Politikverdrossenheit ist Sieger der Wahlen für die studentischen Vertreter im Senat, in den Fakultätsräten und für das Studierendenparlament. Die Wahlbeteiligung sank mit weniger als zehn Prozent auf ein selten erreichtes Rekordtief.

Eine kleine Gruppe von Wahlhelfern hat sich im Saal des Mensa-Clubs um einen Tisch versammelt. Die Wahlurnen werden ausgeschüttet, vereinzelt tummeln sich Journalisten im Raum. Das Interesse scheint geringer zu sein als noch im Vorjahr, als die Besucher noch mit Absperrband von der Auszählung ferngehalten werden mussten. Nach kurzem Auszählen der vorhandenen Stimmzettel steht fest: Die Wahlbeteiligung für das Studierendenparlament (StuPa) lag bei 9,89 Prozent. Die Zehn-Prozent-Hürde wurde in den 20 Jahren studentischer Selbstverwaltung nur selten unterschritten. Zuletzt war das 2007 der Fall.

Der 21-jährige Wahlleiter Stefan Damm zeigt sich enttäuscht: „Mit dieser Wahlbeteiligung kann man nicht zufrieden sein. Wir hatten uns wenigstens ein zweistelliges Ergebnis gewünscht. Das große Defizit im Vergleich zum letzten Wahljahr, als stolze 21,3 Prozent der Studierenden zur Wahl gingen, gehe vor allem auf die Urabstimmung um den Namenspatronen der Universität zurück. „Arndt kann mit Sicherheit nicht alles, aber doch sehr viel erklären. Die letztjährige ‚Hochschulpolitikbegeisterung‘ ließ uns hoffen, dass dadurch eine dauerhafte Erhöhung der Wahlbeteiligung erreicht wurde, wenn auch nicht auf das hohe Niveau des letzten Jahres. Die gesamte studentische Selbstverwaltung wird sich fragen müssen, warum die Wahlbeteiligung so niedrig ausgefallen ist.

In diese Kerbe schlägt auch die Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) Daniela Gleich. Die Politikwissenschaftsstudentin erklärt, dass das Verhalten des StuPas die Studenten von der Hochschulpolitik verscheucht. „Wenn das StuPa zum Beispiel die Beschlüsse der Vollversammlung nicht ernst nimmt, und damit auch die Studierendenschaft, ist es nicht verwunderlich, dass keiner sich an diesem Gremium beteiligen will. Doch auch bei den Senats- und Fakultätsratswahlen blieb die Wahlbeteiligung gering. Obwohl gerade diese Gremien einen wesentlich größeren, weil direkteren Einfluss auf den Universitätsalltag haben, als das StuPa, welches nur über die Tätigkeiten des AStA und im schlimmsten Fall der moritz-Medien direkt bestimmen kann. An den Senatwahlen nahmen zum Beispiel nur 8,65 Prozent der Wahlberechtigten teil. Das trotz der wesentlich höheren Kandidatenzahl: Auf zwölf Stellen bewarben sich 48 Studenten.

Für das StuPa dagegen haben sich nur 36 Studenten beworben. 27 dieser Kandidaten werden von vornherein einziehen. Die restlichen werden im Laufe der Zeit nachrücken, da innerhalb einer Legislatur immer wieder StuPisten ihr Mandat niederlegen, weil sie ein Auslandssemester machen, mit ihrem Studium fertig werden, oder Ähnliches. Es werden also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit alle Kandidaten früher oder später einziehen, das zeigt auch die Erfahrung aus den letzten Jahren, als sich wesentlich mehr Kandidaten zur Wahl gestellt haben und am Ende der Legislatur durch das Nachrückverfahren dennoch alle eingezogen sind. Dennoch scheint es unter den wählenden Studenten eine Tendenz nach links zu geben.

Wenn man bei der geringen Zahl von Kandidaten und der geringen Wahlbeteiligung von Siegern sprechen kann, dann sind damit sicherlich in der Mehrheit die „linken Hochschulgruppen gemeint: Alle angetretenen Bewerber der JuSo-Hochschulgruppe, von Die Linke.SDS und der Grünen Hochschulgruppe können direkt ins Parlament einziehen. Auch die überraschende Wahlsiegerin Paula Oppermann, ein bisher unbekanntes Gesicht in der Greifswalder Hochschulpolitik, sieht sich eher im linken Spektrum. Den Hochschulgruppen steht sie aber kritisch gegenüber: „Das letzte Jahr war in meinen Augen sehr stark von der Profilierungssucht der Hochschulgruppen geprägt, das hat sich zum Beispiel bei der Nicht-Wahl von Peter Madjarov zum stellvertretenden StuPa-Präsidenten gezeigt. Mir sind Argumente wichtiger als das Parteibuch. Deswegen will ich versuchen, dem soweit man das als einzelne StuPistin überhaupt kann, entgegen zu wirken.” Auf der Konservativen Seite greifen die Hochschulgruppen der bundesweiten Diskussion vor: Mitte Juni 2010 spaltete sich ein Teil des etablierten Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Greifswalds ab und gründete eine eigene Hochschulgruppe der Jungen Union. Diese trat nun zum ersten Mal für die Gremienwahlen an und kann wesentlich bessere Ergebnisse verbuchen, als der RCDS.

