Kolumne – Am 6.6. fanden im Raum um Heiligendamm herum Sitzblockaden statt, um Zufahrtsstraßen zu blockieren. Über das Leid von Demonstranten, für politische Aktionen bestraft zu werden.

Heute, Mittwoch, der 6.6.2007, ist der Tag, an dem ich mir vorgenommen habe, aktiv gegen die Politik der G8-Staaten zu demonstrieren und mich auf den Weg zu machen, um an Sitzblockaden teilzunehmen.
Ursprünglich sollte mein Weg zum Flughafen Laage führen, aber ich bin spontan zu den Besetzungen der Zufahrtsstraßen Heiligendamms gewechselt. Der Anfahrtsweg war problematisch: Nach einer kurzen Bahnfahrt wurde gelaufen, dann per Anhalter gefahren, dann noch mehr gelaufen. Zwischendurch mehrere Gepäck- und Personenkontrollen, böse Blicke und dunkle Vorahnungen. Außerdem Polizisten, die an meiner Wasserflasche rochen und schauten, ob ich nicht vielleicht Benzin transportieren würde. Diesen Spaß gönnte ich ihnen aber nicht.
In meiner vorigen Kolumne habe ich das allgegenwärtige Prinzip der zwei Gesichter angesprochen: Das Eine, dass sich ständig der Gefahr bewusst ist und das Andere, dass vorgibt, im Recht zu sein, oder zumindest besseres Wissen leugnet und ignoriert. Die Anfahrt war exakt in diesem Sinne. Jeder Polizist, der mich oder meine Begleiter fragte, wohin wir denn gingen, bekam stets die gleiche Antwort: ?Wir gehen zur Mahnwache!?. Die Mahnwache war eine genemigte Kundgebung in der Nähe der zweiten Sicherheitszone Heiligendamms, die nur dazu diente, die Demonstranten zu sammeln. Obwohl alle genau wussten, dass diese Scheinkundgebung keinen einzigen Demonstranten binden würde, wurden wir dennoch von dutzenden Polizisten gefragt. Wir gingen Zufahrtsstraßen blockieren. Das wusste ich, das wussten die, das wusste die ganze Welt. Aber die Polizei hat gemäß ihrer Order gehandelt und alle Gefragten haben brav geantwortet.

Haben Sie schon einmal im Fernsehen Videoaufnahmen eines Demonstranten gesehen, der einen Schuss eines Wasserwerfers abgekommt und dann schnellstmöglich das Weite sucht? Haben Sie sich in diesen Momenten nicht auch immer gefragt, wo eigentlich gerade das Problem ist? Warum bleibt er nicht einfach stehen, lässt sich nassspritzen und gibt den Kamerateams und seinen Kumpels eine gute Figur ab? Heute habe ich die Antwort gefunden. Ich habe gesehen, wie ein Wasserstrahl in der Lage ist, Menschen quer durch die Felder zu schießen, wie er Bäume kahlrasiert und wie das im Wasser enthaltene Reizmittel jeden Getroffenen zu Schmerzschreien und Bewegungslosigkeit verdammt.
Es ist auch keineswegs so, dass die Sitzblockaden so harmonisch aussehen, wie es möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien dargestellt wird. Sitzblockaden sind ein Knochenjob, um den ich niemanden beneide. Und wenn die Polizisten ihre Warnung drei Mal ausgesprochen haben und beginnen, die Blockade zu räumen, dann darf man sich mehr als glücklich schätzen, wenn der Polizist seiner Aufgabe wie gelernt nachkommt und darauf verzichtet, auf den Protestanten einzuschlagen, einzutreten oder ihn anderweitig zu misshandeln. All dies war heute zu sehen, all dies mussten Menschen heute über sich ergehen lassen.
Was treibt einen Menschen dazu, sich solchen Qualen und Strapazen auszusetzen? Was treibt ihn immer wieder auf Aktionen, bei denen er für seine politische Willensverkündung gezwungen ist, ununterbrochen vor der Polizei zu flüchten und schlimmstenfalls nebst körperlicher Züchtigung eine Haftstrafe und ein hohes Bußgeld zu kassieren? Bei einigen wird sicher die Gier nach Adrenalin und Gewalt eine Rolle spielen. Zumindest den ersten Punkt kann ich bei mir bestätigen: Über ein Feld zu rennen und 100 schwarzgekleidete Polizisten hinter sich zu wissen, die einen verfolgen, während zehn Meter über einem neun Kampfhubschrauber der Bundeswehr kreisen, ist ein Gefühl, dass nicht eintritt, wenn man morgens eine neue Packung Cornflakes aufreißt.
Ein weiterer und, wie ich vermute, gewichtigerer Grund ist wohl der, dass viele Demonstranten tatsächlich einen ausgeprägten Hass gegenüber der unveränderlichen und rückschrittlichen Politik der G8-Länder entwickelt haben und nicht einsehen, dass auf ihrem Rücken eine Welt zugrunde gerichtet werden soll. Und wenn politische Missstände so massiv werden, dass selbst persönliche Misshandlungen und schwere Strapazen billigend in Kauf genommen werden, wie kann eine Regierung dann noch die Augen verschließen? Wie kann sie sich Polizei- und Medienberichte ansehen und gleichzeitig den nächsten Gipfel planen und nicht daran denken, ihre Politik wenigstens ein wenig einzulenken?
Ich glaube nicht, dass irgendeine Regierung dieser Welt in der Lage ist, über viel mehr als zehn Dekaden zu überstehen, wenn sie sich nicht hin und wieder mit Grundsatzreformen verjüngt. Die Geschichte hat dies gezeigt, die Zukunft wird es belegen. Wenn unsere Regierung nicht endlich auf die zehntausenden Demonstranten aus aller Welt reagiert und soziale, politische wie ökologische Probleme als solche begreift, wird es eines Tages unvermeidlich zu einer Umwälzung politischer und sozialer Schichten kommen. Diesen Punkt müssen wir nicht erreichen, wir haben noch Chancen. Noch ist Zeit, auf unser Land positiv einzuwirken und es zu formen, damit es nicht dem gleichen Schicksal entgegentritt, wie schon so viele Länder zuvor.
Es ist Zeit zu handeln.

Geschrieben von tw