Säuberungen der russischen Kultur und kein Ende? Die Anfänge der ersten nicht-autorisierten Eingriffe in die Kultur Russlands beschreibt Michael Ryklin als Chronist, indem er von einem Prozess gegen die Veranstalter und Künstler der Ausstellung „Achtung Religion!“ berichtet. Schnell kann aus Russland wieder ein Polizeistaat werden, dies belegt er in seinem aktuellen Buch „Mit dem Recht des Stärkeren“.

Am 14. Januar 2003 kam es im Moskauer Sacharow-Zentrum zu vandalistischen Ausschreitungen militanter Anhänger der orthodoxen Kirche. Sie verwüsteten die Kunstausstellung „Achtung, Religion!“, deren zeitgenössische Exponate spielerisch-kritisch mit religiösen Symbolen umgingen. Doch nicht die Täter sahen sich öffentlicher und juristischer Verfolgung ausgesetzt, sondern die Organisatoren und Künstler mussten sich vor Gericht verantworten. In einem Aufsehen erregenden Strafprozess warf man ihnen „Beleidigung der religiösen Gefühle des russischen Volkes“ vor und drohte mit Lagerhaft.  
Michail Ryklin, Professor am Institut für Philosophie der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, berichtet, wie dessen Frau Anna Altschuk als Künstlerin angeklagt wurde und zeigt auf diesem Weg gegenwärtige politische Tendenzen im Umgang mit der Meinungs- und Kunstfreiheit im Russland dieser Tage auf. Neben der aus seiner Sicht an Sowjetzeiten erinnernden Ächtung zeitgenössischer Kunst, antisemitischen Pöbeleien und einer erstarkenden Zusammenarbeit von russisch-orthodoxer Kirche und Geheimdienst beobachtet Ryklin russische Xenophobie, fehlende Zivilcourage, zunehmende Angst und zynische Passivität im System Putin.
Das groteske Verfahren gegen die Künstler verdeutlicht auf emphatische Art und Weise, wie Chauvinismus und Nationalismus in Russland allmählich die Oberhand gewinnen.
Zu Recht erhielt Ryklins beunruhigender Essay den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2007.

Ryklin, Michail: Mit dem Recht des Stärkeren. Die russische Kultur in Zeiten der „gelenkten Demokratie“. Suhrkamp. 239 Seiten.10,00€

Geschrieben von Ina Kubbe