Stellt Euch vor: Einer von euren Kommilitonen, mit dem Ihr täglich gesprochen, gefetet und gestritten habt, ist plötzlich verschwunden – heute ist das eher unspektakulär, denn unsere Welt ist groß und frei. In den 50er Jahren des Sozialismus der DDR war das anders und Liberalität gefährlich.

Arno Esch, ein 23-jähriger Rostocker Jurastudent wurde 1951 in einem Moskauer Gefängnis erschossen. Mit Arno Esch wurden fünf andere Liberaldemokraten in die Sowjetunion verschleppt und umgebracht. Acht weitere „Mitverschwörer“ erhielten lange Haftstrafen in den Gulags der UdSSR.
Was aber war damals los, und wer war Arno Esch? Ein junger Mann, im Jahr 1928 im damals litauisch verwalteten Memelland geboren, flüchtete er 1944 vor dem Krieg, der ihn dann 16-jährig als Marinehelfer zwangsweise einholte und seinen Pazifismus prägen sollte. Recht und Gerechtigkeit waren in der Nachkriegszeit der Sowjetzone ein geheucheltes Thema. Esch wollte mit einem Jurastudium an der Universität Rostock nicht nur Gewissheiten und Handhabungsformen, sondern Handlungsgewissheit.
Neben seinem Staatsexamen und seiner entstehenden Habilitation findet politische Arbeit statt. Die ist geprägt durch seine Erfahrung des Krieges und die Analyse der Zeit davor und jetzt. Esch weiß, dass nach dem Lärm der Bomben, ein Wiederaufbau mehr sein muss als Stein auf Stein – er denkt diesen Wiederaufbau grundlegend politisch und zu offenherzig. Auf keiner Veranstaltung und Kundgebung fehlt er. Er weiß, Strukturen müssen gebildet, gefestigt und liberale Werte mitgeteilt werden und: Er organisiert und baut auf.
Er will den „Liberalismus“ erläutern, erklären und methodisch entwickeln – ein Begriff, der seit 14 Jahren deutschen Wahns gerade jungen Leuten fremd ist. Denn das geschlossene Weltbild des Marxismus-Leninismus zielt darauf ab, Menschen zu verbiegen und gleichzuschalten – wie zuvor. Da muss man praktisch argumentieren und handfeste Alternativen bieten – Arno Esch arbeitet nicht provokant, eher vorsichtig, sachlich und intellektuell. Aber genau das macht den Sowjets Angst.
Esch und seine Freunde haben Hoffnungen, sie glauben an den baldigen Rückzug der sowjetischen Besatzer und an eine künftige Demokratie. So entsteht mit ihm die Rostocker Hochschulgruppe der Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Er wird Landesjugendreferent der LDP – einer zu dieser Zeit unter dem sowjetkommunistischen Besatzungsrecht absolut legitimierten Bewegung, aus der die spätere FDP hervorgehen wird. Daraufhin ist Esch Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands in Berlin, der einzige aus Mecklenburg-Vorpommern.
Was war nun aber der Vorwurf an ihn und seine Gruppe? Die Anklage auf „Subversion gegen den Sowjetstaat“ sollte ausreichen, um die jungen Wissenschaftler abzuurteilen. Viele seiner Bekannten und Parteifreunde hatten die Sowjetzone schon vorher verlassen, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils aus politischen. Arno Esch ist geblieben, bewusst – wenn auch idealistisch – und voll Vertrauen in die Kraft demokratischer Werte wie Aufklärung, Freiheit und Fortschritt.
Die Wahlergebnisse der ersten – und auf über 40 Jahre letzten – freien Wahlen sprachen auch eine deutliche Sprache. Überall holten die Liberalen zweistellige Ergebnisse und stellten in Sachsen-Anhalt den Ministerpräsidenten.
Hans-Dietrich Genscher hat als eine seiner stillen, ersten Aktionen der Wendezeit die vollständige Rehabilitierung Arno Eschs vor einem sowjetischen Appellationsgericht bewirkt.
Was der Gruppe der „Weißen Rose“ vergönnt war – Wertschätzungen, Ehrungen, Öffentlichkeit – haben Arno Esch und seine Freunde bisher nicht erhalten. Was bleibt, ist neben der Trauer die Aufmerksamkeit für Recht und Gerechtigkeit – und für Freiheit und deren Ursachen in Geschichte und Gegenwart.
Freiheit ist ein sehr verletzliches Gut, dessen Wert meist erst umgekehrt proportional zu seiner Abwesenheit begriffen wird. Wahrscheinlich müssen wir immer wieder üben, der Kraft der Freiheit zu vertrauen und deshalb allen Anfängen wehren, die diese gefährden, dann macht auch Arno Eschs Opfer für uns einen Sinn.

Geschrieben von Robert Gabel