Wie Rektor und Verwaltung im koordinierten Chaos Geld und Reputation der Uni vernichten.

„Willkommen/Welcome“ flimmert es in schroffem Rot dem Gast auf der Uni-Homepage entgegen. Unwahrscheinlich jedoch, dass sich wirklich noch jemand auf diesen Seiten willkommen fühlt. In verschwenderischer Einfalt sind einige wahllos ausgewählte Stichpunkte auf der vergilbten Titelseite verstreut. Scheinbar unsortiert verstecken sich wichtige Informationen in den Tiefen der unüberschaubaren Struktur des Gesamtkunstwerks. Wer sich beispielsweise ein Zimmer mieten will, muss obskurerweise auf „Studium und Lehre“ klicken.

„Als ich die Homepage zum ersten mal gesehen hatte, wollte ich eigentlich gar nicht mehr nach Greifswald“, resümiert Ingo Meyenburg, der in diesem Jahr sein Physikstudium begonnen hat. Wie viele andere, war auch er vom desolaten Zustand der offiziellen Uni-Homepage entsetzt. „Zum Glück war es hier dann doch nicht ganz so schlimm“, scherzt der Ersti.

Doch es ist nicht witzig. Während das Hauptgebäude der Universität gerade mit 16 Millionen Euro aufwendig restauriert wird, um das epochale Ansehen der ehrwürdigen Anstalt wieder aufzupäppeln, vergammelt die Homepage seit nun schon fast einem Jahrzehnt. Selbst Greifswalder Grundschulen haben bessere Internetseiten. Dabei ist die Homepage das wichtigste Aushängeschild der Universität: Sie ist jederzeit für jedermann an jedem Ort erreichbar und dient als erste Anlaufstelle und Hauptinformationsquelle für Studenten, Forscher und Personalchefs. Der Image-Schaden durch den angestaubten Auftritt für die Greifswalder Hochschule, die sich am liebsten zur Elite-Universität erklären möchte, ist kaum abschätzbar.

Auch der AStA kann ein Lied davon singen. Jahr für Jahr wird das Büro in der Ersti-Woche mit Fragen hilfloser Erstis überschwemmt. „Dabei gehen 90 Prozent der Informationen auch aus der Homepage der Universität hervor. Diese sind jedoch so versteckt, dass wir doch wieder alles erklären müssen“, beklagt sich Christian Heise, der Internetbeauftragte des StuPa. Selbst der Rektor verirrt sich manchmal auf den Uni-Seiten, gibt er im Gespräch mit dem moritz schmunzelnd zu.
Damit sollte 2002 endlich Schluss sein. Boris Spix, Mitarbeiter der Pressestelle, entwickelte fast zwei Jahre lang eine neue Homepage mit einem neuen, frischen Design. Dann jedoch – kurz vor Fertigstellung – die Wende. Das Rektorat entschied im Juli dieses Jahres, diese Webseite ohne Nutzung wieder einzustampfen. Geschätzte Kosten für das erfolglose Abenteuer: ein sechsstelliger Eurobetrag. Der Bund der Steuerzahler würde sich erregen.

Die Homepage von Boris Spix wurde gleich mit einer ganzen Kette von Gründen abgeschmettert. Die Navigation sei unübersichtlich, das Farbkonzept chaotisch, Schrift- und Textstil erinnerten eher an eine Zeitung, zu viele Links und Scrollbalken überforderten den Surfer. Auch als Provisorium wollte man die Seite nicht übernehmen, da man weitere hohe Kosten befürchtet und „sich solche Provisorien dann schnell manifestieren“, so Raymond Jarchow vom Rechenzentrum.

Bizarr jedoch, dass all das erst nach knapp zwei Jahren kurz vor der Fertigstellung erkannt wurde. „Hier zeigt sich Führungsschwäche des Rektors“, urteilt Tobias Linke, studentischer Vertreter im Senat, scharf. Simon Sieweke, HoPo-Referent und ehemaliger Vorsitzender des AStA, sieht vor allem im früheren Kanzler den Grund für den späten Abbruch: „Carl-Heinz Jacob hielt lange Zeit seine schützende Hand über Edmund von Pechmann, den Leiter der Pressestelle, und damit auch über Herrn Spix.“ Jacobs verneint solche Beziehungen: „Gerüchte zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie meistens falsch sind. Das Gegenteil ist der Fall: Wäre es nach mir gegangen, hätte man von Anfang an Profis mit der Homepage beschäftigen sollen.“ Ex-Rektor Jürgen Kohler beobachtet einen gestörten Kommunikationsprozess: „Wenn man bemerkt, dass da irgendwer bremst, muss man der Sache nachgehen!“ Er schiebt damit die Verantwortung dem Rektorat zu.

