Die Greifswalder Protestgruppe wird aktiv

Am 16. November ging es in Greifswald das erste Mal seit langem wieder heiß her.

Schon die Senatssitzung im Krupp-Kolleg hatte es in sich gehabt. Der angereiste Rektor der Uni Rostock, Hans Jürgen Wendel, versicherte in seiner eröffnenden Ansprache Einigkeit mit Greifswald in der Ablehnung einer „Abschaffung der Bildungspolitik“ durch Schwerin.
Rektor Wendel warf Bildungsminister Metelmann vor, eine rigorose Kürzungs-politik unter dem Deckmantel der Refor-mation der Hochschullandschaft durchzuführen. Die einzig mögliche Reaktion darauf sei das Schmieden von Allianzen im Bereich des Möglichen. Genau das scheint aber jenen nicht zu reichen, die wenig später für Unmutsäußerungen im Senat sorgen sollten.
Zuerst sollte im Senat aber noch einiges diskutiert werden. Es wurde darüber gesprochen, dass Prognosen über die Entwicklung der Studentenzahlen von der Landesregierung anscheinend völlig ignoriert werden. Darüber, dass überhaupt nicht ersichtlich sei, wer in Schwerin nun wirklich Macht in der Bildungspolitik ausübe. Dass gar eine Vermischung von Exekutiv- und Legislativorganen zu erkennen sei. Und die Planungen zu Schließungen und Zusammenlegungen von Instituten in Rostock und Greifswald wurden einhellig und gereizt verdammt.
Die Probleme sind also auch dem Senat bekannt. Aber was für Lösungsansätze sieht dieser dafür? Viel kam da nicht zu Tage, nur die schon genannten Allianzen im Bereich des Möglichen und ein Grundtenor der vagen Hoffnung auf anders denkende Entscheidungsträger im Laufe der Zeit.
Zeit wird der Kürzungsprozess wohl noch reichlich in Anspruch nehmen. Aber ist die Hoffnung auf andersdenkende Politiker berechtigt? Vor allem: Darf es uns reichen, uns in dieser Hoffnung mehr oder weniger mit der Situation abzufinden?

Protestgruppe besetzt Rektorat

Ein lautes „Nein!“ schienen 20 Stu-denten in den Saal transportieren zu wollen, als sie um 15.30 Uhr das Rektorat Rainer Westermanns besetzten. Die Reaktionen auf diese Meldung im Senat ließen vermuten, dass man sich emotional schon von den direkten Anliegen der Studenten abgegrenzt hat: Abstempelndes Kopfschütteln, mitleidiges Lächeln, spröde Entrüstung.
Jedenfalls verließen die Prorektoren Classen und Festge alsdann den Saal, um mit den Besetzern zu verhandeln. Die rege Telefoniererei, die daraufhin vor den Türen des Saales einsetzte, ließ den Rest der Sitzung zum Begleitprogramm verkommen. Rektor Westermann meinte gegenüber dem moritz auf dem Flur des Krupp Kollegs, er halte die Aktion „der Sache der Besetzer nicht dienlich“.
Diese waren da natürlich anderer Ansicht. Im organisierten Chaos, das das Rektorat beherrschte, bezeichnete Torsten Heil, eigentlich hochschulpolitischer Referent des AStA, die Motivation der Besetzer so: „Vielleicht müssen wir etwas rebellischer werden, um in der Hochschuldiskussion überhaupt noch wahrgenommen zu werden.“ Teile des AStA sympathisieren offen mit den Besetzern.
Den letzten Anstoß zur Rektoratsbesetzung hatten die Position und die Politik Rektor Westermanns gegeben. Nach Meinung der Besetzer, unter denen auch einige StuPa-Mitglieder waren, vertrete dieser schon lange nicht mehr die Position der Studierendenschaft und mehrer Fakultäten. Dann habe er auch noch Beschlüsse über den Senat hinweg durchgesetzt und im Vorfeld der Besetzung diverse Male ausdrücklich jeden Dialog mit Protestgruppe und AStA abgelehnt.
Die Protestgruppe erreichte durch gute Organisation der Besetzung jedoch alle ihre Ziele. Das Sit-in konnte die Nacht über fortgesetzt werden, was dem Symbolwert zugute kam. Offiziell ist die Besetzung nur ausgesetzt, soll also als Druckmittel drohend im Hintergrund bestehen bleiben.
Das Wichtigste jedoch ist das entstandene Nachspiel. Rektor Westermann erklärte sich dazu bereit, mit der Protestgruppe umfangreiche Gespräche zu führen, was auch durch die Angst vor einer erneuten Besetzung begünstigt worden sein mag. In diesen soll es nicht um die Verschiebung von Stellenstreichungen innerhalb der Universität gehen. Vielmehr wollen die Verhandelnden einen Diskurs über die grundsätzliche Ausrichtung der Universität führen. Ergebnisse gab es noch keine.

Vollversammlung nicht beschlussfähig

Auf der abendlichen Vollversammlung fanden sich rund 510 Studenten ein. Man war deshalb zwar nicht beschlussfähig, hat aber trotzdem abgestimmt. Die Stimmung war, wie von den wenigen interessierten Studenten zu erwarten, begründet antischwerinerisch. Dass aber der größte Feind, wenn man ihn denn so nennen will, nicht im Rektorat sitzt, musste Simon Sieweke erst noch einmal anmahnen. Sonst wäre es wohl keinem wirklich aufgefallen, geschweige denn aufgestoßen, dass der entsprechende Antrag der Rektoratsbesetzer sich zuerst einzig gegen den Rektor wendete. Anschließend zog man vor die Fenster des Rektorats, um sich an der Situation zu erfreuen und alsbald wieder nach Hause zu gehen.
Am ersten Verhandlungsfreitag der Nachgespräche kam es zu einem regen Gedankenaustausch, der bald die Notwendigkeit weiterer Diskussionen deutlich werden ließ. Der zweite Freitag, an dem verhandelt wurde, brachte auch nicht viel Neues. Rektor Westermann hatte nur eine Stunde lang Zeit und man vertagte sich.
Doch scheinen die interessanten Teile der Debatten noch anzustehen. Rektor Westermann muss sich laut Benjamin Schöler, Mitglied der Protestgruppe, in Zukunft auf gezielte Rückfragen einstellen. Das wird ihn wahrscheinlich aus der Reserve locken, hat er doch in den letzten Debatten schon arg emotional reagiert. So soll er den Geographie-Professore Helmut Klüter wegen seiner aktiven Beteiligung an der öffentlich Debatte als den „größten Scharlatan unter der Sonne“ bezeichnet haben.
Den Umbau der Universität hätte der Plan des Rektors laut Benjamin Schöler sowieso vorgesehen – auch ohne Kürzungsdruck aus Schwerin.
Mittelfristig verspricht sich die Protestgruppe von den Gesprächen nicht nur einen konstruktiven und grundsätzlichen Dialog. Im Idealfall sollen sich auch eine oder mehrere große öffentliche Podiumsdiskussionen ergeben.

Geschrieben von Stephan Kosa