Das Ergebnis der Senatswahlen fiel zu Gunsten der von der Philosophischen Fakultät dominierten Liste „Solidarische Universität aus, die gleich die Hälfte der studentischen Vertreter stellt. Vier von zwölf Vertretern stellt die vor allem aus Medizinern zusammengesetzte Liste „Offene Liste Volluniversität – Für die studentischen Belange aller Fakultäten, die in einer Rundmail der Medizinischen Fakultät offen als die für die Fakultät beste Liste angepriesen wurde. Anlass für einige Studenten, gegen das Ergebnis Einspruch zu erheben, da eine „unzulässige Einflussnahme“ stattgefunden habe. Die Ergebnisse dieses Einspruches, und ob Neuwahlen stattfinden müssen, erfahrt ihr zu entsprechender Zeit auf www.webmoritz.de.

Eine der wichtigste Erkenntnis über das neue StuPa, das sich im April dieses Jahres konstituieren wird, und die neuen studentischen Vertreter in den anderen Gremien ist, dass sich sehr viele altgediente Hochschulpolitiker endgültig verabschiedet und Platz für eine ganze Reihe von Neulingen gemacht haben. Inwiefern das wirkliche Änderungen auch für die Außenwirkung der Greifswalder Hochschulpolitik zur Folge hat, ob der alte Trott übernommen oder sich die fehlende Erfahrung bemerkbar macht, wird sich erst im Laufe der Legislatur zeigen.

Totalversagen oder alle sind glücklich. Ein Kommentar

Die Greifswalder Studierendenschaft hat gewählt – jedenfalls knapp 10 Prozent. Damit sind wir wieder beim Schnitt von vor der Diskussion um den Namenspatron angekommen. Das schwache Ergebnis überrascht nicht und ist Symptom für allgemeines Desinteresse gegenüber der Hochschulpolitik an unserer Universität. Aussagen, wie „Echt, es gab Wahlen – schade, gar nicht mitbekommen“ oder „Wahlen? Landtag, oder wie?“ geben diesen Eindruck schnell wieder.

Für was wird eigentlich gewählt? Für einen Wechsel der alten Gesichter und Parolen oder für die jährliche Hoffnung auf mehr Beteiligung, neue Ideen und überhaupt „Veränderung“? Weder noch, die richtig alten StuPisten hören auf – machen aber Platz für eine Überzahl an alten Bekannten aus dem hochschulpolitischen Bereich. Veränderung – Fehlanzeige.

Und welche Wahl eigentlich? Für das StuPa sind 36 angetreten, drei Plätze werden wohl im April wieder frei, wenn die gewählten AStA-Referenten ihre Mandate erstmal ruhen lassen. Auch wenn die Kandidaten mit markanter Werbung für sich auftreten, krasse Gegenpositionen beziehen – es kommen doch alle ins Parlament. Ob als Wahlsiegerin mit 238 oder mit 23 Stimmen, die letzte Legislatur hat es bewiesen (nebenbei: mit 52 Kandidaten). Die jährliche Hülle der ganzen Prozedur verdient vielleicht noch den Titel „Wahlen“. Der dazugehörige Wahlkampf ist zu belächeln, Hochschulgruppen bilden die Mehrheit und damit auch die Mehrheit im Einheitsbrei der Meinungen. Fast alle wollen das Gleiche, schön allgemein gehalten, teils wiedermal in Verkennung der eigenen Möglichkeiten. Kontroverse Themen nur da, wo sie eigentlich keinem schaden, Diskussionen auf Metaebene oder persönliche Anfeindungen ohne wirklichen Bezug zum Durchschnittsstudierenden.

Da für einen richtigen Wettbewerb der Meinungen erst einmal eine wirkliche Wettbewerbssituation geschaffen sein muss, warum nicht 120 Kandidaten im nächsten Jahr, einer Universität der 12 500 schon angemessener. Das wäre doch mal wirklich spannend und würde den jahrelangen Trott durchbrechen. Das will aber sicher keiner, weil es ja für die „Wahlsieger“ dann nur schwieriger wird.
Die noch wichtigeren, weil mächtigeren Gremien (Senat und Fakultätsräte) sind auch dieses Jahr wieder gekonnt in den Hintergrund getreten. Der Rektor, einige Dekane und das Bildungsministerium bedanken sich für den Verzicht der studentischen Mitbestimmung an geeigneter Stelle sicher gerne.

Wer ist Schuld? Der Wahlleiter hat alles richtig gemacht, viele Wahllokale und Wahlhelfer und einen problemlosen Ablauf ermöglicht, welcher kaum noch verbessert werden kann.

Die üblichen Verdächtigen also: ein StuPa, welches scheinbar mehr abschreckt anstatt die Teilnahme an hochschulpolitischen Prozessen attraktiv zu machen. Ein AStA, welcher zwar unterstützend Wahlaufgaben erledigt hat, aber sonst keine neuen Impulse einbrachte. Die Fachschaftsräte, welche sicherlich meinen, das StuPa gehe sie eh nichts an, sich dann aber wundern, wenn eigene Finanzanträge für den nächsten FSR von dem ach so unwichtigen Gremium gekürzt wird. Auch zu benennen, die Hochschulgruppen, weil sie sich langsam in der Situation der „klaren Gegner“ bequem einrichten und somit das bundespolitische Spiel kindisch wiederholen.

Und eine hohe Schuld geht auch an die Studentischen Medien, welche es in diesem Jahr verpasst haben, informativ und anregend auf die Wahlen vorzubereiten, zu wenig, zu flach berichteten und damit einer ihrer wichtigsten Aufgaben nicht nachgekommen sind: Hochschulpolitik verständlich zu machen. Für wirklich alle Studentinnen und Studenten an dieser Universität. Um bewusst wählen zu gehen oder zu kandidieren. Wenigstens einmal im Jahr.

Ein Bericht von Patrice Wangen mit einem Kommentar von Daniel Focke (Wahlleiter 2009)