Die 40. Internationalen Filmfestspiele in Hof

In der ZEIT hieß es, die Hofer Filmtage seien ein Stammesritual des deutschen Films. Traditionsreich, nostalgisch und exzessiv. Wim Wenders habe im Namen der Stadt einst die Abkürzung von „Home of Films“ erkannt. Weil hier jedes Jahr viel versprechende Abschlussarbeiten der Filmhochschulen gespielt werden, ließe sich auf diesem Festival angeblich das Stimmungsbild des deutschen Kinos einfangen.

Wenn die Sache mit dem Stimmungsbild wahr ist, dann wird der deutsche Film gerade von einem Haufen pessimistischer Jungregisseure überrannt. Kapitalismuskritik und menschliche Dramen in Kurz- und Langfilmen. Denn die werden zusammen hier gezeigt, ein langer Film folgt einem kurzen. Und die Kurzfilme stechen die Langfilme regelmäßig aus. Die beiden Hits fallen in die Sparte Kapitalismuskritik: „Fairtrade“ und „Die unsichtbare Hand“. Zwei Kurzfilme, die einen nachhaltig nachdenklich im Kino zurück lassen.
„Fairtrade“ handelt vom Handel zwischen dem Dritte-Welt-Land Marokko und dem reichen Westeuropa. Die marokkanische Seite tauscht dabei Kinder im Säuglingsalter gegen Euro-Devisen. Leider scheitert der Transport an der plötzlich auftauchenden spanischen Küstenwache, die „Beweise“ müssen über Bord, die deutsche Kundin wird sich wohl einen neues Kleinkind aussuchen müssen.
Etwas weniger drastisch, aber dafür mit Thorsten Merten (der Radiomoderator aus „Halbe Treppe“) und Fritz Roth (der dümmliche Assistent aus „Muxmäuschenstill“) grandios besetzt, ist „Die unsichtbare Hand“. Der Name ist eine Anspielung auf den schottischen Ökonom Adam Smith, der die Koordination chaotischer Wirtschaftssubjekte mit der unsichtbaren Hand des Marktes erklärte. Im Film sieht man viel der trostlosen brandenburger Provinz und ein Auto mit „Testkäufern“. Das vierköpfige Team führt Verkaufspersonal in Versuchung, sich auf Kosten der jeweiligen Arbeitgeber zu bereichern. Als tatsächlich eine Verkäuferin ins Netz geht, stellt sich heraus, dass es für die veruntreuende Verkäuferin und die Testkäufer einen viel vorteilhafteren Deal als die Anzeige beim Arbeitgeber gibt…
Herausragende Spielfilme in der Klasse menschliche Dramen sind: „Die österreichische Methode“, „Verfolgt“ und „Auftauchen“. „Die österreichische Methode“ fällt auf, da es sich um einen Episodenfilm handelt. Fünf Geschichten werden parallel von fünf Regisseuren erzählt, alle ereignen sich in 24 Stunden und in jeder Geschichte schwingt Verzweiflung, Wahnsinn und Selbsttötung mit. Die schönsten Bilder sind lange, ruhige Einstellungen der urbanen Industrielandschaft in Nordrhein-Westfalen. Zerbrechliche Menschen, umgeben von Beton und Plastikbergen, die Fortschritt verheißen. „Verfolgt“ ist auf seine Art und Weise radikal. Im Film wird eine langsam aufkeimende und abrupt scheiternde sado-maso-erotische Beziehung zwischen einem jugendlichen Straftäter und seiner Bewährungshelferin dargestellt. Der Film ist in schwarz-weiß, was die verregnete Kulisse Hamburgs noch grauer erscheinen lässt. „Auftauchen“ schließlich ist ein sehr energetischer Film. Wieder steht das Scheitern einer Liebesbeziehung im Vordergrund. Auf der einen Seite die exzessive, kompromisslose und etwas burschikose Kunststudentin Nadja. Auf der anderen Seite der noch taumelnde Zivi Darius. Am Anfang stürmische Extase, am Ende Abgründe und dazwischen jede Menge Sex in langen Bildern. Die Alltäglichkeit der Beziehung und die Spuren ihrer Auflösung werden dabei so genau festgehalten, dass es oft schmerzhaft ist. Nach solchen Filmen stellt man sich die Frage, warum Menschen überhaupt noch Beziehungen führen.
Zum Glück hat das Festival aber einen thematischen Schwerpunkt, mit dem man sich von all dem Elend in der Welt ablenken kann. In diesem Jahr heißt er „40 Jahre Hof – eine Retrospektive“. Zu sehen sind Filme, mit denen deutschen Regisseuren in Hof der Durchbruch gelang, beispielsweise „Jeder für sich und Gott gegen alle“ von Werner Herzog, „Nach fünf im Urwald“ von Hans-Christian Schmid und „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“ von Christoph Schlingensief. Bei dieser Vorstellung zeigt sich, dass seine Filme noch deutlich abgefuckter sind als seine Theaterproduktionen. Ein Heidenspaß und eine Hölle aus Ketchupblut. Noch spaßiger allerdings waren Einführung und Abschlussdebatte mit Herrn Schlingensief. Selbstsicher, unterhaltsam und informativ wurde das bierselige Publikum der Mitternachtsvorstellung gleichermaßen über die kunsttheoretischen Implikationen des Kaprow-Effektes und die abstruse Filmförderungspraxis der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgeklärt.
Auch sonst stecken die Hofer Filmtage voller witziger Features. Hof ist weder ein besonders großes noch ein besonders beeindruckendes Städtchen. Beschaulich ist wohl eine treffende Bezeichnung. Deswegen wirken sie irgendwie deplaziert, die eher urbanen Festivalgäste mit ihren Cordsakkos, Wollschals und Nickelbrillen. Sie wollen sich nicht recht einfügen in die brave bayerische Provinzbevölkerung. Und doch gibt es einen wichtigen Berührungspunkt beider Gruppen: die besondere Affinität zu Bier und Wurst.
Im Schaufenster einer lokalen Fleischerei hängen lange Wurstketten in stiller Eintracht neben gerahmten Bildern von Tom Tykwer und Christian Petzold aus längst vergangener Zeit. Und vor der wichtigeren der beiden Spielstätten – die Stadt verfügt nur über zwei Kinos – steht die mobile Grillstation der „Metzgerei Schimmel“. Hier bilden sich zwischen den einzelnen Vorstellungen gigantische Schlangen, um fränkische Bratwürste zu erhaschen.
Oder die Frisur des Festivalchefs Heinz Badewitz. Obwohl man annehmen muss, dass dieser die 60 bereits hinter sich gelassen hat, trägt er immer noch eine Beatnik-Frisur, als ob sich seit den Anfängen des Festivals 1966 nichts verändert hätte.
Ein schönes Festival. Und das einzige Festival – das muss zum Schluss noch gesagt werden – wo man sich einen Fußballfilm angucken kann, ohne vom Brechreiz überfallen zu werden. Allerdings keinen deutschen. Und auch keinen „richtigen“ Fußballfilm. Es geht zwar schon um die WM 2006 in Deutschland, irgendwie, aber in so einer Art Paralleluniversum. Und in diesem besseren Universum zockt Norwegen die Deutschen im Endspiel 2:1 ab. Und das haben die Norweger eigentlich sechs sympathischen Trunkenbolden aus einer Autowerkstatt in einem Vorort von Oslo zu verdanken. Schlussempfehlung für die Freunde des skandinavischen Humors: „Lange Flate Ballær“.