Neben diesen Mutmaßungen lassen sich auch einfache organisatorische Mängel festhalten. Spix hatte keine konkreten Zielvorgaben erhalten und arbeitete lange Zeit „ins Blaue hinein“, Zwischenergebnisse wurden unzureichend kontrolliert und Kommunikation fand auf Grund persönlicher Differenzen zwischen Rektor Rainer Westermann und Edmund von Pechmann praktisch nicht statt. (Anmerkung des Autors: Pechmann konnte sich dazu nicht äußern, da er bis zum Redaktionsschluss im Urlaub war). Der Designer arbeitete gar noch mit einem Auftrag von Ex-Rektor Hans-Robert Metelmann von vor zwei Jahren.

Wer trägt nun also die Schuld an der Verwaltungs-Havarie? „Als Rektor übernehme ich die volle Verantwortung. Ich hätte schon viel früher erkennen müssen, dass das Projekt misslingt“, gibt sich Westermann im Gespräch mit dem moritz einsichtig. Weiter sagt der Rektor, dass er niemals einem bestimmten Mitarbeiter die Schuld geben würde. Doch das könnte er, denn versagt hat der Rektor nicht allein, sondern verschiedene Gremien kollektiv. Warum hat Pechmann nicht intensiver seine Pläne mit dem Rektor abgesprochen? Warum hat der extern beauftragte Designer seinen Entwurf nicht mit dem Rechenzentrum abgestimmt? Warum wurde ein Designer ohne Ausschreibung und mit mangelnder Internet-Erfahrung beauftragt? Warum hat Spix, der alle Fakten kannte, nicht viel früher Alarm geschlagen? Warum haben Senat und StuPa ihre Kontrollfunktion nur unzureichend wahrgenommen? „Zurücktreten werde ich deswegen aber nicht“, fasst Westermann zusammen.

Damit wäre auch niemandem geholfen. Zudem scheint Westermann jetzt die Problematik erkannt zu haben und beabsichtigt, nachhaltig zu investieren. Der Rektor will diesmal eine externe Firma mit der kompletten Erneuerung des Auftritts beauftragen. Geplant ist ein aufwendiges, voll dynamisches Redaktionssystem („Content Management System“) nach dem Vorbild der Universität Hannover. Insider erwarten, dass die Kosten dafür mindestens doppelt so hoch sein dürften. Ausschreibung, Projektentwicklung, und Re-Implementierung im Rechenzentrum werden Monate – wenn nicht gar ein bis zwei Jahre – in Anspruch nehmen. Eine neue Homepage noch vor dem Uni-Jubiläum 2006? Nicht mal für diesen fernen Termin wollte gegenüber dem moritz jemand die Hand ins Feuer legen. Trotzdem ist der Weg über die Ausschreibung ein sinnvoller Weg. Ein Vertrag macht die Kosten kalkulierbar. Genaue Zielvorgaben verhindern weitere Überraschungen. Vertragsstrafen verringern die Gefahr von endlosen Verzögerungen. Fraglich aber, warum diese Erkenntnis sechs Jahre bedurfte. Das Projekt Uni-Homepage wird jetzt – seit 1998 zum fünften Mal – wieder bei Null gestartet. Man kann nur hoffen, dass es diesmal ein erfolgreicher Versuch wird und die Verwaltung diesmal sorgsamer mit den knappen Finanzmitteln umgeht.

Solange müssen wir mit dem alten Auftritt leben, obwohl die Spix-Version nur „einen Klick entfernt“ ist. Wer einmal einen Blick auf die fast fertige Homepage werfen will, kann das unter www.uni-greifswald.de/~webneu tun. Sie ist dort für jedermann erreichbar.

Geschrieben von Sebastian Jabbusch