Eine Reportage von Marco Wagner
Verschlafen wie ein Märchenschloss im Dornröschenschlaf liegt ein Stadtpalais in der Steinbecker Straße. Kaum zu glauben, dass sich hinter den Fenstern und Türen das Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität verbirgt. Der Putz des lang gezogenen klassizistischen Baus bröckelt von der Fassade ab und der Backstein tritt zum Vorschein. Im Laufe der Jahre sich angesammelte Graffiti geben dem Gebäude eine besondere Note. Unterstrichen wird der morbide Charme des Verfalls durch riesige Lücken zwischen Kellerfenster und Mauerwerk – durch notdürftig verputzte Verbindungen zwischen Mauer und Kellerfenster. An einigen Stellen sind Ziegel aus der Fassade gebrochen. Auf einem der zahreichen demolierten Fenstersimse haben Unbekannte einen „Antifalten-Tropfen“ abgestellt – eine Arznei, die das Gebäude bitter nötig hat.
Das Palais betritt der Besucher durch eine zentrale Tür, deren Farbe bereits seit Jahrzehnten nicht mehr erneuert wurde. Langsam blättert sie ab, während der Briefkasten vor sich hin rostet. Im Inneren zeichnet sich das Gebäude durch einen Fußboden aus Mosaiksteinchen aus, der ausgetreten und verschlissen wirkt. Die Treppe im Obergeschoss durfte über mehrere Jahre hinweg von maximal vier Personen betreten werden. „Im vergangenen Jahr waren Statiker da und untersuchten die Treppe noch einmal. Kurz darauf ist das Schild verschwunden“, erklärt eine Studentin. Dort wo einst das gelbe Hinweisschild stand, ist nun „Vorsicht Rutschgefahr!“ zu lesen.
Neuer Seminarraum im Erdgeschoss
Einer der vielen Seminarräume war bis vor anderthalb Jahren nur für 20 Personen gleichzeitig zugelassen. Mittlerweile ist auch hier kein Schild mehr zu sehen. Die Fachbibliothek der Anglistik/Amerikanistik ist aus dem Erdgeschoss in die Zentrale Universitätsbibliothek gezogen. In den Räumen soll nun ein neuer Seminarraum eingerichtet werden.
Das in das Institut für Anglistik und Amerikanistik Geld investiert wird, war nicht immer so. Die Ursachen der Baufälligkeit und der noch nicht erfolgten Sanierung des Hauses liegen weit in der Vergangenheit. „Angefangen hat es damit, dass vor einigen Jahren die Idee aufkam , die Anglistik/ Amerikanistik zu schließen“, erzählt die Dozentin Dr. Anette Brauer vor anderthalb Jahren dem Studentenfernsehen Moritz-TV.
Damals verhüllten Studierende die Fassade des Institutsgebäudes mit zahlreichen zusammengeflickten Laken, um auf den desolaten Zustand des Gebäudes aufmerksam zu machen. Sehr viel hat sich seitdem nicht getan. Zwar war einmal die Fassadensanierung des Gebäudes von Seiten der Universitätsleitung im Gespräch, allerdings hat sich bis heute kaum etwas an dem Zustand des Hauses geändert. Lediglich die Rückseite des Gebäudes ist mit einem neuen, einfachen Putz versehen worden.
Grillen gegen den Verfall
Doch diese sparsamen Renovierungsarbeiten reichen nicht aus, um das Gebäude zu retten. Aus diesem Grund wurde von Seiten des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) das „Grillen an Ruinen“ dieses Mal im kleinen Hinterhof der Anglistik veranstaltet. Etwa 100 Menschen versammeln sich bei Bratwurst und Bier und diskutieren über verschiedendste Themen. Auch Unikanzler Dr. Wolfgang Flieger ist anwesend. Er ist in ein intensives Gespräch mit Anne Lorentzen, AStA-Referentin für Studium und Lehre und Eric Makswitat, Präsident des Studierendenparlaments vertieft. Dass Thema der drei lässt sich bereits erahnen: Der Zustand zahlreicher Gebäude der Universität. Die Anglistik ist nicht das einzige Beispiel eines maroden Universitätsgebäudes. Doch aufgrund ihrer Dominanz im Straßenbild und seiner prominenten Lage mitten im Zentrum der Stadt ist es das Paradebeispiel des Verfalls.
Doch die Tage der Anglistik in der Steinbecker Straße scheinen gezählt. Das Institut bleibt zwar bestehen, fraglich ist jedoch, ob das jetzige Gebäude noch in einem Jahrzehnt das Straßenbild prägen wird. Denn dann wird das Institut voraussichtlich in den benachbarten Campus in der Loefflerstraße umgezogen sein. Die Zukunft des Instituts scheint gesichert, die des kleinen Stadtschlosses in der Steinbecker Straße ist jedoch ungewiss.
Fotos: Marco Wagner
Steht dieses Gebäude eigentlich noch? Jetzt, im Jahre 2020? Es wäre ein totaler Jammer, wenn es dieses Schmuckstück nicht mehr existierte.
Ich studierte Anglistik in Hamburg – das war in einem 13 Stockwerke zählenden Gebäude, bekannt als „Phil-Turm“.