Kolumne – Am 1.6. komme ich im Anti-G8-Camp an. Das Lager ist bestimmt durch internationale Lagerorganisation und den Versuch, die Kulturen aller Länder zu vereinigen.

Freitag, der 1. Mai 2007: Ankunft in der Stadt, die Geschichte schreiben wird; Ankunft in Rostock.
Ich steige aus dem Zug und rieche den beißenden Geruch von Gegrilltem, Schweiß und Spannung. Die typische Mischung, die jedem G8-Aktivisten Tränen der Freude in die Augen treibt, denn hier wird etwas passieren. Das merkt man sofort.
Nun stehe ich also auf dem Hauptbahnhof von Rostock und werde von den gleichen menschlichen Gelüsten geleitet, die auch alle anderen Neuankömmlinge antreibt: Wohin mit meinem Rucksack und meiner Motivation, mich in einer Gruppe zu beteiligen? Die Antwort gibt mir ein paar Meter weiter ein G8-Infostand und eine halbe Stunde später bin ich wirklich angekommen: Ich stehe im „Anti-G8-Camp“ im Herzen Rostocks und harre der Dinge, die da wohl kommen.

Wenn ein Gipfeltreffen der großen Acht schon in Deutschland tagt und Menschen aus der ganzen Welt etwas gegen die Politik dieser Leute haben, dann ist es vorauszusehen, dass sich auch Menschen aus der ganzen Welt in Deutschland einfinden, um miteinander einen Kaffee zu trinken und gegen Polizisten vorzugehen. Mehr wird vermutlich ohnehin nicht zu erwarten sein. Dementsprechend habe ich auch nicht erwartet, nur Deutsche vorzufinden. Aber da es ein Unterschied ist, etwas zu vermuten und etwas tatsächlich zu erleben, war ich schon überrascht, zu hören, wie Franzosen mit Norwegern auf Englisch Kuchenrezepten austauschen oder Belgier sich auf Französisch mit Kanadiern über Deeskalationstaktiken unterhalten. Interkulturalität ist ein Begriff, den man wohl erst in diesen Momenten am Lagerfeuer begreift und schätzen lernt.
Ein Camp, dass solche Gäste erwartet, muss natürlich gewisse Vorkehrungen treffen und so sind alle wichtigen Informationen am Eingang in sechs Sprachen verfasst, sämtliche Ankündigungen werden stets auf Englisch simultanübersetzt und im Computerzelt sind die Hälfte der Tastaturen auf Französisch. Es wird an fast alles gedacht.

Ein solches Zeltlager hat mit dieser Klientel viele Vorteile und Nachteile. Vorteile sind zweifelsohne die Bereitschaft, sich unentgeltlich für andere einzubringen und für das Camp zu arbeiten. Oder die Dynamik und Freude, die untereinander geschaffen wird, wenn Menschen aller Länder zusammen Aktionen planen. Positiv zu bemerken ist ebenfalls der Einfallsreichtum der jungen Generation, die beispielsweise mit viel Eifer eine streng vegane Gemeinschaftsküche betreibt, um einen größtmöglichen Kundenkreis ansprechen zu können. Doch es gibt auch negative Seiten, die sich stets in den Vordergrund schieben. So gibt es Arbeiten, die von einer Art sind, der kaum jemand freiwillig nachgeht. Die Ordner, zum Beispiel. Selbsternanntes Wachpersonal, dass Nachtschichten einlegt, um auf Aussichtsplatformen zu schauen, ob die Polizei Razzien plant. Oder das Leeren der portablen Toiletten. Wer meldet sich schon freiwillig zum Exkrementeschaufeln? Neuankömmlinge werden von den Ordnern in das Campleben eingeführt und bekommen erklärt, dass sie pro Tag fünf Euro bezahlen müssen. Da sie aber im gleichen Satz hinzufügen, dass diejenigen, die kein Geld haben, nicht weggeschickt würden, stellt sich die Frage, wer hier überhaupt etwas bezahlt. Und das Camp braucht Geld! Spätestens, wenn mangelnde Arbeitsmoral dazu führt, dass sich unliebsames Material durch die Toilettentüren schiebt, wird ein Pumpservice engagiert werden müssen. Und der kommt sicher nicht aus Solidarität.

Geschrieben von tw