Die St. Petersburg-Reportage im moritz – Teil 3

St. Petersburg im Juni: Regen, Regen, Regen, Sonne und wieder Regen.
Das habe ich mir etwas anders vorgestellt – wo sind die warmen und sonnigen Tage geblieben, an denen ich in Sommerklamotten den Newski Prospekt entlang schlendern konnte?

Zwar haben die  Weißen Nächte begonnen, nur leider ist es teilweise so kalt, dass der Genuss dieses Naturphänomens in einem Straßencafe keine besondere Freude ist, sondern immer nur von drinnen aus zu beobachten ist.  Aber die Wetterprognosen geben Hoffnung. Schliesslich moechte ich noch in der Newa schwimmen gehen. Nein, zum Baden ist dieser dreckige Fluss, der nicht nur durch St. Petersburg fliesst, nun gar nicht geeignet.  
Faszinierend ist es schon, wenn es in der Fünf-Millionen-Metropole im Norden Russlands nachts nicht mehr richtig dunkel wird. Wobei die Stadt durch das Lichtermeer auch im Winter kaum zu übersehen ist.
Zwei Sommermonate lang befindet sich St. Petersburg in einer Art Ausnahmezustand. Wegen der Lage der Stadt am hohen Breitengrad ist in dieser Zeit keine vollkommene Dunkelheit möglich, so dass der Himmel in der Nacht rotgolden leuchtet. Das lockt nicht nur die Touristen in die Stadt, sondern auch die Einheimischen auf die Straße, denn 20 Stunden Licht am Tag erheitern das Gemüt der Russen. Gott sei Dank, denn den St. Petersburgern ist der harte Winter noch immer anzumerken. Das spüre ich jedenfalls täglich, wenn ich mit der Metro zur Uni fahre. So viele graue und müde Gesichter. Und allgemein habe ich so viele Obdachlose oder benachteiligte Menschen zuvor in keiner Stadt gesehen. Das Leben in St. Petersburg geht an niemanden spurlos vorbei. Anfangs wollte ich dies nicht glauben, aber jetzt merke ich es selbst: St. Petersburg kann ziemlich anstrengend sein.
Mein kleiner Wochenendtrip nach Helsinki, den ich vor kurzem unternommen habe, hat mir die Intensität des Lebens in Petersburg noch einmal extrem vor Augen geführt. Frische Luft, Ruhe, entspannte Finnen und eine saubere Dusche und Toilette haben bei mir Eindruck hinterlassen. Erst dort wurde mir bewusst, in was für einem facettenreichen und diskrepanten Land ich die letzten vier Monate gelebt habe. Dennoch freute ich mich während der Rückfahrt aus Finnland auf Russland, auf mein kleines Zimmer im Wohnheim und die netten Mitbewohner und ich meine nicht nur auf die Kakerlaken in der Küche.
Ich bin wohl doch schon ein wenig zu Hause in Russland, wenn auch nur vorübergehend.
Und da St. Petersburg stets und ständig Ablenkung bietet, hat Heimweh glücklicherweise kaum Platz. So vieles gibt es noch zu entdecken und kennen zu lernen.
Im letzten Monat stand unter anderem das bekannte Ballett Schwanensee und das Konzert des Buena Vista Social Clubs auf dem Programm. Die faszinierende Ballettkunst, die Musik Tschaikowskis und die verrueckten Touristen, die wie wild während der Aufführung fotografierten, haben Schwanensee als berühmtesten aller Ballettklassiker für mich wirklich unvergesslich gemacht.
Ungewohnt war es, beim Konzert der mehrfach ausgezeichneten Kubanischen Band bei karibischen, sommerlichen Klängen mit dem Po auf dem Stuhl zu bleiben und einfach nur der Musik zu lauschen, denn es herrschte „Sitzpflicht“. Dennoch ist es ihnen gelungen, heisse Rhythmen ins kühle Russland zu bringen und uns mit einem strahlenden Gesicht wieder nach Hause zu verabschieden.
In der nächsten Zeit geht es gemeinsam mit den Mädels aus Österreich für einen kleinen Ausflug in die Hauptstadt Russlands: Moskau als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes mit dem Kreml und dem Roten Platz im Stadtkern, der Lomonossow-Universität, Hochschulen und Fachschulen sowie zahlreichen Kirchen, Theatern, Museen, Galerien und dem 540m hohen  Fernsehturm können wir uns einfach nicht entgehen lassen. Mit neun Kopfbahnhöfen, vier internationalen Flughäfen und drei Binnenhäfen ist die Stadt wichtigster Verkehrsknoten und größte Industriestadt Russlands.
Die Hin- und Rückfahrt mit dem Zug für ungefähr 30 Euro und ein Aufenthalt in einer Jugendherberge für etwa 20 Euro pro Nacht schaden nicht unbedingt dem Geldbeutel und bieten uns weiterhin die Möglichkeit St. Petersburg und Moskau miteinander zu vergleichen. Der Dualismus St. Petersburg-Moskau prägt die russische Geschichte schon über mehrere Jahrhunderte hinweg. Während sich Petersburg schon immer „europäischer als Europa“ gab, war Moskau schon immer „russischer als Russland“.
Wir werden den direkten Vergleich für einige Tage haben.
Ich bin gespannt auf die naechsten Wochen in Russland, werde mich von Moskau überzeugen und im nächsten moritz von meinen Erlebnissen in der grössten Stadt Russlands berichten.   

Geschrieben von ina Kubbe