Kolumne – Am 5.6. werden die Bewohner des Anti-G8-Camps in verschiedenen Blockadetechniken unterwiesen und bekommen juristische Tipps. Die Vorbereitung auf die morgigen Blockaden des Flughafens Laage und der Verkehrsstraßen ist im vollen Gange.

Dienstag, der 5.6.2007: Heute bin ich aufgewacht vom Lärm eines Dings, das mir schon seit drei Tagen sehr vertraut ist. Ich klettere aus dem Zelt und blicke einem Kampfhubschrauber ins Angesicht, der knapp zehn Meter über dem Camp schwebt. Diesen Anblick werde ich wohl nie vergessen. Grund für diesen Einsatz war eine geplante Aktion des schwarzen Blocks auf einen nahegelegenen Lidl-Supermarkt, der aber erfolgreich verhindert wurde. Der Block tauchte gar nicht erst auf.
Davon abgesehen gestaltete sich der Tag als sehr informativ. Heute wurden nämlich die letzten Planungen abgeschlossen, um morgen erfolgreich die Besetzung des Flughafens Laage und der Zufahrtsstraßen Heiligendamms durchzuführen. Zu diesen Planungen gehören unter anderem Kurse im erfolgreichen Blockieren, Training im Durchbrechen von Polizeiabsperrungen und Erläuterungen zu rechtlichen Fragen. Zu letzterem zählt beispielsweise die Frage: „Ist eine Taucherbrille (Schutz gegen Reizgas) eine passive Waffe, wenn ich vorhabe, mich mit Polizisten anzulegen?“ Die Antwort ist „ja“. Das habe ich nicht gewusst. Mein Schienbeinschoner und mein Schnupftuch bleiben also im Camp. Sogar meine Atemschutzmaske aus dem Baumarkt ist verboten.

Die Trainingseinheiten und Kurse beschreiben sehr eindrucksvoll eine Mentalität, die für alle politischen Aktivisten bezeichnend ist: Die Gratwanderung zwischen der gerade-noch-Legalität und der absoluten Illegalität.
Auf den Übungen lernt man, mit welchen Formationen eine polizeiliche Sperre am effektivsten zu durchbrechen ist. Aber auch, wenn auf diesem Wege die meisten der Absperrung durchdrungen werden können, sind die wenigen, die von der Polizei erwischt werden, in juristischen Schwierigkeiten. Wenn jemand eine Sitzblockade ausübt und von Polizisten in einen Sicherheitskessel getragen wird, wird er mit größter Wahrscheinlichkeit einen schriftlichen Platzverweis ausgesprochen bekommen. Begibt er sich wieder zu der Sitzblockade, darf er die Nacht in polizeilichem Gewahrsam verbringen.
Die Organisatoren versuchen, so weit es in ihrer Macht steht, den Abgrund der Illegalität präventiv mit guten Tipps und Ratschlägen zu vermeiden. Aber wie setzt man so ein Vorhaben um, wenn das ganze Konzept der Planung schon an sich scharf am Rande der Legalität schrammt?
Jeder in diesem Camp trägt das Bewusstsein in sich, dass er morgen, wenn er zum Flughafen oder zu den Straßen fährt, mit Sicherheit irgendetwas machen wird, dass ihn entweder direkt ins Krankenhaus oder in Sicherheitsverwahrung bringen kann. Und in manchen Fällen wird das Eine dem Anderen folgen. Ein seltsames Gefühl, das mich da beschleicht, während ich einem der Projektleiter weiterhin zuhöre. Es ist, als würde ich einen Funkempfänger basteln, der in der Lage ist, Polizeifunk zu empfangen. Das Besitzen dieses Gerätes ist nicht strafbar, aber sobald ich auch nur eine Sekunde zuhöre, habe ich eine Straftat begangen und muss das Gerät bei den Behörden abgeben.
Irgendwie scheint hier alles nicht richtig zu passen. Alles hier hat den Makel der Halblegalität und hier im Camp ist man sich ununterbrochen der Tatsache bewusst, dass man nur deshalb von der Polizei unbehelligt gelassen wird, weil die Polizei es so möchte.
Ich bin mir nicht sicher, wie ich empfinden soll. Der morgige Tag ist mehr als ungewiss, auch wenn ich nicht vorhabe, mich der Polizei in den Weg zu stellen. Morgen ist einer der Tage, an dem alles passieren kann. Und all die Plena und Übungen von heute haben mir diesen Gedanken erst bewusst gemacht…

Geschrieben von tw