Kazuo Ishiguro schrieb einen Roman über das Klonen. ?Alles, was wir geben mussten? – war Zeit, Geduld und viel Koffein zum Wachbleiben, damit das Buch bald ein Ende hatte.

Wenn man den Namen des Autors liest, Kazuo Ishiguro, assoziiert man ihn unweigerlich mit anderen japanischen Schriftstellern wie Haruki Murakami oder Banana Yoshimoto. Automatisch bauen sich Erwartungen auf, denn die letztgenannten sind bekannt für ihre mystischen Geschichten, verfasst in poetisch-lyrischer und doch schnörkelloser Sprache. Um den ungefähren Inhalt der Geschichte zu erfahren, liest man also folgenden Rückendeckeltext: ?Auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches englisches Internat zu sein. Doch die Jungen und Mädchen, die dort wohnen, sind für eine ganz besondere Zukunft ausersehen…?

Klingt spannend, denkt man sich, und malt sich in Gedanken sofort einige Bilder aus, die diese Zukunft sichtbar machen, verwickelt in unglaubliche Ereignisse und Zwischenfälle.

Ziemlich schnell wird allerdings klar, worum es geht: Das gute, alte Klonen. Was passiert, wenn Menschen nur noch zu Organspendern herangezüchtet werden, ihr Leben nur aus diesem einzigen und keinem anderen Grund in einer Kommune Gleichgesinnter fristen – um also nach dem Verlassen des Internates auf den Brief warten, der sie zum Spenden aufruft? Und haben diese Menschen eine Seele? Warum können sie keine Nachkommen zeugen? Können sie ihrem Schicksal entkommen?

Leider übergeht der Autor viele dieser Fragen, indem er langweilige Geschichten konstruiert, die sich im Internat und später in der Kommune ereignen. Die Ich-Erzählerin Kathy vermittelt wenig Sympathie für sich selbst, ja vielmehr erzeugt sie bisweilen eine gewisse Aversion, die den Leser am liebsten einige Seiten weiter blättern ließe. Dies geschieht vor allem durch ihre ständigen, nicht sehr subtilen Anspielungen wie ?Da komme ich aber gleich noch drauf zu sprechen.? oder ?Ich werde dies später näher erläutern.? Bei diesen Sätzen kommen dem Rezipienten die Grundvoraussetzungen für gute Rhetorik in den Sinn, welche besagen, man solle derartiges unter allen Umständen vermeiden.

Auch die Konstruktion der einzelnen Figuren ist unzureichend, da sie sehr ambivalent auftreten und man zuweilen denkt: ? Dieses Verhalten passt nicht zum Charakter.? Verändert sich eine der Figuren in ihrer Haltung oder Einstellung, wird dies auch nicht näher beschrieben. Man muss es eben hinnehmen.

Das Thema, welches der mit sechs Jahren nach England gekommene Japaner Kazuo Ishiguro aufgreift, ist zweifellos ein wichtiges. Die Wissenschaft stagniert schließlich nicht, sondern entwickelt sich in rasantem Tempo weiter, wobei die ethischen Fragen nach wie vor eine übergeordnete Rolle spielen (müssen). Wie weit kann man gehen? Wann dient Forschung nicht mehr dem Zweck der Gesellschaft sondern dem Einzelnen? Wie können durch Klonen Krankheiten geheilt werden, ohne dass jemand geschädigt oder verletzt wird?

Diese und andere Fragen wollte der Autor sicher mit seinem Roman ?Alles, was wir geben mussten? aufwerfen. Jedoch streift er nur die Oberfläche dieses überaus komplexen Themas und entwirft eine unlogische Geschichte, die zu wenig Details enthält. Wie konnte es soweit kommen, dass Menschen geklont werden können? Warum können sie keine Kinder bekommen? Weshalb schaltet sich die Öffentlichkeit nicht ein? Bringt das Spenden Erfolge? Aus welchem Grund leben im Internat Jungen und Mädchen zusammen, die sich ineinander verlieben? Nur, weil es ihr Leben bis zur Spende erträglicher macht?

Ergo: Ein mittelprächtiges Buch über ein in den Hintergrund getretenes Problem, das sich allenfalls als Urlaubslektüre eignet.

Geschrieben von Anne Hennies