Eine Rezension von Sandrina Kreutschmann

Wenn ein Fotograf seine Negative ins Entwicklerbad legt, hofft er. „Wenn alles so bleiben könnte. Wie schnell gehen diese Tage zu Ende.“ Wenn er das vollendete Bild in den Händen wendet, fragt er. „Wie viel mal schon gehen wir fort, um immer wieder heimzukommen?“

Eugen war Fotograf und Ehemann. Vom Tag der Hochzeit über die Geburt der Kinder und seinen ersten Herzinfarkt bis zu seinem Tod fotografiert er seine Frau Gerti. Posierend im roten Kleid vor blauem Meer, im Urlaub halbnackt im Schnee und am Strand, und Zuhause, nackt auf dem Fußboden. In mehr als vierzig gemeinsamen Jahren hat Eugen Gebert so 1241 Farb- und Schwarzweißfilme belichtet.

Die Fotos hat er sorgfältig in einem mehr als 200 Seiten umfassenden Journal verzeichnet. Aufzeichnungen der gemeinsamen Reisen. Wichtige Ereignisse. Inklusive Anhang. Mit Inventurliste. Vordergründig erzählt der Dokumentarfilm von Philip Widmann und Karsten Krause anhand dieser Aufzeichnungen vom Leben und Lieben des Ehepaares Gebert. Die Jahre und Bilder werden dem Zuschauer hintereinander präsentiert, dabei aus dem Off kommentiert. Zwischen den Objekten, die Vergangenes zeigen, spricht jemand subjektiv aus gegenwärtiger Sicht. Die Witwe Gerti sortiert die Fotos und reflektiert über sich, ihr Leben, die Bilder und ihren Mann.

Vergänglichkeit, der Körper und die Liebe

Die beiden Regisseure haben mit ihrem Werk die großen Themen der Menschheit buchstäblich im Blick: Das Leben, das Sterben, dazwischen das Altern und die Vergänglichkeit; der menschliche Körper und die menschliche Liebe.

Gerti ist Model und Kunstwerk in einem

Die Frage nach der Zeit, wie sie uns folgt und einholt, immer wieder, wie wir sie halten, bannen, unschädlich machen können, wie wir ihr darum zuweilen gewalttätig, zuweilen listig begegnen, gilt als der Kernpunkt jeglicher Fotografie, der alltäglich in unser aller Familienalben beginnt und in mühsam verfolgten Dokumentar- und Kunstbildern nach dem Höchsten strebt. Dieses Motiv durchzieht auch den Film und das Schaffen Eugen Geberts in sehr expliziter Weise. An mancher Stelle wäre ein bisschen weniger Deutlichkeit Explikation dessen, was kaum zu explizieren ist, wünschenswert gewesen (Kommentare wie: „Alles bleibt, wie es war.“), eine Wiederholung der zu diesem Motiv seit jeher gehörenden Plattitüden (Fotografie als „die Möglichkeit, der Vergänglichkeit meiner Zeit in den Arm zu fallen“) erscheint womöglich überflüssig.

Einerseits ist dies eine berechtigte Kritik, andererseits lebt der Film genau von dieser umfassenden Authentizität, die in Eugens eigener Sicht auf die Bilder liegt, die kommentarlos rein dokumentarisch wiedergegeben ist – und vor allem: der Film will nichts verbergen. Er hält dieses Versprechen. Das macht er bereits in der ersten Szene deutlich, als eine Frau – Gerti – im roten Regenmantel, die mit einem Schirm im beregneten Wald steht, zunächst aus großer Unschärfe, schließlich in allen Details angezoomt wird, um schließlich schnell auf Aktfotografien dieser zu wechseln. Alles, was der Deutung verlangende, der vielleicht fragende, vielleicht voyeuristische Blick von diesen Bildern erhofft – wird ihm direkt und umstandslos gewährt, siehe auch Inventarliste 2B.

Die Bilder sind unglaublich präsent: Nicht nur die Materialität eines entwickelten Fotos, auch die Schwere des menschlichen Körpers, die subtilen Flecken und Falten des Alters, die Desillusionierung in der Entblößung, die Preisgabe einer Hoffnung auf Perfektion, das Nacktsein. Im Grunde ist nichts authentisch an den Fotos und an diesem Film, denn alles beruht auf Zurschaustellung und Selektion, Pose und Professionalität, die sich selbst zu verbergen versucht. Ob Leiblichkeit genug ist, ein Leben zu tragen, wenn Menschen einander lieben zumal: Gerti stellt diese Frage nicht und sieht in den Spiegel und erwägt eine Schönheitsoperation.

