetzen und kaum noch Zeit für sich zu haben, nervt dann. Oft frage ich mich, „wie verrückt bist du eigentlich, welcher Idiot macht so was eigentlich noch mit.“ Seit fünf Jahren habe ich keinen richtigen Urlaub mehr gemacht. Manchmal funktioniere ich nur noch wie eine Maschine, vor allem, wenn der Terminkalender überfüllt ist. Die Luft zum Atmen wird dann knapper und ein Burn-Out ist da gar nicht mehr so unwahrscheinlich.

moritz: Können Sie Vergleiche bezüglich Ihrer hohen Arbeitszeit zu anderen, ja, männlichen Kollegen ziehen? Denken Sie, dass Frauen gegenüber Männern mehr leisten müssen?
Bouncken: Ja, das denke ich. Frauen haben auf allen Ebenen mehr Probleme als Männer. Als Studentin war ich noch zutiefst davon überzeugt, dass es Gerechtigkeit und die volle Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt. Nach dem Studium musste ich dann feststellen, dass das überhaupt nicht so ist. Ganz im Gegenteil:
Es wird für Frauen mit höher werdender Position immer schwieriger, sich durchzusetzen und von Männern akzeptiert und respektiert zu werden. Ich wusste damals, dass ich daran nichts ändern konnte, also habe ich, wie jede andere erfolgreiche Frau das auch tut, die Zähne zusammengebissen und gearbeitet bis zum Umfallen. Das mache ich heute noch so, denn der Kampf ist noch lange nicht zu Ende.

moritz: Nur 15 Pozent aller Professoren in Deutschland sind Frauen. Welche Schwierigkeiten haben Frauen in der männerdominierten Wissenschaftswelt?
Bouncken: Um in der Wissenschaft anerkannt zu sein, muss man sich als Frau durchsetzen. Dies gelang mir vor allem durch viel Engagement, Publikationen, Vorträge und Forschungspreise. Männer haben es da leichter. Auf Tagungen merkte ich oft, dass Männer früh Netzwerke aufbauen. Als Frau kommt man schlecht da rein. Das  liegt schon an den unterschiedlichen Sprach- und Verhaltensstilen der Geschlechter. Obwohl ich denke, dass ich mich dem männlichen Sprach- und Verhaltensstil schon sehr genähert habe.
Oft blieb ich auf mich allein gestellt, was das Arbeiten natürlich schwieriger gestaltete, vor allem hinsichtlich des Publikationsoutputs. Als Einzelkämpfer arbeite(te) ich also noch mehr. Zudem wollte ich eigentlich auch keine Förderung und erst recht kein Mitleid oder als „kleine Süße“ wahrgenommen werden. Ein großer Nachteil, den Frauen gegenüber Männer haben, ist deren geringe körperliche Präsenz. Akzeptiert zu werden, ist da wirklich nicht einfach. Im Laufe der Zeit wurde mir bewusst, dass man durch eine bessere Körpersprache, Gestik und ein anderes Auftreten mehr erreichen kann. Man muss bewusst die eigene Strahlkraft fördern. Insbesondere habe ich gezielt daran gearbeitet, meine Stimme zu senken. Dadurch zeigt man noch mehr Präsenz und baut Charisma auf. Männer verfügen im Gegensatz zu Frauen über solche Dinge naturgemäß stärker, während wir das eher lernen müssen.

moritz: Für Frauen, die den Schwerpunkt ihres Lebens auf den Beruf legen möchten, hört sich das sehr düster an. Was würden Sie Frauen empfehlen, die erfolgreich im Arbeitsalltag stehen möchten? Oder funktioniert auch eine erfolgreiche Verbindung von Karriere und Familie?
Bouncken: Da fragen Sie die Falsche. Also, ich persönlich würde alles nochmal ganz genauso machen. Ich habe mich von Anfang an bewusst für die Karriere entschieden.
Jedoch hätte ich lieber noch früher gelernt, wie man besser an seinem Auftreten arbeiten kann. Soft Skills, die dann Respekt erzeugen sind sehr wichtig. Man hat eigentlich keine andere Chance als viel und sehr diszipliniert zu arbeiten. Oder man wählt den anderen Weg und versucht mit Charme und Vitamin B ans Ziel zu kommen. Aber das ist nicht mein Ding. Gegenüber Frauen, die gezielt die Schwächen der Männer ausnutzen, empfinde ich nur eine hohe Abneigung und mache einen riesengroßen Bogen um sie herum.