Der Bierkasten:
Als gesunde bayerische Mittelstadt verfügt Hof selbstverständlich über einige Brauereien. Obwohl es schwer ist, vergleichbare Bedingungen zu schaffen – das dritte Bier schmeckt nun mal besser als das erste – ist hoffentlich eine faire Wertung gelungen:
Ahornberger Landbier: eher malzig als herb-frisch; dadurch aber süffig und trotz der leichten Süße schön im Abgang. Wird in bauchigen 0,5 Liter-Plop-Verschluß-Flaschen verkauft, was schön aussieht und im Kino zu lustigen Soundeffekten führt.
Scherdel Pils: ein solides Pils, aber nicht ganz so herb wie vergleichbare norddeutsche Produkte. Haben ein Hofer Filmtage Festbier in einer hippen, leicht bläulichen 0,3 l-Flasche aufgelegt, was mir als eher konservativem Biertrinker übel aufstößt.
Falter Pils: das bisher herbste der Lokalbiere. Geht trotzdem gut runter. Ich würde qualitativ sogar den Vergleich mit Flens nicht scheuen. Lecker. Flaschen-Design mit schön viel Understatement – oder die Brauerei hat daran wirklich seit 50 Jahren nichts geändert, man weiß es nicht so genau…
Zelt Pils: Ein Bier zum runterlaufen lassen und angenehm bierselig werden. Da gibt es wirklich nichts mehr zu sagen. Ein Highlight bayerischer Braukunst.

Geschrieben von Philip Rusche