Über ein gewandeltes Universitätsbild und neue Anforderungen

Es glich einer Revolution, als Wilhelm von Humboldt, der ältere Bruder des bekannten Entdeckers Alexander, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sein neues Universitätskonzept vorstellte. Das Herzstück stellte die „Einheit von Forschung und Lehre“ dar, die noch heute, zwei Jahrhunderte später, herangezogen wird, wenn es um die „universitas“ geht. Doch wie ist Humboldts Konzept zu verstehen und ist es überhaupt noch zeitgemäß?

„Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften und Künste durch Forschung, Lehre und Studium sowie Weiterbildung“, legt Paragraf drei des Landeshochschulgesetztes Mecklenburg-Vorpommern die Aufgaben der Universitäten und Fachhochschulen im Land fest. Ähnliche Formulierungen lassen sich auch in allen 15 anderen Bundesländern finden. Die Umsetzung Humboldts ist hier also Programm – oder sollte es zumindest sein.
Doch wie konnte Wilhelm von Humboldt auf eine Idee kommen, die heute anscheinend gang und gäbe ist? Zu seiner Zeit waren Universitäten in erster Linie Lehranstalten, die die „studiosi“ auf ein sittsames Leben vorbereiten sollten. Die Verwirklichung einer Einheit von Forschung und Lehre lief also darauf hinaus, die Forschung in die Universitäten hereinzuholen – ohne dabei die Lehre hinauszudrängen. Vor Humboldt waren beide Bereiche strikt voneinander getrennt worden. Das neue Konzept forderte somit einen völligen Verzicht auf Differenzierung: Beide Aufgaben sollten im selben Handeln vollzogen werden.
Zunächst wurde diese Idee auch begeistert aufgenommen und spielte bei einigen Universitätsgründungen (nicht zuletzt bei der später nach Humboldt benannten Berliner Universität) eine entscheidende Rolle. Doch spätestens in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde Humboldts Konzept zunehmend skeptisch diskutiert. Mittlerweile überwiegt vielleicht sogar schon eine ablehnende Haltung. Die Idee fordere heutzutage ein Ding der Unmöglichkeit meinen viele, denn die Anforderungen an gute Forschung auf der einen und gute Lehre auf der anderen Seite liefen mittlerweile so auseinander, dass eine Einheit, die beiden Aufgaben gerecht wird, nicht mehr zu verwirklichen sei.
Ganz falsch liegen die Kritiker damit sicher nicht. Doch muss hier beachtet werden, wo die Gründe für eine Diskrepanz liegen, die keinesfalls ein Selbstläufer ist. Zu Humboldts Zeiten sah das Hochschulsystem noch vollkommen anders aus, als zu Beginn des 21. Jahrhunderts und selbst als in den Fünfzigerjahren. Zu dieser Zeit studierten etwa fünf Prozent eines Jahrgangs an Universitäten, heute sind es 37 Prozent – Tendenz steigend. In der „Wissensgesellschaft“, die immer höhere Anforderungen an den Einzelnen stellt und immer mehr Qualifikationen verlangt, hat sich die Hochschule von einem relativ geschlossenen System der Elitenbildung zur Massenuniversität entwickelt. Dies ist nicht negativ – ganz im Gegenteil. Die scheidende Bundesregierung hat mit unterschiedlichem Erfolg in sieben Jahren einiges getan, um die Zahlen der Studierenden und besonders der Absolventen zu steigern, was auch von der OECD in ihrem jüngsten Bericht begrüßt wurde. So steigerten sich zwar die Studentenzahlen, die finanziellen und personellen Ressourcen der Hochschulen wurden jedoch nicht angepasst, sondern blieben unverändert oder wurden sogar zurückgefahren. Nach dem Hochschulausbau in den Sechziger- und Siebzigerjahren tat sich nicht mehr viel, abgesehen von den Entwicklungen an ostdeutschen Unis in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Doch auch hier ist die Entwicklung inzwischen negativ.
Mit der Kürzung von Mitteln ging eine Umstrukturierung der Hochschulbildung einher, die sich besonders in der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, wie sie auf der EU-Konferenz von Bologna beschlossen wurde, zeigt. Durch ein „verschultes“ System hat die Lehrbelastung weiter zugenommen, was eine sinkende Qualität der Lehre zu Folge hat. Zudem hat sich der Schwerpunkt der unversitären Bildung hin zur Ausbildung verschoben. Die berufliche Qualifizierung steht mehr und mehr im Vordergrund.
Und wie steht es mit der Forschung? Wer mehr lehrt, kann weniger forschen, könnte die Beschreibung lauten. Zwar kann auch dies nicht verallgemeinert werden, doch ist die Situation so oder so verfahren. Nur eine Neusetzung der Prioritäten kann hier helfen. Universitäten wie Bildungspolitiker sollten sich endlich bewusst machen, was sie wollen. Allen Anforderungen wird man nicht gerecht werden können. Würde Wilhelm von Humboldt noch leben, wüsste er sicher, was zu tun wäre.

Geschrieben von Kai Doering