moritz: Was unterscheidet Sie von anderen Frauen?
Bouncken: Das kann ich nicht genau sagen. Ich weiß, dass ich sehr ehrgeizig und diszipliniert bin. Mit sieben Jahren wusste ich schon, dass ich promovieren möchte. Meine gesetzten Ziele habe ich bis jetzt fast alle erreicht. Außerdem habe ich eine sehr gute physische Kondition. Ich kann bis 2 Uhr morgens arbeiten und um 9 Uhr wieder im Büro sein. Das stört mich nicht, denn das liegt wohl in meiner Natur. Seit über zehn Jahren mache ich das schon so. Aber privat muss man doch Opfer bringen.

moritz: Stellen Sie die hohen Ansprüche, die Sie an sich selbst stellen, auch an Ihre Mitmenschen, beispielsweise an Ihre Mitarbeiter?
Bouncken: Ja schon. Aber das habe ich in der letzten Zeit schon versucht stark zurück zu schrauben. Mittlerweile habe ich begriffen, dass Menschen über unterschiedliche körperliche Fähigkeiten verfügen. Einige können eben mehr und länger arbeiten als andere. Das ist kein Problem des Wollens, sondern des Könnens. Das muss ich akzeptieren. Ich habe mit meiner Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer wohl irgendwie Glück gehabt.

moritz: Können Sie als erfolgreiche Frau eher mit Frauen oder mit Männern umgehen?
Bouncken: Ich denke, dass ich Frauen schon bevorzuge, was mir wiederum auch Angst macht. Eigentlich versuche ich aber immer alle gleich zu behandeln. Bei meinen Mitarbeitern ist die Beziehung mit Frauen aus meiner Sicht irgendwie offener. Letztendlich ist  die Nähe einfach höher, vor allem wenn die Frauen taff und keine Häschen sind. Mein Freundeskreis ist stärker von Männern geprägt. Aber Freundinnen sind natürlich auch wichtig, besonders da man auch mal andere Themen zu besprechen hat, denn nur taff bin ich ja auch nicht.
Tendenziell versuche ich jedoch Frauen zu fördern. Vielleicht stelle ich dabei gleichzeitig höhere Anforderungen, da ich Angst habe, dass sie in die „Ich- bin- so-süß-Nummer “ abrutschen.
In Prüfungen bin ich natürlich objektiv und versuche neutral und gerecht zu bleiben. Bei Klausuren schaue ich zum Beispiel nie auf den Namen. Bewertungen hängen vom  Inhaltlichen und der Argumentation ab und nicht davon, wie sich jemand verkauft.
Dennoch bin ich über jede Frau froh, die studiert, sich durchsetzt, kämpft und was aus ihrem Leben macht. Aber letztendlich muss jeder selbst wissen, was er macht.

moritz: Im September haben Sie als Preisträgerin des Innovationswettbewerb „Wirtschaft trifft Wissenschaft“, neben vielen anderen Forschungsgeldern, eine Prämie von 488.000 Euro an die Uni geholt. Was macht Sie für die Alma Mater noch so unentbehrlich?
Bouncken: Ja, das stimmt, ich bin in der Lage doch irgendwie erfolgreich Drittmittel zu akquirieren. Ich kümmere mich aber auch um die Unternehmen der Region und habe viele neue Ideen. Manchmal sogar zu viele. Ich bin kreativ, offen und mit mir kann man leicht in Kontakt treten. Ich denke, dass ich Unternehmern das Gefühl gebe, dass sie mit mir reden können und auch etwas Sinnvolles dabei rauskommt. Mit Themen wie Kooperations- und Innovationsmanagement bearbeite ich zudem Themen, die für die Praxis relevant sind. Außerdem habe ich durch meine unzähligen Reisen eine große Außenwirkung. Ich publiziere viel und glaube, dass die Studierenden meine Vorlesungen gar nicht so schlecht finden. Zumindest deuten die neugierigen, interessierten Blicke vieler daraufhin.

moritz: Wie wollen Sie Ihre Zukunft gestalten? Die Standardfrage: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Bouncken: Das hätten Sie mich vor zehn Jahren fragen sollen. Da hätte ich Ihnen das ganz genau beantworten können. Heute sieht das schon schwieriger aus. Ich habe schon viel erreicht und momentan fehlt mir irgendwie eine Mission. Einige berufliche Ziele bezüglich bestimmter Publikationen habe ich noch. Aber vielleicht ist es auch mal ganz gut durchzuatmen. Familiengründung sollte, wenn ich mir die biologische Uhrzeit ansehe, auch nicht mehr so weit weg sein – aber alles damit Verbundene macht mir Angst.

moritz: Und Greifswald?
Bouncken: Wer weiß das schon. Das hängt wie immer von bestimmten Bedingungen ab.

Geschrieben von Das Gespräch führte Ina Kubbe