Entstehung und Arbeit des Wolfgang-Koeppen-Archivs

Das Archiv ist eine Einrichtung des Instituts für Deutsche Philologie im Geburtshaus des Schriftstellers. Dieser kam am 23. Juni 1906 hier zur Welt und verbrachte einige Jahre seiner Kindheit und Jugend in Greifswald.

Seit 1943 lebte er in München und schrieb Romane, Reisebeschreibungen und Kurzprosa. Nach Koeppens Tod im Jahre 1996 ging dessen Nachlass an den Suhrkamp Verlag, da der Autor selbst keine Erben hatte. Initiiert vom damaligen Professor Müller-Waldeck schloss der Verlag, der Koeppen zu Lebzeiten unterstützt hatte, daraufhin einen Vertrag mit der Universität Greifswald, in dem ihr der Nachlass überlassen wurde. Im Gegenzug verpflichtete sich die Hochschule, diesen zu pflegen und der Forschung zugänglich zu machen. Dr. Michael Gratz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut der Deutschen Philologie, erinnert sich: „Das Literaturarchiv Marbach war natürlich auch interessiert und München wollte das auch haben und hat sogar, wie uns gesagt wurde, das Dreifache geboten, aber Siegfried Unseld hat sich dann für Greifswald entschieden, weil er meinte, in München ist es eine von vielen Sammlungen und in Greifswald besteht eben die Chance etwas Spezielles, Individuelles für Koeppen zu schaffen.“

Von München nach Greifswald

Der Autor lebte in einer großen Münchner Wohnung, die ihm der Suhrkamp Verlag finanzierte. Seine letzten beiden Lebensjahre verbrachte er jedoch wegen einer Krankheit in zwei verschiedenen Pflegeheimen. Im März 1996 verstarb Wolfgang Koeppen im Alter von 89 Jahren. Die Manuskripte sind gleich nach seinem Tod von einem Mitarbeiter des Verlags nach Frankfurt (Oder) geholt worden und kamen erst ein Jahr später nach Greifswald. Dr. Gratz war dabei, als ein halbes Jahr nach Koeppens Tod, im Herbst 1996, alles aus der Wohnung nach Greifswald geholt werden sollte. „Unser Auftrag war es, die Bibliothek, über 10.000 Bände, für den Umzug vorzubereiten. Dafür hatten wir fünf Tage Zeit.“ Die Herausforderung bestand nicht darin die Bücher zu verpacken, denn eine Vertragsklausel war, dass diese so aufgenommen werden mussten, dass man ihren Standort in der Originalwohnung rekonstruieren kann.

Es wurden 105 Detail-Fotos gemacht, sodass man die Buchtitel auf diesen lesen konnte. Zeichnungen wurden erstellt, die die Position der Regale festhalten sollten, jedes Regal, jedes Brett bekam eine Nummer und in jedes Buch wurde eine Zahl gelegt. „Diese Nummern sind heute die Signatur der Bibliothek und an der Nummer kann man erkennen, wo das Buch stand. Das ist für Forscher interessant. Hat er das Buch gelesen oder hat er es nicht gelesen? Was in der Nähe des Schreibtisches stand, hat er wahrscheinlich öfters genutzt, was sehr weit oben stand, vielleicht nicht so oft“, sagt Gratz. Doch für den Literaturwissenschaftler war die Aufnahme des Nachlasses mehr als viel Arbeit: „Weil das eben schon ein eigenartiges Erlebnis ist, so ein bisschen als Voyeur in einer fremden Wohnung zu kramen. Und man guckt in allen Ecken nach, alle Geheimfächer von Schubladen, man findet, Briefe, Fotos und alles.“

Unerforschte Bereiche im Archiv

Nach fünf Tagen kam dann ein Möbelwagen, der die Kleider, Bücher und Möbel nach Greifswald brachte. Hier wurde über drei Jahre hinweg ein Katalog aufgebaut. Auch daran hat Dr. Michael Gratz mitgearbeitet. Alles ist mittels Datenbanken so vernetzt aufgenommen, dass man bei der Suche nach einem Buch auch gleich sieht, ob in diesem etwas lag und wenn ja, was.

Heute ist der Nachlass zu 96 Prozent aufgearbeitet. Interessenten kommen aus den USA, Japan und Südkorea, um das Archiv zu nutzen. Mit dem Weggang von Professor Walter Erhart und seinen Mitarbeitern fehlt jedoch das Personal, um eine dauerhafte Forschung am Nachlass möglich zu machen. Der Lehrstuhl für Deutsche Literaturwissenschaft und Literaturtheorie, den vorher Professor Walter Erhart innehatte, wird zurzeit von Dr. Sigrid Nieberle vertreten. Da der Lehrstuhl an die Leitung des Wolfgang-Koeppen-Archivs gebunden ist, hat sie auch diese Position kommissarisch übernommen.

Bei der Stadt und der Universität war das Archiv von Anfang an nicht besonders beliebt, häufigstes Argument: Wer liest schon Koeppen? Dementsprechend sind die Gelder knapp bemessen und eine Finanzierung weiterer Mitarbeiter ist nicht vorgesehen. Da die Tätigkeit von Dr. Sigrid Nieberle befristet ist, wird sie keine neuen Projekte initiieren.

Studenten, die eine Abschlussarbeit schreiben wollen, haben jedoch weiterhin die Möglichkeit an unbearbeitetem Material zu forschen. Spannende Themen finden sich bestimmt. Eine Vielzahl unerforschter Schätze kann im Wolfgang-Koeppen-Archiv gehoben werden.

Geschrieben von Alina Herbing