Das Objekt trägt das (Kunst)Werk

Der Film mit all seinen bewegten wie unbewegten Bildern wird überhaupt getragen von der Figur Gerti, nicht nur so, wie Eugen sie auf Zelluloid gebannt hat, sondern mehr noch, wie sie in der Jetztzeit mit den papiernen Abbildern ihrer Vergangenheit lebt. Hinter der belichteten Oberfläche offenbaren sich vielfältige Zusammenhänge und charakterliche Tiefen, die den Film sehenswert machen, einmal und noch einmal.

Dokumentation im Urlaub - Liebe und Leiblichkeit

Gerti zerreißt mit sicherem Griff die Bilder, die sie nicht gelungen findet. Man sieht dabei unter ihrer pergamentartig wirkenden Haut die Bewegung jedes Muskels. Gerti ist immer wieder im roten, eng geschnittenen, tief dekolletierten Kleid zu sehen, mit einer Miene aus Scheu und Professionalität frisiert sie sich sorgfältig, blickt in den Spiegel und reflektiert: Sie habe ein gutes Leben gehabt. Ein glückliches sogar. Im Gegensatz zu anderen Frauen. „Die waren halt nicht so fotogen, um es nicht anders auszudrücken.“

Was ist Liebe? Sie sagt, wiederholt, sie habe genau das Leben gelebt, das sie auch gewollt habe. Er sagt, dass er keinen Tag bereue, dass er alles wieder so machen würde. Sie sagt, von nun an könne es für sie nur noch bergab gehen. Sie sagt, sie habe sich als Frau hübsch und begehrenswert gefühlt. Eugen hinter der Kamera sagt: „Für mich bist und warst du stets die Erfüllung meines Lebens.“ Gerti vor ihren Bildern sagt: „Ich denke manchmal, ich habe meinem Mann viel zu wenig gesagt, dass ich ihn auch liebe.“

„Du musst eben so fotografien, dass wir zusammen bleiben können!“

Über vierzig Jahre hat Eugen seine Gerti seit ihrer Hochzeit fotografiert, über vierzig Jahre waren die beiden verheiratet, bis dass der Tod sie schied. Eine Ehe, ohnehin das institutionalisierte Moment menschlicher Zuwendung, verstanden als eine Gussform für Liebe, die als Form, wenn sie nur klar und stark genug ist, über Jahrzehnte zu tragen vermag: Eugen und Gerti haben in diesem – gemeinsamen – Verständnis um ihre Beziehung und umeinander gerungen, klar einander in den Blick genommen, auf starkes Papier gebannt, siehe auch Anhang 7B (Langliste). Die Anstrengung in dieser Bewegung bekommt der Betrachter nicht zu spüren. Die Kamera, die Fotos bilden nicht nur die allzu materiale Brücke zwischen beiden. Unmöglich, Leben ohne Liebe und den Fotografen ohne die Fotografierte zu denken. Sie sind die Form, und jenseits dieser liegt die Angst. An dieser emotionalen Grenze droht die Fotografie von Anfang an grundsätzlich zu scheitern, und nach jedem Bild ist es fraglich, ob es nach ihm ein neues gäbe, das den Moment überbrücke, vor dem sie beide, jeder auf seiner Seite des Fotoapparates, nach jedem Bild sich fürchten. Diese Ränder sind das Trennende, das Unmögliche, ein großer Vorwurf: „Du musst eben so fotografieren, dass wir zusammen bleiben können!“

Und so muss man sich mehr noch auf die Bilder verlassen, die allezeit Schein sind und als Schein auch nur gelten. Der Dokumentarfilm funktioniert, weil er das weiß und um Wahrheiten nicht weiß, sie weder sucht, noch findet.

Der Film schließt mit dem Ende des Sommers und der Saison, die endgültig vorbei ist. Es ist dem Herbst wesentlich, dass er uns in Bildern überkommt. Irgendwann sind die Blätter fast Papier, die dem Baum wie nebenbei entgleiten, und schließlich ist da der Wind. Mit der Böe fallen so viele, dass sie nicht mehr zu zählen sind.

Regie: Philip Widmann, Karsten Krause | Deutschland | 2011 | 29 Minuten