Woher kommen die Fichten der Universität?

Es ist früh am Morgen. Der Nebel hängt zwischen den Wipfeln der Bäume, die Sonne bahnt sich mit ihren Strahlen den Weg. Fünf Männer stehen auf einer kleinen Lichtung und binden Tannenzweige, die sie gerade geschnitten haben, zusammen. „Hier brauchen wir 15 Sträuße und eine Küstentanne.“

Manfred Küppers blickt von seiner Liste auf und zählt die Bündel, die vor ihm auf dem Boden liegen. Nun fehlt nur noch die Tanne, wie der Uni-Förster für das Revier Eldena schnell feststellt.
Er steht an diesem Morgen in seinem Revier in der Nähe von Friedrichshagen. Vor ihm breitet sich auf einer Fläche von einem Hektar eine Fichtenkultur aus. Heute soll es einigen von ihnen an den Stamm gehen, denn Weihnachten steht vor der Tür und viele der Uni-Institute haben einen Baum für ihre Eingangshalle, das Sekretariat oder die Bibliothek bestellt. Insgesamt elf Bäume und 85 Schmuckgrünsträuße finden sich auf Küppers’ Liste.
Gemeinsam mit Sebastian Erkel, der Manfred Küppers im kommenden Jahr als Revierförster nachfolgen soll, verschwindet er zwischen den Fichten. Sie suchen einen Baum für die HNO-Klinik. „Der ist unten zu offen und der hat eine doppelte Spitze.“ Die Auswahl fällt nicht leicht. Die Bäume sollten in den Einrichtungen der Universität doch etwas hermachen. Schließlich sind aber doch zwei passende Bäume gefunden. „Sie einen, ich einen“, sagt Küppers zu seinem Begleiter und schon röhrt die Motorsäge. Innerhalb weniger Sekunden ist der schmale Stamm getrennt und ein kapitaler Baum von vier Metern Größe liegt im taubenetzten Gras. „Zieht den mal zum Weg rüber“, ruft Küppers den Waldarbeitern zu, die die Förster unterstützen. Sie kommen alle aus der Region. Manchmal wechselt Küppers deshalb auch ins Plattdeutsche.
„Jetzt brauche wir noch zwo Dreimeter“, sagt der Förster und verschwindet wieder zwischen den Bäumen. Plötzlich ist von irgendwo zwischen den Zweigen „No No Never“ von Texas Lightning zu hören. Wieder einmal klingelt das Handy des Revierleiters. Eine verspätete Baumbestellung aus dem Klinikum geht ein. „Kein Problem, das schaffen wir“, sagt Küppers und legt auf. „BeimWeihnachtsbaum ist es so: Je länger sie gucken, desto schwieriger wird’s“, verrät er sein Auswahlgeheimnis. Auf diese Weise werden in diesem Jahr zweihundert bis vierhundert Bäume fallen, die in den Instituten der Universität, den Greifswalder Stadtkirchen und den Wohnzimmern von Uni-Mitarbeitern wieder gefunden werden können. Die größten stehen im Uniklinikum. So verwundert es kaum, dass Weihnachtsbäume bei Förstern den Status einer „Sonderkultur“ haben. Schließlich wachsen sie nicht wie die meisten anderen Bäume 80, sondern nur zehn Jahre, ehe sie den Weg ins Wohnzimmer antreten.
Ortswechsel: In der Eingangshalle der HNO-Klinik, Walther-Rathenau-Straße schmückt eine matte Lichterkette die stramme Fichte, die sich im Treppenaufgang an die Wand schmiegt. Schwestern in weißer Arbeitskluft laufen vorbei, ein Patient mit bandagierter Nase liest in der Sitzecke Zeitung. Der Baum scheint sie nicht richtig zu interessieren. Doch das wird sich sicher noch ändern, denn Weihnachten naht mit großen Schritten.

Geschrieben von Kai Doering